K3 No. 3 - Mai 2024

| 03 | 2024 27 Politische Bildung und Rechtsruck in der Gesellschaft Schwerpunkt aufgreifen und echte, nachhaltige Lösungen für gesellschaftliche Probleme suchen. Kurzum – ich sehe, dass das „Rechte“ zunehmend in der sogenannten Mitte der Gesellschaft angekommen ist und sich dort verankert. Ich sehe aber auch den Widerstand, der sich genauso verfestigen und entwickeln muss. Ist das tatsächlich nur eine Entwicklung, die von rechts kommt? Rassismus und andere Formen von struktureller Diskriminierung kommen auch von links. Diese Ismen von rechts sind dabei offensichtlicher – die von links subtiler. Übrigens können sich auch Betroffene nicht völlig frei von Rassismus und kapitalistischen Zwängen machen. Strukturelle Diskriminierung bedeutet ja genau, dass wir alle immer und überall Teil dieser Machtstruktur sind und uns selbst und die Gesellschaft machtkritisch weiterentwickeln sollten. Hat politische Bildung versagt? Unser Schulsystem, das internationale Staatensystem, unser eurozentrischer Blick, das alles sitzt tief in uns drin und wir leben ganz selbstverständlich danach. Da rauszukommen, ist unheimlich schwer. Da genügen keine Workshops oder inspirierende Vorträge. Wir müssen von einer langfristigen und dauerhaften Aufgabe ausgehen, um strukturelle Veränderungen und vielleicht sogar einen Systemwechsel hinzubekommen. Dabei – das sage ich ausdrücklich – braucht auch die linke Seite eine größere Fehlertoleranz beim Ausprobieren neuer Modelle. … weil Aufklärung nicht automatisch vererbt wird? Die Demokratie muss täglich neu erfunden und gestaltet werden. Wir müssen dazulernen – aber auch verlernen; rassistische Prägungen in uns verlernen. Unsere Demokratie ist brüchig, das muss uns klar sein. Wie erlebst du vor diesem Hintergrund die Arbeit mit jungen Menschen? Die Jugend ist natürlich äußerst heterogen; manche sind mit der aktuellen Lage überfordert, manche lehnen Politik grundsätzlich ab. Die meisten jungen Menschen erlebe ich aber als aktiv im Sinne von sich für Gerechtigkeit und die Gesellschaft einsetzen. Diejenigen, die sich nicht für die Demokratie interessieren, erreichen wir deutlich schwerer. Nach Jahren der Pandemie ist die psychische Belastung noch immer hoch. Jetzt kommen Bilder aus dem Krieg hinzu. Das überfordert junge und ältere Menschen gleichzeitig und führt unter Umständen zur Abwendung von der Demokratie. Mit dem Ergebnis, dass Jugendliche in erheblichem Maße rassistische Parteien wie die AfD wählen? Die AfD und andere rechte Gruppieren sind in den sozialen Medien sehr aktiv. Das ist einfach zu erklären, weil diese Plattformen prädestiniert dafür sind, einfache und emotionalisierende Botschaften millionenfach zu verbreiten. Natürlich gibt es gegen diese rassistischen und menschenverachtenden Strömungen eine Gegenbewegung von links. Die Linke hat aber oft Berührungsängste mit diesen Medien und unsere Inhalte sind zu komplex, als dass man sie in drei Sekunden darstellen könnte. Es gelingt uns leider nur unzureichend, positives Engagement sichtbar zu machen. Fehlt die Fähigkeit des Widerspruchs? Die Jugendlichen, die neulich auf dem menschenverachtenden Sylt-Video zu sehen waren, erleben in der Familie möglicherweise keinen Widerspruch. Es ist Aufgabe von politischer Bildung, zu widersprechen, wenn Rassismus salonfähig gemacht werden soll. Ich habe dabei oft das Gefühl, dass rechtes Gedankengut eigentlich zunehmend akzeptiert wird und unwidersprochen bleibt. Die Millionen von Menschen, die nach dem Potsdamer Treffen der Rechten bundesweit auf die Straße gegangen sind, sind gut. Sie alle hatten das Gefühl, sich dagegen