K3 No. 1 - Februar 2018

Dachzeile | 01 | 2018 22 das kommt Eltern & Familie Schwerpunk Eltern sind Vorbild, Familie wird immer wichtiger Blut ist doch dicker Der allgemeine Befund, dass Eltern wichtige Vorbilder sind, ist aus unterschiedlichen Jugenduntersuchungen bekannt und gilt für viele Jugendliche. Aber längst nicht für alle. Belastete Beziehungen gehen oft im allgemeinen Familienhochgefühl unter. Für die meisten Kinder ist Familie die erste Form von Gemeinschaft, in der sie aufwachsen. Familie kann dabei unterschiedliche Formen annehmen. Immer weniger Kinder leben in „klassischen“ Familien mit zwei verheirateten Elternteilen und ein bis zwei Geschwistern. Egal, wie ihre Familie zusammengesetzt ist – für Kinder und Jugendliche ist sie wichtig. In der Betrachtung der letzten Jahrzehnte gewinnt sie sogar zunehmend an Bedeutung. My home is my castle Die Shell-Jugendstudie fragt Jugendliche seit vielen Jahren nach der Beziehung zu ihren Eltern und dem Stellenwert, den Familie für sie einnimmt. Von den 12- bis 25-Jährigen kommen 2015 etwa 40 Prozent bestens und weitere 52 Prozent gut (mit gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten) mit ihren Eltern klar. Damit pendelt sich dieser Wert seit 2002 auf einem hohen Wert ein. Dreiviertel aller befragten Jugendlichen geben an, dass sie ihre Kinder genauso erziehen wollen, wie ihre Eltern sie erziehen. Dieser Wert ist seit 2002 um 15 Prozentpunkte angestiegen. 1 In Interviews, die vertiefend zur quantitativen Shell-Befragung durchgeführt wurden, machen junge Menschen deutlich, was ihnen im Verhältnis zu den Eltern wichtig ist. Es kommt auf einen freund- lichen Umgangston, Offenheit füreinander, Zuverlässigkeit und gegenseitiges Verständnis an. Eltern bedeuten für junge Menschen Geborgenheit und sind ein Garant für Sicherheit und Stabilität, sie sind Schutzraum und Quelle für Anerkennung. Mädchen und junge Frauen beschreiben vor allem Vertrauen als zentralen Wert. Mit Blick in die Zukunft wünschen sie sich, dass diese gute Beziehung bestehen bleibt. Jungen und junge Männer beschreiben ihre künftige Beziehung zu den Eltern pragmatischer und weniger emotional. 2 Die beschriebene Qualität der Beziehung zu den Eltern hängt aller- dings stark von der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Schichten ab (die Shell-Studie bezieht sich auf Einkommensschichten und nicht – wie beispielsweise die Sinusstudie – auf soziale und kultu- relle Milieus). Während die Jugendlichen aus der obersten Schicht zu 45 Prozent angeben, bestens mit den Eltern klarzukommen, sind es in der untersten Schicht nur 21 Prozent. Von ihnen wollen auch nur 47 Prozent die eigenen Kinder genauso erziehen, wie sie selbst erzogen wurden. In der obersten Schicht sind es 87 Prozent. Dieser Unterschied hat sich über die Jahre verstärkt. 3 Die Sinusstudie aus 2016 stellt für alle Milieus eine Bedeu- tungszunahme von Familie fest, auch in den Milieus, in denen die Beziehungen von Kindern zu ihren Eltern eher belastet sind. Der 15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung sieht darin für Kinder und Jugendliche, die ohne familiären Rückhalt aufwachsen oder in konflikthaften Familienbeziehungen leben, eine Gefahr: „Die Thematisierung solch fehlender familialer Beziehungen wird nicht nur verbal erschwert, sondern sie findet in einer Welt, in der es zum Selbstverständnis gehört, solche Beziehungen zu aktivieren oder da- rauf zurückgreifen zu können, kaum mehr Gehör oder Verständnis.“ 4 In einer Gesellschaft, in der allgemein davon ausgegangen wird, dass junge Menschen in behüteten, unterstützenden und wertschätzenden familialen Beziehungen aufwachsen, ist es für diejenigen Kinder und Jugendlichen, die solche familialen Beziehungen nicht vorfinden, schwierig, diesen Mangel auszusprechen. Anker im rauen Berufsleben Da junge Menschen heute in einer Arbeitsmarktsituation aufwach- sen, die ihnen erst relativ spät ein längerfristiges Beschäftigungs- verhältnis bietet, erfolgt bei vielen Jugendlichen auch der Auszug aus dem Elternhaus relativ spät. Hier zeigt sich ein Zusammenhang zwischen erstem Auszug und erreichtem Bildungsabschluss: Abituri- entinnen und Abiturienten verlassen im Durchschnitt mit 21 Jahren das Elternhaus, Jugendliche mit maximal einem Hauptschulabschluss allerdings erst mit etwa 25 Jahren. 5 Diese Zahlen lassen den Schluss zu, dass gerade die Jugendlichen, die die Beziehung zu ihren Eltern durchschnittlich weniger gut beurteilen, den Absprung aus dem Elternhaus deutlich später schaffen. Befragt nach ihren Vorstellungen für ihr künftiges Leben zeigt sich, dass – trotz der allgemein positiven Bewertung der Beziehung zu den eigenen Eltern – Familie für junge Menschen nicht unbedingt zu einem späteren glücklichen Leben gehört. Auf den Frageimpuls „Man braucht eine Familie, um glücklich zu sein“, antworten 2015 nur noch 63 Prozent mit ja (2010 waren es 76 Prozent). Für Mädchen und junge Frauen gehört Familie deutlich stärker zu einem glücklichen Leben (70 Prozent) als für Jungen und junge Männer (57 Prozent). Die soziale Zugehörigkeit spielt bei der Beantwortung dieser Fragen dabei keine Rolle. Eine Einflussgröße neben dem Geschlecht stellen vielmehr die Faktoren Migrationserfahrung, ländliche oder groß- städtische Region sowie östliche oder westliche Bundesländer dar. Zusammengefasst zeigt sich, dass vor allem junge deutsche Männer aus großstädtischen Regionen in den westlichen Bundesländern am häufigsten verneinen, dass es einer Familie bedarf, um glücklich zu leben. Dr. Manuela Sauer, Leitung Referat für Grundsatzfragen, KJR 1 Vgl. Albert, Mathias; Hurrelmann, Klaus; Quenzel, Gudrun: Jugend 2015. 17 Shell Jugendstudie, Frankfurt/Main, 2015, S.52ff. 2 Vgl. ebd. S. 279 ff. 3 Vgl. ebd. S. 53. 4 15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung: Bundestagsdrucksache 18/11050, 2017, S. 200. 5 Vgl. ebd., S. 207. Ob man es will oder nicht: Die Eltern sind ein Leben lang die wichtigsten Bezugspersonen, Sozialisationsinstanz und im besten Fall Freunde für immer Foto: Alexandra H., pixeli o .de

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