K3 No. 4 - September 2020

Dachzeile 22 das kommt | 04 | 2020 Alles anders. Oder? Jugendarbeit in Corona-Zeiten Schwerpunk Die soziale Situation unter den Bedingungen der Corona-Krise kann laut Bundeskriminalamt zu einer Zunahme von Gewalt führen. „Durch die Isolation sind viele Kinder in noch größerer Gefahr vor innerfamili- ärer Gewalt“, warnte der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Die Gewalt gegenüber Kindern hat während der Corona-Krise zuge- nommen – eine Entwicklung, die oft Ausdruck bestehender sozialer Spannungen in der Familie ist. die Bedürfnisse von Kindern und Familien. Geraten unter Corona-Be- dingungen die Hilfestellungen im Fall von Kindeswohlgefährdung besonders in prekären Familienverhältnissen aus dem Fokus? Kindeswohlgefährdung durch Kontaktbeschränkung Mittlerweile liegen erste Erkenntnisse darüber vor, was während der Zeit der restriktiven Kontaktbeschränkungen in Familien passiert ist. Fazit: Häusliche Gewalt und Gewalt gegen Kinder steigen in der Situationen sozialer Isolation an. Wenn Kinder nicht in die Kita oder zur Schule gehen können, fallen Erzieherinnen und Erzieher bzw. Lehrerinnen und Lehrer als Ansprech- personen und Beobachtende aus. Kinderärzte haben keinen Einblick mehr in das Geschehen in den Familien. Das bedeutet, dass drei wichtige Meldegruppen, an die sich Kinder wenden können, ausfallen. Die Teams der Jugendämter im Bereich Kinderschutz können nicht mehr vor Ort sein, nachschauen oder überprüfen, was passiert. Es genügt nicht, mit einer Familie zu telefonieren oder per Videokonferenz zu sprechen. Nichts ersetzt den direkten persönlichen Kontakt. Etwa jedes 15. Kind hat während der Corona-Pandemie Gewalt erfah- ren, ergab eine repräsentative Befragung der Technischen Universität München im Juni 2020. Insgesamt 6,5 % Bei Familien, in denen ... ... ein Kind unter 10 Jahren lebte 9,2 % ... einer der Partner aufgrund der Pandemie arbeitslos/in Kurzarbeit war 9,3 % ... die Familie akute finanzielle Sorgen hatte 9,8 % ... sich die Befragten zu Hause in Quarantäne befanden 10,5 % ... einer der Partner Angst oder Depressionen hatte 14,3 % Anteil der Kinder, die während der Corona-Pandemie zuhause körper- liche Gewalt erfahren haben Basis: 3.800 Frauen (18 bis 65 Jahre) in Deutschland; 22. April bis 8. Mai 2020; zu Gewalt in der Familie während des vorigen Monats. Quelle: TUM Johannes-Wilhelm Rörig. Ein deutlicher Anstieg von körperlicher, emotionaler und sexualisierter Gewalt gegen Kinder wird vermutet. Eine weitere Belastung für Kinder ist es, wenn auch die psychische Gesundheit der Eltern leidet, beispielsweise durch erhöhten Alko- holkonsum. Das bedeutet unter Umständen für das Kind zusätzlich Vernachlässigung, körperliche oder sexuelle Gewalt. Eine Befürchtung ist, dass Täter und Täterinnen die eingeschränk- ten Arbeitsmöglichkeiten der Jugendhilfe für sich nutzen, um sexuell übergriffig zu werden oder beispielsweise kinderpornografische Abbildungen anzufertigen und zu verbreiten. Corona dient dabei als Vorwand, Hausbesuche und direkte Kontakte zu Behörden abzublocken. Auch Europol warnt davor, dass es in der Corona-Krise zu einer Zunah- me an sexueller Gewalt und Vergewaltigungen von Kindern kommen könne. Man spricht von Missbrauch von Kindern „auf Bestellung“. Die Daten sind allerdings noch zu fragmentiert und unvollständig, um sie abschließend zu bewerten. Mehr Kinderschutz in der Corona-Pandemie Die Corona-Krise ist nicht vorbei, eine zweite Welle kündigt sich an. Was brauchen vor diesem Hintergrund Kinder und Jugendliche? Es geht darum, den Blick wieder verstärkt auf Heranwachsende zu rich- ten, das Kind in den Fokus zu rücken und die Familien nicht aus dem Blick zu verlieren – und auch die Eltern zu bestärken. Kinderschutz ist nicht nur systemrelevant, sondern ohne Kinderschutz ist das soziale Miteinander gefährdet. Dazu gehört auch, Netzwerke für Kinder aufrechtzuerhalten und zu stärken; Krisenkonzepte auf- und auszubauen, Kindeswohl zur Richt- schnur politischer Entscheidungen zu machen. Es muss immer wieder auf die Einhaltung, Anwendung und Umsetzung der Kinderrechte hingewiesen werden: ■ Jedes Kind hat das Recht auf ein Leben ohne Gewalt. ■ Jedes Kind hat das Recht auf ein Leben ohne sexuelle Gewalt. ■ Jedes Kind hat das Recht auf Bildung, aber auch auf Spiel und Freizeit. In der Arbeit des Vereins Kostbar e.V. sind für Kinder, deren Eltern und die beteiligten Institutionen und Einrichtungen folgende Grundlagen der Prävention zum Schutz von Kindern verankert: ■ Mein Körper gehört mir! ■ Ich darf mich abgrenzen und nein sagen! ■ Ich darf mir Hilfe holen! » Für mich ist schlimm, dass ich gerade meine Freunde nicht sehen kann wie ich will und nicht einfach nach draußen ge- hen darf. Ich habe Angst, mich in der Schule zu verschlech- tern und viel zu verpassen. Zu Hause langweilen wir uns die ganze Zeit und wir haben nichts zu tun. Davon wird man ganz aggressiv. Firouz, 14 Jahre Foto: G erd Altmann, pixabay.de

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