| 02 | 2025 25 So ungerecht! Schwerpunkt Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen Ein langer Weg Mein Name ist Zohal Mohammadi. Ich bin 27 Jahre alt und komme aus Afghanistan. Ich studiere im zweiten Semester den Masterstudiengang System Information Engineering an der TH Ingolstadt. Ich arbeite als Werkstudentin bei einem japanischen Pharmaunternehmen, das großen Wert auf die Nachwuchsförderung legt und gut mit der Vielfalt der Mitarbeitenden umgeht. Ende 2013 war ich als minderjährige Geflüchtete – damals 16 Jahre alt – in Deutschland angekommen; genauer gesagt in einem Flüchtlingsheim in München. Hier habe ich zusammen mit meiner Familie einen Monat verbracht, bevor wir nach Kochel am See geschickt wurden. Dort wurden wir herzlich von ehrenamtlichen Helfer*innen aufgenommen und willkommen geheißen. Nach einiger Zeit stellte sich die Frage, wie meine Geschwister und ich eine Schule besuchen könnten. Besonders unterstützend war dabei unser ehrenamtlicher Helfer, der mittlerweile ein sehr guter Freund geworden ist. Die erste Herausforderung ergab sich jedoch aus meinem Alter. Im Gegensatz zu meinen jüngeren Geschwistern war die Anmeldung an einer Schule für mich komplizierter. Es wurde diskutiert, ob ich überhaupt direkt zur Schule gehen dürfe oder erst einen Integrationskurs besuchen müsse. Glücklicherweise schaffte es unser ehrenamtlicher Helfer, mich doch an der Mittelschule Benediktbeuern anzumelden. Ich wurde in die 8. Klasse eingeschult, die allerdings schon fast zu Ende war. Ohne Ehrenamtliche kaum möglich In der 9. Klasse stand dann die Abschlussprüfung (Quali) an, die ich ebenso wie meine Klassenkamerad*innen ablegen wollte. Die nächste Hürde auf diesem Weg war die Sprache und die neue Umgebung in einem für mich fremden Land. Dank der Unterstützung unseres Helfers konnte ich diese Herausforderungen meistern und schloss den Quali als beste Schülerin von zwei Klassen ab. Diese Unterstützung öffnete mir den Weg, auch die Mittlere Reife zu machen, und stärkte mein Vertrauen in mich selbst. Während dieser Zeit erfuhr ich durch eine Lehrerin, die an der FOS/BOS unterrichtete und sich ehrenamtlich engagierte, von dem Programm „Talent im Land Bayern“. Dabei handelt es sich um eine Stiftung, die jährlich 50 Schüler*innen mit Migrationshintergrund als Stipendiat*innen aufnimmt. Aufgrund meiner Noten und meines eigenen ehrenamtlichen Engagements bewarb ich mich und wurde glücklicherweise aufgenommen. Erst in dieser Stiftung traf ich auf Schüler*innen, die für mich als Vorbilder galten, da sie einen ähnlichen Hintergrund hatten wie ich. Diese Begegnungen gaben mir den Mut, über höhere Bildungsabschlüsse nachzudenken und mir selbst mehr zuzutrauen. Dank dieser Inspiration konnte ich später mein Fachabitur im Bereich Wirtschaft erfolgreich abschließen und als geflüchtetes Kind sogar ein Studium beginnen. Mein persönlicher Zugang zur Ausbildung, zur Schule und zum Studium wurde durch die Vorbilder beim „Talent im Land Bayern“, die Unterstützung ehrenamtlicher Helfer*innen und aufmerksamer Lehrkräfte ermöglicht. Sehr wichtig finde ich daher die Arbeit der Ehrenamtlichen, die einen unschätzbaren Wert für unsere Gesellschaft haben. ZOHAL MOHAMMADI, 27 Jahre aus Afghanistan, Masterstudiengang System Information Engineering Bild: Jeswin Thomas auf unsplash.com Im Ausland erworbene Bildungsabschlüsse qualifizieren oft nicht für den deutschen Arbeitsmarkt – eine vertane Chance. Das bayerische Bildungssystem scheint nicht verhandelbar. Was kann die Kinder- und Jugendhilfe tun? Jugendarbeit kann diese Räume der Anerkennung bieten. Hier können junge Menschen auch positive Resilienzerfahrungen machen, weil es Bezugspersonen gibt. Man darf nicht unterschätzen, dass dauerhafte Erfahrungen von Deprivation und Benachteiligung auch zur Radikalisierung führen können. Da wirkt Jugendarbeit entgegen. Übrigens: Migration wird fast nur im Bildungsbereich als problematisch gesehen. In der Wirtschaft, der Kultur oder im Sport findet man deutlich weniger Ablehnung. Das verstärkt die Dringlichkeit des Problems, denn junge Menschen nehmen daraus wahr, dass man zwischen schlechten und guten Migrant*innen unterscheidet. Was kommt mit einer neuen Bundesregierung auf uns zu? Bildungsreformen müssten viel stärker in Richtung einer längeren gemeinsamen Schulzeit gehen. Da liegt meine Hoffnung teilweise bei der SPD. Meine Befürchtung ist aber, dass es durch die Verschärfung der Migrationsdebatte zu weiteren Ausgrenzungserfahrungen und Ausgrenzgefühlen gerade bei jungen Migrant*innen kommt. Interview: Marko Junghänel KRASSIMIR STOJANOV, Jahrgang 1965 aus Goce Delchev (Bulgarien), Studium der Philosophie, Soziologie und Pädagogik an den Universitäten Sofia und Hannover, Professor für Bildungsphilosophie und Systematische Pädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt So ungerecht, dass … » … wie die Menschen allgemein behandelt werden, z.B. in der Türkei oder Ukraine (junge Frau, 25) So ungerecht, dass … » … immer gleich ich beschuldigt werde, wenn in der Schule etwas geklaut wurde, nur weil ich aus Rumänien stamme (Junge, 16)
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjk2NDUy