| 02 | 2025 27 So ungerecht! Schwerpunkt Psychosoziale Versorgung und Psychotherapie Welche Hilfe bekommen Geflüchtete (nicht)? Die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten ist voller bürokratischer Hürden und systematischer Ausgrenzung. Zufällige Faktoren entscheiden darüber, ob Menschen, die durch Krieg, Flucht, Verfolgung oder Gewalt traumatisiert wurden, Hilfe erhalten. Ungefähr 30 bis 40 Prozent der Asylsuchenden in Deutschland sind durch Krieg, Folter oder Flucht schwer traumatisiert. Sie benötigen professionelle Hilfe wie zum Beispiel Psychotherapie. Bei Kindern und Jugendlichen gibt es keine aussagekräftigen Studien über Traumatisierung, doch bei ihnen dürfte die Zahl noch höher liegen. Geflüchtete haben während ihres Asylverfahrens in den ersten 36 Monaten nur einen stark eingeschränkten Zugang zu medizinischen Leistungen. In dieser Zeit sind Behandlungen nur bei akuten Erkrankungen oder Schmerzen möglich. Psychotherapeutische Behandlungen müssen vom Sozialamt genehmigt werden, was oft mit langen Bearbeitungszeiten verbunden ist. Die Genehmigung ist keineswegs sichergestellt. Das heißt, die Hilfe hängt stark davon ab, ob die traumatisierte Person an einem Ort untergebracht wird, wo Unterstützungsstrukturen vorhanden sind, also Menschen, die auf den Bedarf aufmerksam werden. Weiter muss es eine Einrichtung in der Nähe geben, die psychosoziale Beratung und Therapie für Geflüchtete anbietet und ausreichend Plätze hat. Der eingeschränkte Zugang zu medizinischen Leistungen von Asylsuchenden führt dazu, dass viele psychische Erkrankungen unbehandelt bleiben oder sich verschlimmern. Auch die Sprachbarriere führt häufig zu einem sehr erschwerten Zugang zu Therapie: Die Kosten für Dolmetscher*innen werden oft nicht übernommen, was eine adäquate Behandlung zusätzlich erschwert. Junge Menschen sind besonders verletzbar Kinder und Jugendliche stellen eine besonders vulnerable Gruppe dar, deren psychische Gesundheit häufig niemand im Blick hat. Ihre Eltern sind teilweise selbst sehr belastet, so dass sie auf die Not ihrer Kinder nicht eingehen können. Sozialdienste oder Beratungsstellen haben oft kaum Zugang zu den jüngsten unter den Geflüchteten. In Schulen oder Kitas fehlt häufig die nötige Aufklärung, um Bedarfe zu erkennen. Auch fehlen spezifische Angebote für diese Altersgruppe. Frauen und Opfer sexualisierter Gewalt sind trotz ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit oft unzureichend versorgt und wissen nicht, wohin mit ihrer Not. Gleichzeitig erschweren die Lebensbedingungen während des Asylverfahrens die Verarbeitung von traumatischen Erfahrungen: Asylsuchende müssen in Massenunterkünften wohnen, die häufig nicht kind- und jugendgerecht sind – oft jahrelang; einige dürfen nicht arbeiten; sie werden als Fremde diskriminiert, können ihre Zukunft nicht planen und sind in hohem Maße abhängig von Behörden. Die unzureichende psychosoziale Versorgung hat weitreichende Konsequenzen für die Betroffenen und die Gesellschaft insgesamt. Unbehandelte psychische Probleme können sich verschlimmern und chronisch werden, was langfristig höhere Kosten für das Gesundheitssystem verursacht. Zudem beeinträchtigen psychische Belastungen die Integration der Betroffenen in Gesellschaft, Bildung und Arbeitsmarkt erheblich. Viele Geflüchtete erleben aufgrund fehlender Unterstützung soziale Isolation und ein Gefühl der Perspektivlosigkeit. Gleichzeitig führt die unzureichende Versorgung der Geflüchteten übermäßig häufig zu Einweisungen in die Psychiatrie. Das führt bei den psychiatrischen und psychotherapeutischen Diensten zu längeren Wartezeiten und einer Verschlechterung der Versorgungsqualität. Mangelware Therapie Auch einheimische Kinder und Jugendliche warten inzwischen Ewigkeiten auf einen Therapieplatz. Der Unterschied ist, dass der Bedarf bei geflüchteten Kindern und Jugendlichen sehr oft nicht erkannt wird. Und wenn er erkannt wird, dann verhindern die oben genannten Faktoren, dass die jungen Menschen überhaupt einen Zugang zu Therapie erhalten. Sie bleiben meist ohne therapeutische Unterstützung trotz ihrer traumatischen Erfahrungen. Um eine bessere psychosoziale Betreuung von traumatisierten Asylsuchenden zu erreichen, sind umfassende Reformen notwendig. Ein zentraler Schritt wäre der Ausbau psychosozialer Zentren (PSZ) für Geflüchtete, die spezialisierte Unterstützung durch multidisziplinäre Teams bieten. Deren Finanzierung muss dauerhaft abgesichert werden. Ebenso wichtig ist die Finanzierung von Dolmetscherleistungen, da Sprachvermittlung ein integraler Bestandteil jeder Therapie sein muss. Darüber hinaus bedarf es spezifischer Angebote für besonders vulnerable Gruppen wie Kinder, Frauen sowie Opfer von Gewalt und Folter. Die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten ist ein essenzieller Baustein für deren Integration zum Wohl der Gesamtgesellschaft. Nur so kann sichergestellt werden, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Status Zugang zu der Unterstützung erhalten, die sie benötigen. Und egal welchen Aufenthaltstitel eine Person hat – medizinische Versorgung ist ein Menschenrecht. HEIKE MARTIN, Jahrgang 1975 aus München, Studium politische Wissenschaften/Rechtswissenschaft und Psychologie, Leitung Öffentlichkeitsarbeit Refugio München Über Refugio München Refugio München ist ein Beratungs- und Behandlungszentrum für traumatisierte Menschen mit Fluchterfahrung. Mit psychosozialen, therapeutischen und pädagogischen Angeboten und der Zusammenarbeit mit Dolmetscher*innen sowie Außenstellen in Landshut und Augsburg ist es eine der wenigen Anlaufstellen für traumatisierte Geflüchtete in Bayern. Das 1994 gegründete Zentrum unterstützt pro Jahr rund 3.000 geflüchtete Kinder, Jugendliche und Erwachsene, ihre traumatische Vergangenheit zu bewältigen. Kunst und Kreativität sind nur ein Teil der psychosozialen Versorgung von Kindern und Jugendlichen – ein sehr zentraler. Bild: Refugio Kunstwerkstatt
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