K3 No. 4 - September 2020

| 04 | 2020 21 Alles anders. Oder? Jugendarbeit in Corona-Zeiten Schwerpunkt Offene Arbeit im Corona-Korsett: FEZI am Wettersteinplatz Vernetzung ist das A & O Marko Junghänel im Gespräch mit Michael Jaschkowitz, Leiter des Kinder- und Jugendtreff am Wettersteinplatz Wie sahen die letzten Wochen und Monate konkret aus? Wir haben immer wieder Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen aufgenommen. Alle in unserem Team haben ein Handy bekommen. Unsere Besucherinnen und Besucher konnten damit den Betreuer oder die Betreuerin anrufen, zu dem bzw. der sie den engsten Kontakt haben. Außerdem haben wir ein „Beratungsfenster“ zur Straße hin eröffnet. Hierher kann man kommen, um mit uns – in gebührendem Abstand – ins Gespräch zu kommen. Eltern und Kinder haben das gleichermaßen gut angenommen. Nach den Pfingstferien haben wir zudem eine Lernhilfe eingerichtet, die ja sonst nicht so eine große Rolle in der Einrichtung spielt. Und wir waren immer für die Eltern da, die unzählige Fragen hatten. Wir haben zum Beispiel bei der Aufbereitung und dem Ausdrucken von Unterrichtsmaterial geholfen. Der positive Effekt ist, dass die Eltern nun noch deutlicher verstehen, dass ihre Kinder bei uns gut aufgehoben sind. Wie gehen die Besucherinnen und Besucher mit der Situation um? Sie verstehen meist schon, was um sie herum passiert. Die allermeisten halten sich an die Regelungen. Wir sehen nun aber, dass das Neu-Ge- lernte plötzlich die früheren Werte und Verhaltensweisen aushebelt. Wenn eine Gruppe bei einem Zeltlager etwa gemeinsam ein Zelt aufbauen soll, sagen die Kinder, dass das nun nicht geht, weil man ja nicht so nah beieinander sein darf. Die Kinder und Jugendlichen lernen im Moment, dass jetzt andere Sachen richtig und wichtig geworden sind. Viele von ihnen haben Angst, wieder zu Hause sein zu müssen, nicht zur Schule gehen zu können und keine Freunde zu sehen. Die Angst vor einem zweiten Shutdown ist ziemlich präsent – vor allem bei denjeni- gen, die in beengten häuslichen Verhältnissen leben. Dein Blick zurück nach vorn … Freizeit- und Sportstätten hätten schon früher wieder geöffnet wer- den können. Kinder und Jugendliche brauchen ganz dringend diese Angebote. Ich habe das Gefühl, dass die jungen Menschen nur als Schülerinnen und Schüler, nicht aber als Menschen mit ihren indivi- duellen Bedürfnissen wahrgenommen wurden. Und wir haben gelernt, dass wir die Vernetzung im und mit dem Sozialraum noch viel stärker betreiben müssen. Kindeswohlgefährdung in prekären Familienverhältnissen Gewalt bleibt zu oft unerkannt Die Gewalt gegen Kinder und Jugendliche hat während der Corona-Krise zugenommen. Der Blick muss verstärkt auf das Wohl Heranwachsender gerichtet sein. Alle Kitas, Schulen, Freizeiteinrichtungen und die meisten Geschäfte waren Mitte März geschlossen worden und blieben es bis Ende April. Es galten weitgehende Ausgangsbeschränkungen. Viele Eltern muss- ten sich rasend schnell auf neue Arbeitsmethoden, wie zum Beispiel Home-Office, einstellen, Arbeitsteilung oder Arbeitslosigkeit bewälti- gen, die Familienversorgung musste (neu) geregelt werden. Kontakte mit der eigenen Familie, den Großeltern, anderen Familien, Freundinnen und Freunden und Unterstützungsmöglichkeiten fielen aus. Das Infek- tionsschutzgesetz bestimmt bis heute weite Teile unseres Lebens. Der fast ausschließliche Blick auf sogenannte „systemrelevante“ Berufe lässt andere Teile unserer Gesellschaft völlig außer Acht – vor allem Ist im Betrieb der Einrichtung schon wieder so etwas wie Normali­ tät eingezogen? Michael Jaschkowitz: Ja und nein. Wir haben zwar jetzt an jedem Tag geöffnet, es gibt aber weiter Einschränkungen. Im Zuge der Co- rona-Maßnahmen hatten wir unsere Öffnungszeiten vorverlegt und behalten diese nun bei. Jetzt können die Kinder und Jugendlichen schon ab 11 Uhr zu uns kommen. Allerdings schließen wir auch bereits um 18 Uhr, was den Jugendlichen nicht so gut gefällt. Wir wollten damit aber denjenigen ein Angebot machen, die am Vormittag nur ein paar Stunden in der Schule sind und ab Mittag eine Betreuung brauchen. Außerdem haben wir bereits eine fünftägige Ferienfahrt nach Sonthofen gemacht und planen während der Ferien noch 14 Tagesausflüge. Alles also fast normal? Wir haben weniger Besucherinnen und Besucher in der Einrichtung als vor Corona. Die Ferienfahrt, die Ausflüge – alles kann nur mit einer reduzierten Teilnehmerzahl stattfinden. Uns geht es da wahrscheinlich ähnlich wie anderen Einrichtungen – die Abstandsregelungen und das Maske-Tragen sind einfach nicht so beliebt bei Jugendlichen. Die Situation in den Freizeitstätten war übrigens schon Thema im Bayerischen Rundfunk. Die waren bei uns und haben sich danach er- kundigt, was Jugendliche jetzt machen können oder eben auch nicht. Damit konnten wir den Jugendlichen eine Stimme geben, denn sie verstehen beispielsweise nicht, warum sie in der Schule zusammen sein können – in der Freizeitstätte aber deutlich mehr Abstand unter- einander erforderlich ist. Mit der Aktion „Raise Your Voice“ hat der KJR in Zeiten des Lock­ downs Kinder und Jugendliche um ihre Meinung gebeten – und diese öffentlich gemacht

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