K3 No. 3 - Mai 2024

Dachzeile 32 das kommt | 04 | 2024 Veränderte Jugendarbeit Schwerpunkt Karin: Ich stimme Wolfgang unbedingt zu. Im Viertel haben wir auch früher schon mit vielen Partnern kooperiert. Dieses Konzept der Sozialraumorientierung gilt bis heute. Blicken wir auf die Besucher*innen. Wie haben die sich verändert? Wolfgang: Unsere Zielgruppen sind deutlich jünger geworden. Am Anfang kamen auch noch ältere Jugendliche und junge Männer, um sich hier zum Ratschen und Rauchen zu treffen. Das haben wir nicht mehr. Jetzt kommen viele jüngere Kinder – nicht zuletzt durch die Schulkooperationen. Karin: Unser Hauptklientel ist zwischen neun und 16 Jahre alt. Ein paar stehen am Anfang ihrer Ausbildung – die bleiben aber zunehmend weg. Ich glaube, durch Orte wie das Backstage haben sich spannende Orte für Jugendliche etabliert, die direkt in Konkurrenz zu uns stehen. Ein weiterer Grund ist, dass Jugendliche in Schule und Ausbildung zeitlich ziemlich gebunden sind oder Geld dazuverdienen müssen. Dann bleibt eben weniger Zeit für den Jugendtreff. Ist die Ausstattung eurer Einrichtungen noch auf die Bedarfe der Jugendlichen ausgerichtet? Wolfgang: Kicker, Tischtennis und Dart laufen noch immer gut. Auch Indoor-Fußball kommt bei den Jugendlichen heute gut an. Die Frage, ob junge Menschen zu uns kommen oder nicht, entscheidet sich manchmal daran, ob man eine Playstation 5 hat oder nicht – wir haben nur eine 4er. Nach klassischen PCs fragt niemand mehr. Geht einfach Chillen in der Einrichtung? Karin: Wir haben einen Entspannungsraum, der von Kindern und Jugendlichen intensiv genutzt wird. Nach der Schule brauchen die erst einmal eine Pause. Man muss die Sache mit der Playstation übrigens ein wenig steuern, sonst würden die Jugendlichen den ganzen Nachmittag davor rumhängen; genauso wie an ihren Smartphones. Wolfgang: Beim Daddeln sehe ich schon eine echte Suchtgefahr und eine Tendenz zur Vereinsamung. Wie haben sich die Eltern verändert? Wolfgang: Ich würde Eltern oft als ahnungslos beschreiben – gepaart mit Hilflosigkeit. Oft werden Eltern erst mit dem wirklichen Leben ihrer Kinder konfrontiert, wenn die Polizei auftaucht, weil die Jugendlichen problematische Inhalte auf ihren Smartphones haben und verbreiten. Dann sind die Eltern völlig verstört, wie das passieren konnte. Karin: Eltern wissen meist nichts davon, in welchen Chats und Gruppen ihre Kinder unterwegs sind. Die Teams aus Einrichtungen berichten, dass ihre Kinder und Jugendlichen heute zwischen fünf und sechs Stunden online sind. Manche chatten dann bis weit nach Mitternacht – mit Folgen für ihre Aufmerksamkeit am nächsten Morgen. Manche Kids wünschen sich sogar, dass sich ihre Eltern mehr um sie kümmern würden. Die können das nicht leisten, weil sie selbst belastet sind. Wollte man nicht schon immer im Jugendzentrum sein, um sich den Eltern zu entziehen? Karin und Wolfgang: Das ist noch heute so – da hat sich nichts geändert. Wolfgang: Freizeitzentrum war früher schon oft auch ein Schutzort vor den Eltern. Jetzt haben wir durch die Schulprojekte mehr Kontakt zu den Eltern. Für Kinder und Jugendliche ist das nicht so prickelnd, dass wir jetzt die Telefonnummer der Eltern haben. Und eure Teams? Ist das Feld für Berufsanfänger*innen noch erstrebenswert? Karin: Ich habe erst kürzlich eine Kollegin eingestellt, die explizit in die offene Arbeit wollte, weil man dort so viele eigene Ideen umsetzen kann. Wolfgang: Die Situation bei den Bewerbungen ist heute anders als vor 20 Jahren. Work-Life-Balance ist ein zentrales Stichwort, wobei die Waage oft in Richtung Life ausschlägt. Besonders die Arbeitszeiten in den Einrichtungen sind wenig attraktiv. Da hilft es auch wenig, dass wir beim KJR eine ungeheure Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten bieten können. Karin: Der Offene Treff ist anstrengend – man weiß nicht, wer und wie viele kommen. Aber es macht Spaß – das wollen wir den Neuen vermitteln. Wie wird sich das Berufsfeld verändern? Karin: Wir bieten immer noch Einrichtungen, in denen alle Freiräume finden können. Unsere Besucher*innen schätzen tatsächlich den Platz, den sie hier haben, und die Beziehungen zu den pädagogischen Teams. Sie haben das Gefühl, dass sie in den Einrichtungen über Themen wie ein Schönheitsideal, das sie auf Social Media sehen, sprechen können. Wir waren und sind in solchen Fragen die bevorzugten Ansprechpersonen. Wolfgang: Vor 20 Jahren hätte ich nicht gedacht, dass wir heute Angebote und Strukturen haben, wie wir sie aktuell erleben. Wir bleiben ein niedrigschwelliges Angebot für Kinder und Jugendliche. Unsere Aufgabe ist Beziehungsarbeit – das bleibt, Begleitung auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Und das ist ein gutes Gefühl. Interview: Marko Junghänel Der Sportverein als Dienstleister der Schulen? Fair Play, bitte! Wir leben heute von der Dividende, dass es in der Vergangenheit Vereine gab. Junge Menschen sind in Sportvereinen und auch anderen Jugendverbänden groß geworden. Sie haben Miteinander, Gemeinschaft und Zusammenhalt erfahren. Sie durften selbstbestimmt ihre Persönlichkeit formen, mussten mit Rückschlägen umgehen und konnten aktiv das Vereinsleben mitgestalten. Kurzum: Für die Entwicklung junger Menschen war und ist das „System Sportverein“ von herausragender Bedeutung. Für unsere Gesellschaft ist es demnach unabdingbar, dass es dieses auch in Zukunft gibt. Vielfalt des Vereinssports wahren In der Diskussion um den schulischen Ganztag kommt das oft zu kurz: Es werden Lösungen entwickelt, wie eine Integration des Sportvereins in den schulischen Ganztag gelingen kann – meist auf den Schultern ehrenamtlichen Engagements. Dabei braucht es doch Lösungen für ein Miteinander und Nebeneinander von Schule und Sport, von Schule und verbandlicher Jugendarbeit. Es wird Zeit, dass außerschulischen Bildungsräumen für junge Menschen endlich der Stellenwert beigemessen wird, den sie verdienen. Obgleich das Konzept aus integrations- und sozialpolitischer Perspektive sowie im Hinblick auf mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit quasi wie ein Marshallplan für die Betreuungspolitik in Deutschland erscheint, bedeutet die konkrete Umsetzung eine potenzielle Bedrohung für den Vereinssport und die vielfältige Jugendverbandsarbeit – insbesondere für die kleinen und mittleren Sportvereine, Gruppierungen und Co., die das Rückgrat der lokalen außerschulischen Bildungsarbeit bilden.

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