K3 No. 3 - Mai 2024

| 03 | 2024 21 Politische Bildung und Rechtsruck in der Gesellschaft Schwerpunkt Kinderbüchern sollen sich auch Kinder wie Nathaniel wiederfinden können. Obwohl pädagogische Teams bemüht sind, die Kinder vor Rassismus, Diskriminierung und Gewalt zu schützen, gelingt es ihnen ohne fachspezifische Hilfe nicht immer. Wenden Sie sich an BEFORE, wenn Sie Hilfe brauchen, und machen Sie Betroffene und Kolleg*innen darauf aufmerksam, dass es Beratungsstellen und Angebote für Betroffene von Diskriminierung, Rassismus und rechter, gruppenbezogen menschenverachtender Gewalt gibt. PHILOMENA HÄRDTLEIN, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Beratungsstelle BEFORE e.V. München 1) Die Geschichte Nathaniels ist eine reale Erfahrung einer betroffenen Familie, die sich an die Beratungsstelle gewandt hat. Wir möchten uns bei der Familie für ihr Vertrauen bedanken, ihre Geschichte in diesem Beitrag sichtbar machen zu dürfen. Um die Anonymität des Kindes zu schützen, haben wir den Namen durch einen fiktiven Namen ersetzt. Check deine Privilegien, reflektiere deine Vorurteile! Rassismus macht auch nicht vor pädagogischen Settings Halt Rassismuskritische Pädagogik Schlüssel zur Selbstreflexion Die sozialpädagogischen Fachkräfte der Stelle für politische Bildung im Stadtjugendamt sind spezialisiert auf die pädagogischen Aspekte des Themenspektrums Demokratie- und Menschenrechtsbildung, politische und religiöse Radikalisierung bzw. Radikalisierungsprävention, Rechtsextremismus sowie Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Besonderer Fokus liegt dabei auf jugendtypischen Gefährdungslagen und Prävention. Angeboten werden – durchwegs kostenfrei – niedrigschwellige Beratung sowie auf die jeweiligen Anliegen zugeschnittene Vorträge, Fortbildungen und Workshops für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, Multiplikator*innen und Lehrpersonal im Bereich der Landeshauptstadt München. Die Stelle besteht seit 2009 und ist Teil des Münchner Kommunalen Netzwerkes gegen Rassismus, Rechtextremismus, Radikalisierung und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Auch Fachkräfte können rassistisch handeln Die Erfahrung im Rahmen dieser Tätigkeit zeigt, dass unter in der Jugendhilfe tätigen Fachkräften und Ehrenamtlichen rassistisches Wissen sowie biologistische Vorstellungen und kulturalistische Hierarchisierungen ebenso vorhanden sind wie im Querschnitt der deutschen Bevölkerung, wie beispielsweise die Erhebungen des Nationalen Rassismusmonitors1 zeigen. Gleichwohl positioniert sich die absolute Mehrheit der Sozialarbeiter*innen ganz klar rassismuskritisch und hat ein großes Interesse daran, im eigenen Tätigkeitsfeld nicht rassistisch zu handeln. Die Stelle für politische Bildung bietet daher seit einigen Jahren kostenfreie Fortbildungen zum Thema rassismuskritische Pädagogik für Fachkräfte der Jugendhilfe bzw. Jugendarbeit an. Inhalt dieser ganztätigen Veranstaltungen ist die Vermittlung von sozialwissenschaftlichem Grundlagenwissen zu Vorurteilen und Diskriminierung. Zudem wird den Teilnehmenden ein Überblick zur Verbreitung von rassistischen Einstellungen in der Gesellschaft gegeben, insbesondere unter Bezugnahme auf aktuelle Studien wie die Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung, die Leipziger Autoritarismusstudie oder den nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor. Wichtigstes Ziel dabei ist, dafür zu sensibilisieren, dass wir alle – durch koloniale Wissenstradierung – rassistisch sozialisiert sind und Rassismus nicht nur durch Worte und Taten Rechtsextremer stattfindet, sondern vor allem unbeabsichtigt durch uns alle, die Mitte der Gesellschaft. Dazu gehören auch die in der Jugendhilfe tätigen Fachkräfte und Ehrenamtlichen. Im weiteren Schritt wird in diesen Seminaren mit interaktiven Methoden, die sich auf Zitate von Menschen stützen, die Rassismus erleben, eine moderne Definition von Rassismus erarbeitet. Diese Definition stützt sich nicht nur stark verkürzt auf den Rassebegriff, sondern benennt auch kulturellen Rassismus und verdeutlicht, dass Rassismus in allen Bereichen des alltäglichen Lebens präsent sowie undemokratisch und strafbar ist. Viele Einrichtungen und Träger der Jugendhilfe haben Leitbilder und Statuten, die sich gegen Rassismus und Diskriminierung positionieren; oft fehlt jedoch eine Definition davon, die alle Mitarbeitenden kennen, teilen und ihr rassismuskritisches pädagogisches Handeln darauf abstimmen bzw. entsprechende pädagogische Konzepte entwickeln können. Zudem haben nur mit einer klaren und von allen anerkannten Definition von Rassismus die betroffenen Adressat*innen und Mitarbeiter*innen der Jugendhilfe die Möglichkeit, entsprechende Vorfälle zu benennen und Unterstützung zu fordern. Andernfalls droht, was Betroffene von Rassismus oft erleben: Sie werden nicht ernst genommen, der Vorfall und das eigene Erleben bagatellisiert oder delegitimiert, was einer Täter-Opfer-Umkehr gleichkommt. Claus Melter schreibt in einem Fachartikel über rassismuskritische Soziale Arbeit: „In Bezug auf … Rassismuserfahrungen realisieren die in den … empirischen Studien befragten Pädagog*innen/Fortbildner*innen mehrfach wenig interessierte bis ignorante oder leugnende Handlungspraxen gegenüber Adressat*innen und ihren ... Rassismuserfahrungen. Wenn die Adressat*innen dennoch von Rassismuserfahrungen berichten, wurden diese von den Pädagog*innen/Berater*innen tendenziell nicht offen angesprochen, sondern oftmals geleugnet, verharmlost oder für die zu betreuende Adressat*in als unproblematisch dargestellt“.2 Ausschluss führt zur Abwertung Mit einer weiteren Methode, die sich ebenfalls auf die Betroffenenperspektive stützt, wird den Teilnehmenden das Prinzip des „Othering“ vermittelt, also des „Anders- bzw. Fremdmachens“, indem Gruppen konstruiert und sie als von der Norm abweichend oder als nicht zugehörig klassifiziert werden. Dieses Othering ist wesentliches Prinzip eines modernen Rassismusverständnisses. Es wird zum Beispiel beim antimuslimischen Rassismus sehr deutlich, also in der Vorstellung, die „andere“ Kultur von Menschen, die tatsächlich Muslim*innen Foto: Brooke Cagle auf Unsplash

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