K3 No. 3 - Mai 2024

Dachzeile 34 das kommt | 04 | 2024 Veränderte Jugendarbeit Schwerpunkt oder diese Welt sei nicht geeignet für sie. Unsere Einrichtung stärkt diese Kinder aber in ihrer Auseinandersetzung mit der realen Welt. Wie wirkt sich das auf die tägliche Arbeit aus? Armin: Ich habe den Eindruck, dass der gesunde Menschenverstand kaum noch eine Rolle in pädagogischen Entscheidungen spielt. Soziale Arbeit will heute allen Menschen helfen. Wir verwenden viel Zeit und Ressourcen, um Kleinstgruppen von Menschen und Randthemen, die in ihrer Relation zur Gesamtpopulation von Jugend marginal sind, zu betreuen bzw. zu bearbeiten. Wir verlieren dabei den Blick auf das Ganze. Man darf den Fokus in der Arbeit für und mit Kindern und Jugendlichen nicht immer enger setzen. Ist das ein originäres Thema des KJR? Armin: Es gibt aus meiner Sicht ein fragwürdiges sozialpädagogisches Ethos, die eigene Betroffenheit zum prominenten Thema zu machen. Kerstin: Ich erlebe diese Entwicklung auch in meinem Team. In der OKJA ist es aber nicht unsere erste und vordringliche Aufgabe, Beratung zu psychischen Auffälligkeiten zu bieten; wir sind keine Therapeut*innen, sondern wollen vielen jungen Menschen sinnstiftende Angebote machen, die sie selbst ausgestalten. Wenn sich jemand oft außerhalb dieses Gruppenkonsenses bewegt und massiv stört, muss man möglicherweise den individuellen Ursachen nachgehen und Optionen zur pädagogischen Intervention außerhalb des eigenen Tätigkeitsbereichs anbieten. Man kann der Person schlicht aber auch mal Hausverbot erteilen. Armin: Aus sozialpädagogischer Kompetenz fühlen sich Kolleg*innen in der OKJA vielleicht dazu berufen, Einzelberatung und Therapie zu machen. Die Qualität der OKJA bemisst sich aber danach, dass man möglichst viele junge Menschen erreicht. Einzelfälle soll man wahrnehmen, und an andere – kompetentere – Institutionen vermitteln. Hinzu kommt, dass immer mehr Personen in Entscheidungen einbezogen werden wollen und müssen. Das Verhältnis zwischen Menschen in Steuerungsaufgaben und ausführenden Praktiker*innen hat sich verschoben. Und schließlich haben sich die Ansprüche der (neuen) Kolleg*innen dahingehend verändert, dass sie mit den Aufgaben im Einsatzgebiet nicht zu vereinbaren sind – Stichwort Arbeitszeiten. Sind diese Veränderungen wenigstens zielführend im Sinne der Kinder und Jugendlichen? Kerstin: Eher nicht. Verwaltungs- und Abstimmungsarbeiten haben deutlich zugenommen. Diese Zeit müsste man besser für die direkte Arbeit mit den Zielgruppen verwenden. Dazu kommt ein anderer Aspekt: Wir haben zu jedem Fachthema Leitlinien erarbeitet. Das ist grundsätzlich gut. Gender, Demokratie, Nachhaltigkeit … alles wichtig. Wenn neue Kolleg*innen bei uns anfangen, müssen sie sich in diese Leitlinien einarbeiten. Das ist notwendig und Basis für die spätere Arbeit. Wir müssen gleichzeitig vermitteln, dass das Thekengespräch in der Einrichtung auch eine hohe Bedeutung neben den theoretischen Grundlagen hat. Das Eine tun und das Andere nicht lassen. Unsere Aufgabe ist es, diese umfassenden Qualitätsansprüche des KJR richtig zu kommunizieren, um Lust und Freude an der Arbeit in der OKJA zu vermitteln. Das ist eher eine Methodenfrage. Armin: Ich frage in Bewerbungsgesprächen immer nach den Hobbys – was könnt ihr, was macht euch aus? Denn die OKJA lebt davon, was ich einbringen kann. Die