K3 No. 3 - Juli 2023

Dachzeile 32 das kommt | 03 | 2023 Fachkräftemangel Schwerpunkt Vom Kern Sozialer Arbeit Studierende werden gerade als „unterstützungsbedürftiger wahrgenommen als früher“.1 Immer mehr Absolvent*innen der Studiengänge der Sozialen Arbeit ziehen sich in konfliktärmere Verwaltungsbereiche zurück. Aber Steuerung ist keine Sozialarbeit, sondern ein Verwaltungsvorgang. Administrationen haben zudem der Offenen Kinder- und Jugendarbeit Flexibilität und Möglichkeiten genommen. Viele wollen nach dem Studium auch gerne, mit Mitte 20, in die Lebensberatung oder lieber mit Kids mit Bildungstradition arbeiten. Im Alltag bekriegt man sich um Projektgelder, verliert mit soliden Standards gegen aufgeblähte Avantgarde-Projekte. Dann glänzen gegen das pädagogische Tagesgeschäft Leuchtturmaktionen, die nur wenige Male für viel Geld aufscheinen. Ist man deswegen so wenig gemeinschaftlich organisiert, weil es gar keine wirkliche berufliche Einheit gibt? Auf Podien fehlen Entscheidungsträger*innen! Sozialarbeit macht keinen Druck, singt und tanzt beim Demonstrieren und bietet immer einen Jourdienst (Rufbereitschaft, Anm.d.Red.), damit es den Bestreikten nicht so weh tut. Man kann ja die Kinder und Jugendlichen nicht alleine lassen, sich selbst aber sehr wohl, bis es weh tut. Ist der Burnout eine Berufstradition? Adäquat bezahlt wird immer noch nicht, berufsständische Geschlossenheit in großem Stil bleibt aus. Der Sozialarbeit fehlt oft der Biss. Motivierte Studierende berichten von fehlender Berufsfeldorientierung, von Fachsteuerungen ohne Fachwissen, Ausbilder*innen ohne Praxisbezug. „Vielen mangelt es an Fähigkeiten – egal, was auf dem Zeugnis steht.“6 Viele sind qualifiziert, aber nicht kompetent, auf beiden Seiten; eine Kausalkette. Dabei geht es im Kern nur um eine solide Theorie-Praxisbezug-Ausbildung mit Fachkräften, die sich professionell konfrontieren und das auch einfordern, um auf den Beruf wirklich vorzubereiten, um ihn attraktiv zu machen ohne vor ihm fliehen zu müssen und sich von ihm ausgenützt zu erleben. Es geht nicht um Wissen, sondern um Selbstverständnis und flexible Arbeitszeitmodelle. Es geht um Persönlichkeitsbildung für couragierte, interessierte Bewerber*innen. Es geht um sinnvolle Arbeit, die Spaß macht und erfüllt. Es geht nicht um zwei verschiedene Leben, die gegeneinander ausbalanciert werden müssen. HEIKO NEUMANN, Jahrgang 1962 aus München, Studium der Sozialpädagogik, Magisterpädagogik und Psychologie. Lehrbeauftragter für Erziehungswissenschaften an der Hochschule München, Einrichtungsleitung Intermezzo Fürstenried, KJR 1) Aus einer Einführungsrede der Podiumsdiskussion „Im Dialog“ an der Hochschule München zum Fachkräftemangel am 30. März 2023 2) Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, www.bmwk.de/ Redaktion/DE/Dossier/fachkraeftesicherung.html 3) DJI Bedarfsanalyse von Studienplätzen in der Sozialen Arbeit in Bayern im Kontext des Fachkräftebedarfs 4) Heribert Prantl, „4:3“, Süddeutsche Zeitung, Sa/So, 20./21. Mai 2023 5) Jutta Almendinger, „Wir machen uns nicht mehr kaputt“, in: DER SPIEGEL, No. 22, S. 11 6) Peter Andrè Alt, Ex-Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, „Nur Top-Absolventen?“, in: DER SPIEGEL No. 16, S.44 über viele 1er-Abiturienten nach Corona. & Süddeutsche Zeitung, Sa/So 13./14. Mai 2023, GESELLSCHAFT, „Brauchen wir eine Vier-Tage-Woche“ S. 48, Millionen in Nachwuchs investieren / IW-Studie: Fachkräftemangel in IT-Berufen auf Rekordniveau Aktualisiert am 09.06.2023-09:42 FAZ Weniger Bewerber, weniger Qualität, höhere Abbruchquote1 Wer seid ihr? Und wenn ja – wie viele? „Fachkräfte sichern Innovation … Wohlstand und Lebensqualität.“2 Sozialarbeit führt den Fachkräftemangel an.3 Ist der demografische Wandel schuld oder der Selbstverwirklichungsdrang der „Gen Z“ und ihre Ausbildung zwischen Remote Work und Work-Life-Blending? Viele der wenigen Bewerber*innen wollen Teilzeit – Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich liegt im Trend. Wenige möchten mit Vollzeit einsteigen, um dann später, wenn der Job sie aufzureiben droht, die Work-Life-Balance-Bremse zu ziehen. Viele wollen gleich mit Life-Life-Balance beginnen. Da gelten 39 Stunden bereits als No Go und 30 Stunden als Vollzeit. „Vier Tage lang volle Pulle arbeiten und dann drei Tage frei.“4 Warum nicht? Weil vier Tage nicht volle Pulle gearbeitet wird? Montag vom Wochenende erzählen und am Donnerstag ins nächste Verlängerte reinpendeln? Und „… nicht jeder kann es sich leisten, Ansprüche zu haben“5, da das Leben seinen Preis hat. Wer macht also auf wessen Rücken eine Vier-Tage-Woche in Gegenwart der Klassismus-Diskussion? An den Hochschulen wachsen die Achtsamkeitsbelange, das Studium ist selten auf Widersprüche und konfrontative Räume angelegt, es verlangt Wissen, weniger Haltungen. Schwierig für die Sozialarbeit, später selbst keine Worte zu haben gegenüber Menschen, die in ihren Konfliktlagen um Worte ringen. War nach Corona die Rückkehr in die Hörsäle so schwer, weil es dort Auseinandersetzung und Meinung gibt? Werden deswegen KI-Beratungsprogramme gerade fasziniert diskutiert? Man muss sich die Sozialarbeit zumuten und zutrauen, wenn man die nächsten Jahrzehnte in diesem Beruf zubringen will. Aber Burnouts legen einen früheren Ausstieg nahe. Liegt das an der Fünf-Tage-Woche oder an fehlender Resilienz gegenüber dem Berufsalltag, auf den man nicht richtig vorbreitet wurde? Markige Sprüche zur Bedeutung pädagogischer und erzieherischer Berufe werden nicht genügen – es geht um Grundsätzliches im Berufsfeld. Foto: Tanja-Denise Schantz auf Pixabay

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