K3 No. 2 - Mai 2025

Dachzeile 24 das kommt | 02 | 2025 So ungerecht! Schwerpunkt Wie Migration in der Bildung dargestellt wird Wenn Bildung ausgrenzt Im Bundestagswahlkampf war Migration das beherrschende Thema; und es wurde dabei überwiegend skandalisiert. Im Gespräch dazu mit dem Bildungsphilosophen und Pädagogen Prof. Krassimir Stojanov. Was löst so eine unreflektierte Diskussion über Migration aus? Prof. Krassimir Stojanov: Migration und Zuwanderung werden so nicht zuletzt bei jungen Menschen durch eine defizitäre Optik betrachtet. Das führt u.a. zu Formen von Selbstethnisierung. Menschen mit Migrationsgeschichte werden nach wie vor in unserer Gesellschaft nicht vollumfänglich als Teil dieser Gesellschaft anerkannt. Häufig kommt es dazu, dass sie sich konstruierten Gemeinschaften von Gleichgesinnten anschließen, sich abschotten und noch weniger am gesamtgesellschaftlichen Leben teilhaben. Im Bereich der schulischen Bildung ist diese Diskussion besonders problematisch. Auch dort wird Migration als Defizit verstanden. Kinder mit Migrationsgeschichte erleben Ausgrenzung und Marginalisierung. So, wie das Bildungssystem etwa in Bayern aufgebaut ist – mit frühkindlicher Selektion gleich nach der Grundschule –, wird dieser Effekt noch verstärkt. Wie bildet sich Migration im Schulalltag ab? Nicht zuletzt in schulischen Lehrbüchern wird Migration immer noch im Zusammenhang mit Problemen dargestellt – zum Beispiel werden diese Menschen als Personen gekennzeichnet, die „zwischen den Stühlen sitzen“. Der Subtext lautet, dass man sich um solche Menschen besonders kümmern und sie fördern müsste. Das ist möglicherweise gut gemeint, verstärkt aber den defizitär ausgerichteten Blick. Die Frage ist allerdings auch, ob man Migrationserfahrungen gar nicht thematisieren sollte. Meine Position dazu ist, dass Migrationsgeschichte immer als etwas Individuelles betrachtet werden sollte und zu einem biografischen Reifungs- und Bildungsprozess beiträgt. Wir müssen neue Ausdrucksformen finden, wie Migration im schulischen bzw. im öffentlichen Rahmen als selbstverständliches Thema verstanden wird. Das führt zur „Theorie der Anerkennung“. Was versteht man darunter? Die „Theorie der Anerkennung“ besagt, dass die Persönlichkeitsentwicklung von Anerkennungserfahrungen abhängt. Der Mensch braucht Formen von Anerkennung, damit er Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl und Selbstschätzung entwickeln kann. Das wiederum ist Voraussetzung dafür, bestimmte Fähigkeiten und Kompetenzen zu entwickeln. Umgekehrt gilt, dass, wenn man dauerhaft Missachtungserfahrungen macht, eben diese Persönlichkeitsentwicklung stark unterdrückt wird. Wenn wir von Anerkennungsformen sprechen, meine ich nicht ein Schulterklopfen. Es gibt drei Formen von Anerkennung, die ausschlaggebend sind: Empathie bzw. Zuwendung, Respekt und schließlich die soziale Wertschätzung. Jeder Mensch verlangt nach Empathie, um einen Zugang zu den eigenen Bedürfnissen zu finden. Dafür braucht man die Spiegelung durch Bezugspersonen. Jeder Mensch möchte drüber hinaus Respekt im Sinne von Anerkennung seiner Gleichwertigkeit. Und jeder Mensch will soziale Wertschätzung, damit er Fähigkeiten und Kompetenzen entwickeln kann, die er als nützliche Beiträge in die Gesellschaft hineingeben kann. Wenn aber Menschen dauerhaft durch diese defizitäre Optik wahrgenommen werden, haben sie Schwierigkeiten, ihre kognitiven Fähigkeiten zu entwickeln, sie werden ihre Interessen nicht in der Öffentlichkeit vertreten und begründen – sind an Diskussionen nicht beteiligt. Zweisprachigkeit wird zum Beispiel in der Schule als Problem wahrgenommen, weil junge Menschen oft zwischen den Sprachen switchen. Wenn diese wertvolle Kompetenz nicht wertgeschätzt wird, verkümmert sie leider. Was müsste Bildung, Pädagogik als Disziplin und eine praktische Pädagogik vor Ort tun, um diese falsche Herangehensweise aufzulösen? Der wichtigste Punkt wäre die Abschaffung einer frühen schulischen Selektion, wie sie vor allem in Bayern passiert. Ich beobachte das gerade an unseren eigenen Kindern. In der Grundschule war die Herkunft kein Thema. In den ersten Jahren der Grundschule und gegen Ende der Grundschule, wenn Übertrittsempfehlungen anstehen, und dann in der Sekundarstufe entwickeln sich Unterscheidungslinien nach Herkunft zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Müsste man in diesem Zusammenhang auch einen Blick auf die Ausbildung von Pädagog*innen richten? Hier sind zwei Problematiken zu beobachten. Zum einen sehe ich bei meinen Studierenden durchaus einen kulturalistischen Blick auf die Welt, der nach sogenannten Kulturkreisen unterscheidet. Zum anderen muss klar werden, dass es in diesen Berufen um Beziehungs- und Anerkennungsfähigkeit geht – darum, Bindungen aufzubauen. Das passiert in der Ausbildung jedoch bislang kaum. Im Bereich der schulischen Bildung werden Migrationserfahrungen immer noch häufig mit persönlichen Defiziten assoziiert. Bild: Husniati Salma auf unsplash.com So ungerecht, dass … » … ich die Lust verliere zur Schule zu gehen, da ich Sprüche wie „du gehörst nicht hier hin oder wasch mal deine Klamotten“ höre und einfach die Blicke sehe. Oder in öffent- lichen Verkehrsmitteln, wie die Leute mich anschauen und sich nicht neben mich setzen wollen, bis ich aufstehe (Junge, 15) So ungerecht, dass … » … man manchmal von Leuten wegen seiner Kleidung be- leidigt wird, z.B. Kopftuch, traditionelle Kleidung (Junge, 14)

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