K3 No. 1 - Februar 2021

Dachzeile 16 das kommt | 01 | 2021 Freiheits- und K nderrechte Schwerpunk Gesundheitsschutzes aller, am besten möglich? Mit nachvollziehbaren und dadurch akzeptierten Regelungen. So können auch Konzerte und erlebnispädagogische Angebote sicher stattfinden. Widersprüche sind in dieser Situation normal. Wichtig ist es, diese zu benennen und ein Ventil zu bieten, seinem Unmut Luft zu machen, z.B. durch kreativen Protest. Auch Online-Plattformen wie der Kinder- welten-Blog sowie die Kampagne „raise your voice – sag’s laut“ bieten – im Sinne der Demokratiebildung – Möglichkeiten, seine Meinung einzubringen. Die Aufgabe des pädagogischen Teams ist es, die jungen Menschen dabei zu unterstützen sich zu äußern und dies zuzulassen. Natürlich haben wir die Erfahrung gemacht, dass es auch junge Menschen gibt, die sich trotz aller geduldigen Auseinandersetzung nicht an die veränderte Situation anpassen möchten. Sie wollen oder können sich nicht an die AHA-Regeln halten. In diesen Fällen ist es für Pädagoginnen und Pädagogen wichtig, nicht mutlos zu werden und die Situation zu akzeptieren. Entweder wird es einen Zeitpunkt geben, wo es vielleicht doch interessant wäre, sich auf ungeliebte Regelungen einzulassen. Oder man wartet auf die „Post-Corona-Zeit“, in der eine neue alte Normalität für analoge Kontakte wiederkommen wird. Lasst uns am Ball bleiben. Irgendwann wird das große C zu einem kleinen werden und wir werden wieder lachend zusammensitzen und über die verrückten Zeiten reden: Durchhalten, den Humor nicht ver- lieren und gesund bleiben! Susanne Kußmaul, Einrichtungsleitung ASP und JT Neuhausen Kunst ohne Publikum, Kulturschaffende ohne Perspektive Zeit für Kultur Jetzt sitze ich da, und es ist Winter. Schon wieder? Immer noch? Zeit ist etwas Komisches – glitschig und schwer zu halten. Wie diese seltsamen Spielzeuge aus den 1990er Jahren, die Flutschi hießen. Sie sahen aus wie kleine Kissen, innen voll bunter Flüssigkeit, in meiner Erinnerung meist blau und mit Plastikfischen befüllt, wie kleine Aquarien. Auf den ersten Blick wirkten Flutschis weich und glibberig, aber zumindest greifbar. Die Möbiusschleife im Inneren zeigte sich erst beim Zugriff: Je fester man zupackte, desto eher entzogen sich die Flutschis der Umklammerung, kehrten das Innen nach Außen und andersherum, landeten dann meist mit einem synthetisch klingenden „Flatsch“ auf dem Boden. Die Zeit in dieser heutigen Welt fühlt sich an, als wäre sie ins Innere eines solchen Flutschis gerutscht, eingeschlossen in Glibber, um sie herum schwebende Erscheinungsformen. Nicht mehr lange, dann ist schon wieder März. Oder immer noch? Irgendwie macht das keinen Unterschied mehr. Für die Kreativität bedeutet das Alles und Nichts. Allen Formen der Kunst ist gemein, dass die Zeit ihr ultimatives Medium ist. Ein Gemälde ist nur ein Gemälde, weil Licht in unterschiedlichen Frequenzen von den einzelnen Pigmenten reflektiert wird. Musik ist nur Musik, insofern sie die Zeit in Takte und Wellen gliedert. Der Film ahmt das Verstreichen der Zeit zwischen statischen Bildern nach. Die Sprache versucht Veränderung in Worte zu fassen. Was aber, wenn die Zeit selbst ihr Wesen zu verändern scheint, wie in diesen Tagen? Was ich als musik- und texteschreibender Mensch im letzten Jahr sehr plastisch erfahren habe: Es gibt sie nicht, die reine Kreativität, die zeitlose Kunst, die Fiktion, die an keine Realität gebunden ist. Zu Beginn der Pandemie veröffentlichte ich mit meiner Band ein De- bütalbum, auf das wir zwei Jahre lang hingearbeitet hatten. Was für ein Timing! Release-Konzert: abgesagt. Festivals: abgesagt. Pläne Ohne Kunst und Kultur ist’s richtig still; mit unabsehbaren Folgen für die Künstler*innen und das Publikum. für das gesamte Jahr: verschoben. Im Frühjahr 2020 fasste ich, wie vermutlich unendlich viele andere Menschen auch, gute Vorsätze für kreativen Ausgleich. Mehr Zeit beim Schreiben neuer Lieder verbringen als bei lästigen Promo- und Organisationsaufgaben. Endlich mal den Roman anfangen, der mir schon so lange im Kopf rumschwebt. Malen wollte ich auch. Eine bleierne Zeit Jetzt ist es 2021, fast ein Jahr ist verstrichen seit Beginn der Pan- demie. Von einem Roman fehlt jede Spur, und so wenige Lieder wie im vergangenen Jahr habe ich noch nie geschrieben. Es gibt bestimmt zahlreiche Künstlerinnen und Künstler, bei denen das anders ist, die mit und über Corona kreativ, vielleicht kreativer als sonst, werden konnten. Ich für meinen Teil musste feststellen: Ich brauche anständig verstreichende, gelebte Zeit als Input für meine Kreativität – keine blaue Glibbermasse. Im Mai hat meine Band doch noch ein Release-Konzert gegeben – als Online-Stream und ohne Publikum. Der Manager der Münchner Konzert- location erzählte mir von dem Schicksal, das ihn und seine Kolleginnen und Kollegen ereilt hatte. Er selbst musste, um finanziell zu überleben, in einer Fabrik Schichtdienst schieben. Viele andere gingen auf die Spargelfelder und halfen bei der Ernte. Das war im Frühjahr 2020. Was macht er wohl jetzt? Wie viele Kulturschaffende haben sich, frustriert über sehr schleppend für die Kultur bereitgestellte Staatshilfen, end- gültig von ihrem eigentlichen Beruf verabschieden müssen? Sein Club ist mittlerweile zu einem Schnelltest-Zentrum umfunktioniert worden. Andere mussten endgültig schließen. Darunter einige, in denen ich selbst viele bunte und aufregende Nächte verbracht habe, die später den Stoff für neue Songs lieferten. Es ist keine leichte Zeit für Künstlerinnen und Künstler. Wir brauchen Raum und Zeit, um Kunst zu schaffen, und all das fehlt uns im Moment. Es ist ein Widerspruch, mit dem wir momentan leben müssen: Die Kultur braucht die Zeit, die es gerade nicht gibt. Doch in der aktuellen Zeit brauchen wir als Gesellschaft auch dringend die Kultur, die es gerade nicht geben kann. Also machen wir weiter. Jakob Arnu Jakob Arnu wurde 1996 in der Nähe von München geboren, spricht und schreibt aber flüssig Hochdeutsch. Abgeschlossenes Studium der Philosophie und Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. In den brotlosen Branchen fühlt er sich daheim und ist dem- entsprechend auch als freischaffender Radiomacher, Musikproduzent und Autor tätig. Foto: Vlad Vasnetsov, pixabay.de

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