K3 No. 1 - Februar 2025

Dachzeile 18 das kommt | 01 | 2025 Schutz vor (sexualisierter) Gewalt Schwerpunkt Wirksamer Schutz setzt umfassende Aufarbeitung voraus Blick zurück nach vorn „Bevor wir über Schutzkonzepte zur Verhinderung sexualisierter Gewalt sprechen, müssen sich Organisationen auch mit ihrer historischen Verantwortung auseinandersetzen“, sagt der Sozialpsychologe Prof. Dr. Heiner Keupp. abhängig von einem Trainer oder einer Trainerin. Es entsteht ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis, das nicht zuletzt auf Bewunderung beruht. Die betreffenden Personen und Täter*innen nutzen dieses Machtgefälle aus – in der Regel nicht vorsätzlich, aber in der Folge mit massiven Grenzüberschreitungen oder sexualisierter Gewalt. Warum verläuft die Aufklärung oft so schleppend? Die Katholische – aber auch die Evangelische – Kirche haben noch immer nicht die uneingeschränkte Verantwortung für Fälle von sexualisierter Gewalt übernommen. Oft werden Täter*innen durch die Institution sogar geschützt, indem man sie auf andere Positionen versetzt. Man nennt das Institutionenschutz, weil man sich vor einer dauerhaften Beschädigung seines eigenen Arbeitsfeldes fürchtet. In der Katholische Kirche kommt hinzu, dass man sich allen geweihten Priestern verbunden fühlt, denn die Weihe bringt einen Priester für gläubige Menschen in eine besondere Nähe zu Gott und diese religiöse Macht ist eine Ursache für den Missbrauch. Man müsste also die Systemfrage innerhalb dieser Organisation stellen? Es ist nicht einfach, die eingeübten Wege und Rituale zu ändern. Aber eine solche Privilegierung von Funktionsträgern in Kirchen oder anderen Einrichtungen ist gefährlich. Stichwort Schutzkonzept – ist es damit getan? Ich bin natürlich für gute Schutzkonzepte, aber bin gleichzeitig skeptisch, weil sie oft als Beleg für eine Vermeidung von Aufarbeitung gelten können. Dort, wo man ein Schutzkonzept vorweisen kann, wird argumentiert, dass man eher in die Zukunft investieren wolle und nicht in die Aufarbeitung der Vergangenheit. Man sagt in dieser Situation meist nur, dass man ab sofort besser auf Kinder und Jugendliche achten wolle. Meine These ist, dass man gefährliche systemische Abläufe nur aushebeln kann, wenn man die Geschichte der Institution und die Verfehlungen rekonstruiert. Würde das auch für Einrichtungen wie einen Kreisjugendring gelten? Man muss unterscheiden zwischen Organisationen, die sich der Aufarbeitung stellen, und Projekten, die ein Schutzkonzept nur als äußere Legitimation sehen. Beim KJR gibt es die Besonderheit, dass er selbst Anbieter von Maßnahmen für Kinder und Jugendliche ist. Dem KJR muss klar sein, dass man dabei aber nicht automatisch auf der Seite „Der Guten“ steht. Man muss sich diese Position erarbeiten und immer wieder belegen können. Das bedeutet auch, dass sich die Mitarbeiter*innen zwingend mit diesem unschönen Thema auseinandersetzen. Was ist nun zu tun – ein strengerer gesetzlicher Rahmen, mehr Präventionsarbeit? Wir waren auf Bundesebene mit einem Gesetzentwurf zur Aufarbeitung schon sehr weit und hatten gehofft, dass dieses Gesetz schnell umgesetzt werden könnte. Dies hätte bessere Möglichkeiten geschaffen, den Kinderschutz voranzubringen. In dem Bereich gibt es zwar durchaus schon viele positive Entwicklungen, aber es bleibt noch viel zu tun. Mir fällt da insbesondere eine bessere personelle und finanzielle Ausstattung der Jugendämter ein. Und das Thema sexualisierte Gewalt im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe muss in der Ausbildung bzw. an den einschlägigen Hochschulen und Universitäten verankert werden. Interview: Marko Junghänel PROF. DR. HEINER KEUPP, Jahrgang 1943 aus Kulmbach, Sozialpsychologe und Soziologe, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Wer ein Schutzkonzept entwickelt, muss sich zwingend auch die Frage stellen, ob es in der Vergangenheit zu sexualisierter Gewalt kam. Sexualisierte Gewalt ist in Gesellschaft und Medien scheinbar omnipräsent. Woran liegt das? Prof. Dr. Heiner Keupp: Wir leben in einer Zeit, in der die gesellschaftlichen Institutionen und die Medien endlich angefangen haben, genauer hinzuschauen, was in Bezug auf sexualisierte Gewalt in den 1950er bis 1970er Jahren geschehen ist. Die Fälle, die aus den Kirchen oder solchen Einrichtungen wie der Odenwaldschule nun bekannt werden, reichen oft viele Jahrzehnte zurück. Damals hatte sich niemand für diese Formen von Gewalt interessiert, die ja oft kein Geheimnis waren. Durch den Zugewinn an Bewusstheit und Aufmerksamkeit, aber auch durch die Bereitschaft der Opfer, nach vielen Jahren ihr Schicksal öffentlich zu machen, wird das Thema deutlich präsenter in den gesellschaftlichen Debatten. Wie sieht es dabei im Bereich Kinder- und Jugendhilfe aus? Man muss das Jahr 2010 als absoluten Wendepunkt in der Beschäftigung mit diesem Thema bezeichnen: Der Leiter des Canisius-Kollegs Pater Mertes hat den Berichten ehemaliger Schüler geglaubt und ist damit an die Öffentlichkeit gegangen. Das hat einen Dominoeffekt ausgelöst. Danach wurden ähnliche Vorfälle sexueller Gewalt im Kloster Ettal und in der Odenwaldschule von Betroffenen thematisiert. Zuvor wurde all das sorgsam unter der Decke gehalten. Und die Medien hatten eigentlich kaum berichtet. Das zeigt, wie langwierig die Aufklärung ist. Vor drei Jahren beispielsweise habe ich das älteste Kinderdorf Deutschlands untersucht. Dort mussten noch in den Nullerjahren Kinder Gewalterfahrungen machen. Der dortige Trägerverein war nicht begeistert, dass nun alles ans Licht kam – entschied sich aber, eine unabhängige Aufklärungskommission einzusetzen. In der Folge gingen über 200 Meldungen von Fällen sexualisierter Gewalt ein, die den Kinderdörfern zuzurechnen waren. Diesem Phänomen begegnet man übrigens überall – von Pfadfinderorganisationen über die großen Kirchen bis zum Sport. Der Sport wird dabei gerade zu einer neue „Baustelle“ in der Aufarbeitung. Dort sprechen wir von Kindern und Jugendlichen, die oft eine Karriere in ihrer Disziplin machen wollen. Die sind dabei natürlich Bild: Ulrike Mai auf Pixabay

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