positionieren zu müssen. Bei der Frage, was sich nun ändern muss, wird es schon schwerer, so viele Menschen zu mobilisieren. Konsequenterweise würde das nämlich bedeuten, dass man eigene Privilegien infrage stellen und stürzen müsste. Man zieht sich also in die Mitte der Gesellschaft zurück, die aber von tendenziell rechtem Gedankengut besetzt ist. Die Aufgabe der politischen Bildung ist also nicht gerade einfacher geworden. Welche Rolle haben in dieser Situation Künstler*innen? Wir Kunst- und Kulturschaffenden machen noch zu wenig, um diese strukturellen Benachteiligungen zu benennen und aktiv dagegen etwas zu tun. Hier schlagen die schon erwähnten kapitalistischen Verwertungszwänge und Prägungen wieder zu. Mit politischer Arbeit lässt sich eben schwerer Geld verdienen. Aber es gibt durchaus schon viele gute Initiativen. Bestehende Machtverhältnisse und Diskriminierungen sichtbar zu machen, Raum für Betroffene zu schaffen und sich klar zu positionieren, ist auch unsere Aufgabe. Erlebst du persönlich Rassismus und Rechtsextremismus? Als muslimisch gelesene Person erlebe ich fast täglich Rassismus. Es geht nicht immer direkt darum, dass ich beleidigt oder gar angegriffen werde. Es geht auch darum, wie das Thema verhandelt wird. Struktureller Rassismus ist alltäglich sichtbar und für mich spürbar. Als afro-diasporische Person sehe ich auch antischwarzen Rassismus. Brüder und Schwestern müssen Angst vor Polzeigewalt haben. Wir müssen nur an die europäischen Außengrenzen schauen, wo täglich Menschen aus afrikanischen Ländern sterben. Das belastet mich. Die Frage ist, wie ich damit umgehe. Ich nutze meine antirassistische Arbeit, um meine Botschaften zu transportieren; mit meiner Kunst, mit dem Zusammensein in meiner Community. Allein ist es schwerer. Ich denke, dass Gemeinschaft unter betroffenen Personen extrem wichtig ist, um sichere Räume zu schaffen und Anfeindungen zu widerstehen. Für mich ist meine Kunst auch ein Ventil, meine Frustration zu artikulieren. Wie wird Europa nach der Wahl am 9. Juni aussehen? Ich fürchte, dass es noch rechter und nationalistischer wird. Wenn ich die letzte Landtagswahl in Bayern als Referenz betrachte, sehe ich, dass letztes Jahr zwei Drittel der Menschen rechts und rechtsaußen gewählt haben. Das wird jetzt ähnlich. Meine Hoffnung liegt in den kleinen Parteien. Weil es keine Fünf-Prozent-Hürde gibt, können diese vielen kleinen und fortschrittlichen Parteien das Europäische Parlament diverser machen. Ich setze auf eine starke parlamentarische Opposition. Und ein letzter Punkt. Privilegierte Menschen nehmen die ewige Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus oft als mühsam wahr, weil sie glauben, dass doch alles schon zigmal erklärt wurde. Ich wünsche mir, dass es nicht nur als mühsam wahrgenommen wird, wenn wir uns für die Demokratie einsetzen oder Ungerechtigkeiten erkennen und benennen. Diskriminierung ist immer anstrengend, vor allem für die Betroffenen, und eine diskriminierungsfreie Gesellschaft ist harte Arbeit. Daraus lässt sich ja auch ableiten, dass wir unser System strukturell und nachhaltig ändern müssen. Demokratie, Systemchange, Antirassismus, Klimaschutz, das wird langfristig der einzige Weg sein, sonst wird es noch viel anstrengender und gefährlicher. Deswegen wünsche ich mir mehr Unterstützung und Sichtbarkeit für die vielen positiven Ansätze. Interview: Marko Junghänel ACHIM „WASEEM“ SEGER, 1985 in München geboren, Dipl.- Betriebswirt (FH), Leitung der Fachstelle Jugendarbeit in der Migrationsgesellschaft, Bezirksjugendring Oberbayern

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjk2NDUy