K3 No. 2 - Mai 2025

Dachzeile 30 das kommt | 02 | 2025 So ungerecht! Schwerpunkt Miriam Siemon, Wolfgang Reißmann und Margreth Lünenborg haben eine Langzeitanalyse von #MeToo auf Twitter (heute X) vorgelegt, bei der insbesondere drei Ergebnisse von Interesse sind (Siemon et al. 2023): ■ #MeToo kann als die erfolgreichste Hashtag-Kampagne angesehen werden, die wir bislang kennen. Wenn man sich die Anzahl der Tweets mit Bezug zu #MeToo im Zeitverlauf ansieht, wird dabei ein sogenanntes „multi-spike-pattern“ deutlich. Damit ist gemeint, dass Phasen mit einer hohen Aktivität und Phasen mit einer geringen Aktivität aufeinander folgen. Dieses Ergebnis ist bereits für die englischsprachige #MeToo-Bewegung aufgezeigt worden – es gilt aber auch für das deutschsprachige #MeToo, wie Siemon/Reißmann/Lünenborg zeigen können. Dabei sind einerseits Ereignisse im deutschsprachigen Kulturraum relevant, wie die Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen Dieter Wedel, Luke Mockridge oder Julian Reichelt. Hier hat das Hashtag also genau die Funktion der Aufmerksamkeitslenkung auf die Ungerechtigkeit. Andererseits sind dabei aber auch Akteur*innen relevant, die sich gegen #MeToo stellen. ■ So zeigt sich eine deutliche Polarisierung der Akteur*innen, die mit dem Hashtag operieren: Mit dem Hashtag #MeToo äußern sich unterschiedliche Gruppen mit teils widerstreitenden Positionen. Diese können zusammengefasst werden als feministische Akteur*innen und Gruppen, rechte und antifeministische Akteur*innen und Gruppen sowie Nachrichtenmedien. Wer sich in Social Media also gegen Ungerechtigkeiten stellt, muss ggf. auch mit Gegenpositionen rechnen. Im Falle von #MeToo wird sogar deutlich, dass rechtspopulistische Akteur*innen systematisch versuchen, den Diskursraum zu erobern und ihre Narrative nach vorne zu stellen. ■ Interessant ist, dass im #MeToo-Diskursraum auch (klassischen) Nachrichtenmedien eine bedeutende Rolle zukommt. Gerade in den Hochphasen der Aktivitäten, wenn konkrete Fälle diskutiert werden, sind Nachrichtenmedien in ihrer Aktivität sichtbar und tragen damit zu der Sichtbarkeit von #MeToo und auch der damit artikulierten Anliegen bei. Im Zeitverlauf wird aber ersichtlich, dass die Aktivität insgesamt abnimmt und immer weniger Nachrichten-Medien auch im Diskursraum bleiben, wenn es keine aktuellen Meldungen gibt. Medien reproduzieren Ungerechtigkeiten, können aber auch Mittel dafür sein, sie zu benennen und zu bekämpfen – weltweit! Bild: Ra Dragon auf unsplash.com Social Media als Gerechtigkeitsversprechen? Können aus der Analyse von #MeToo Erkenntnisse für die Bedeutung von Social Media für die mediale Thematisierung von (Un-)Gerechtigkeit gezogen werden? Sicher. Denn offenbar ist es zumindest zeitweise gelungen, ein Thema auf die Agenda zu setzen und auch Nachrichtenmedien in den Diskurs einzubinden. Damit bietet sich die Chance, dass auch Personengruppen außerhalb der aktivistischen Community mit den artikulierten Anliegen in Berührung kommen. Zugleich zeigt das Beispiel auch eindrücklich, dass man auch mit Gegenpositionen rechnen muss und hier ein Durchhaltevermögen sowohl zeitlich als auch in Bezug auf die inhaltlichen Argumentationen gefordert ist. Mit dem Beispiel wurden aber auch viele Fragen nicht bearbeitet: So wird im Zusammenhang mit der Sichtbarkeit von Inhalten zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine oder auch zu den ersten Amtswochen von Donald Trump diskutiert, dass und wie verschiedene Plattformen aktiv Einfluss darauf nehmen, welche Hashtags und Inhalte wie sichtbar sind. Ähnlich wie zuvor auch bei Zeitungen und Zeitschriften wirft das die Frage auf, inwiefern die Eigentumsverhältnisse von Medien auch Einfluss auf die Sichtbarkeit von Positionen haben. Der Eindruck ist: same same, but different. DR. NIELS BRÜGGEN, Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft (Schwerpunkt Medienpädagogik), Informatik und Erziehungswissenschaften, Leitung der Abteilung Forschung des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis Literatur ■ Siemon, Miriam; Reißmann, Wolfgang; Lünenborg, Margreth (2023): Das deutschsprachige #MeToo: Erste Ergebnisse einer Langzeitanalyse auf Basis von Twitterdaten. Unter Mitarbeit von Elke Grittmann, Kathrin Müller, Corinna Peil, Jan Pinseler und Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft e.V.

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjk2NDUy