jungen Menschen werden mir dann folgen, wenn sie merken, dass ich etwas kann. Oder anders gesagt: Früher gab es zu viel Birkenstock, Gitarre und Sozialromantik – heute begegnet mir das kaum noch. Meiner Meinung nach fehlt es an Leichtigkeit in diesem Job, an Neugier. Welche Veränderungen oder Rückbesinnungen wären nötig? Kerstin: Wir müssen den Kindern und Jugendlichen Sicherheit und gleichzeitig viel Freiraum ermöglichen. Orte, an denen sie unbeobachtet sind. Natürlich gibt es eine Aufsichtspflicht. Aber Dinge passieren, auch wenn ich alle Regeln beachte. Wenn mal etwas passieren sollte, muss ich immer begründen können, warum ich eine Entscheidung so oder so getroffen habe. Die Lern-, Erfahrungs- und Entfaltungsmöglichkeiten in der OKJA sind ein unschätzbarer Wert und für mich Quelle meiner Begeisterung für diesen Arbeitsbereich. Das will ich auch neuen Kolleg*innen vermitteln. Armin: Mit der Forderung nach nicht-pädagogisierten Räumen sehe ich mich inzwischen in der Minderheit. Kerstin: Stichwort selbstverwaltete Freizeitstätten – wir sollten den Mut haben, alte Konzepte wieder rauszuholen und diese Räume zur Selbstgestaltung wieder öffnen. Armin: Ich erlebe oft, dass junge Kolleg*innen fragen: „Darf ich das?“ Ich sage dann, dass du die Expertise für pädagogische Entscheidungen hast. Du kannst und musst Risiken abwägen, um Mehrwert für unsere Zielgruppen entstehen zu lassen. Hat die Profession ihr Selbstvertrauen verloren? Armin: Just do it! Mehr Mut, mehr Lust, mehr Freiheitsgedanken. Wird die OKJA weiter attraktiv für Kinder und Jugendliche sein? Kerstin: Das wird sich beim Thema Raumüberlassung zeigen. In selbstverwaltete Einrichtungen können junge Menschen unendlich viel Verantwortung übernehmen und Erfahrungen sammeln. Dabei braucht es aber immer jemanden im pädagogischen Team, der die Beziehungsarbeit übernimmt. Wenn die Begeisterung der Beschäftigten in der OKJA auf die Besucher*innen überspringt, haben wir schon viel erreicht. Armin: Wir werden unsere Klientel in Zukunft wohl nur noch über Schule und deren Angebote finden, weil sie dort zeitlich extrem vereinnahmt werden. Unser Job wird sein, zu vermitteln, dass in der OKJA andere Regeln gelten. Ja – das Strukturprinzip der OKJA in Sachen Freiwilligkeit wird damit ausgehebelt. Die anderen Prinzipien kann ich aber weiter gut umsetzen. Diesen einen Tod müssen wir aber sterben. Kerstin: OKJA in der Schule – nein; umgekehrt schon. Wir werden Kompromisse finden müssen – im Sinne unserer Besucher*innen. Gute Erfahrungen dazu gibt es ja schon viele … Interview: Marko Junghänel Sensibilisieren, aufklären, handeln Rassismuskritische Kinder- und Jugendarbeit Was können wir in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und im Bereich Kita als weiße Pädagog*innen tun, um die Perspektive von BIPoC-Kindern und -Jugendlichen mitzudenken? Zunächst können wir uns ernsthaft mit unseren eigenen weißen Privilegien auseinandersetzen und uns mit unserer Kolonialgeschichte und kolonial begründeten Denkmustern beschäftigen. Durch eine Wissenslücke in diesem Bereich werden unsere eigenen Rassismen aufrechterhalten. Welche Spuren gibt es in unserem Umfeld? Wie sehr hat Rassismus Deutschland geprägt? Was ist in meinem Denken rassistisch geprägt, ohne, dass es mir bisher aufgefallen ist? Im Anschluss

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