K3 No. 3 - Mai 2024

Dachzeile 20 das kommt | 03 | 2024 Politische Bildung und Rechtsruck in der Gesellschaft Schwerpunkt Hautfarbe matters – leider noch immer. Dagegen muss die Zivilgesellschaft sich wehren Wo spielen keinen Spaß macht Der alltägliche Rassismus Ein Kindergartenkind of Colour sitzt in der Badewanne und zieht seine Locken lang. Es erzählt der Mutter, es möchte auch so glatte Haare haben wie die anderen Kinder. Nathaniel fing an, sich selbst infrage zu stellen. Nathaniels1 Mutter hat sich, aufgrund der beunruhigenden Veränderungen ihres Kindes, an die Antidiskriminierungsberatung bei BEFORE gewandt. Sie berichtet, dass ihr Kind aufgrund seiner Hautfarbe häufig Ausschluss durch andere Kinder erfährt. So wurde Nathaniel etwa im Morgenkreis stets zuletzt von den Kindern zum gemeinsamen Spiel aufgerufen, in anderen Situationen von seiner Gruppe weggeschubst oder seine Sandburgen wurden zerstört. Die Erzieher*innen jedoch blieben, so die Mutter, tatenlos. Auch nach Gesprächen mit dem Team blieb Nathaniel ungehört und schutzlos. Er wurde wütend, zeigte sich aggressiv gegenüber den anderen Kindern und boykottierte den Morgenkreis. Es wurde dem Kind unterstellt, psychische Probleme zu haben und empfohlen, eine Fachstelle aufzusuchen. Diese sah das Problem eindeutig beim Kindergarten und nicht bei Nathaniel. Doch die betroffene Familie hielt dem Druck des Kindergartens nicht stand – die Eltern entschieden sich letztlich, Nathaniel in einer anderen Einrichtung anzumelden. Ausschluss beim Spielen, Nachäffen, Spitznamen, Beleidigungen, das N-Wort: Rassismus zeigt sich in vielfältigen Formen. Wenn hier pädagogisches Personal nicht eingreift, kann das für betroffene Kinder und deren Familien folgenreich sein. Im Kindesalter gibt es noch nicht unbedingt ein Konzept zu „Rassismus“, rassistische Ausgrenzung ist aber für betroffene Kinder spürbar. Wenn Erzieher*innen das Problem nicht verstehen und einordnen können, bleibt das Kind ohne Unterstützung. Kinder fühlen sich im schlimmsten Fall selbst dafür verantwortlich oder gar schuldig. Bleibt die diskriminierende Atmosphäre bestehen, reagieren betroffene Kinder darauf. Setzen sie sich dann zur Wehr, werden sie oft als das Problem gesehen. Rassismus im Wohnumfeld Aber was passiert, wenn Kinder nicht nur in Kindertageseinrichtungen oder Schulen, sondern auch in der Nähe des eigenen Wohnumfeldes beleidigt, bedroht und diskriminiert werden? Tote Tiere im Briefkasten, Müll im Vorgarten, Bespucktwerden an der Bushaltestelle, Beschimpfungen im Hausflur. Menschen aus der Nachbarbarschaft, die mit Flaschen oder Steinen auf Kinder werfen, Morddrohungen aussprechen. In der Opferberatung für rechte, gruppenbezogen menschenverachtende Gewalt bei BEFORE häufen sich die Fälle, in denen Familien mit Kindern rassistisch motivierte Gewalt am Wohnort erleben. Die Täter*innen wohnen oft direkt nebenan. Die Anfeindungen reichen von Beleidigung und Bedrohung bis hin zu Sachbeschädigung und Körperverletzung. Wenn das passiert, trauen sich betroffene Kinder oft nicht mehr vor die eigene Haustüre, vermeiden die Spielplätze in den Wohnanlagen und haben Angst auf dem Nachhause- oder auf dem Schulweg. Der private Wohnraum, der eigentlich sichere Rückzugsort, wird zu einem Ort der permanenten Angst. Diese Angst kann krank machen. Die Betroffenen, vor allem die Kinder, leiden physisch und psychisch unter der Belastung. Die Bewältigung des Alltags wird zu einer großen Herausforderung, die soziale Teilhabe leidet stark. Auch die schulischen Leistungen sind negativ davon betroffen. Es entsteht ein Teufelskreis aus Angst, Wut und Hilflosigkeit, aus dem die Betroffenen keinen Ausweg sehen. Die vermeintliche „Lösung“ ist die vollständige Veränderung der eigenen Existenz: Betroffene Familien sehen sich dazu gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen. Auch wenn es bei den Fällen viele Gemeinsamkeiten gibt, sind die Bedarfe und Ressourcen der Betroffenen, an denen wir uns in der Beratung und Unterstützung orientieren, oft sehr unterschiedlich. Bei Nathaniel konnte BEFORE durch psycho-soziale Beratung und empowernde Angebote die Familie unterstützen. In anderen Fällen kann es von der Dokumentation der Vorfälle zu Kommunikation und Dialog mit pädagogischen Fachkräften bis zur Unterstützung bei polizeilicher Anzeige gehen. Kinder haben ein Recht auf Schutz Im Wohnumfeld, in der KiTa oder der Schule – Rassismus und rechte, rassistische oder antisemitische Gewalt und Diskriminierung gegen Kinder kommen überall vor, auch in München. Dementsprechend ist es notwendig, nicht wegzuschauen, sondern zu intervenieren. Wenn von Fachkräften Diskriminierung beobachtet wird oder eine Belastung durch Diskriminierung von den Eltern angesprochen wird, ist es nötig, diesen Vorfall zum Anlass zu nehmen, mit den Kindern darüber zu sprechen. Es ist wichtig, das betroffene Kind mit seinen Anliegen ernst zu nehmen und ihm seine Erfahrung nicht abzusprechen. Für ein diskriminierungssensibles Bewusstsein der pädagogischen Fachkräfte sind spezifische Schulungen zur Thematik Diskriminierung und Rassismus sinnvoll. Zu einem professionellen Umgang mit Diskriminierung zählt, sich Hilfe bei Beratungsstellen mit spezifischem Fachwissen und Interventionsmöglichkeiten zu suchen, um betroffene Kinder und Eltern zu unterstützen. Zudem ist es von Bedeutung, Diversität in den Kindereinrichtungen zu verankern. In Spielzeug und BEFORE ist eine Beratungsstelle für Betroffene von rechter und gruppenbezogen menschenfeindlicher Gewalt und Diskriminierung in München. Im Jahr 2023 (Erfassungszeitraum 1.1.bis 31.12.2023) wurden in der Antidiskriminierungsberatung 15 % Kinder und Jugendliche bis 21 Jahre als Betroffene betreut, in der Opferberatung waren im selben Zeitraum 21,5 % Kinder und Jugendliche durchgängig von Rassismus und Diskriminierung wie auch von Gewalt betroffen. Im Durchschnitt der letzten sechs Jahre (2018-2023) wurden bei BEFORE im Fachbereich Antidiskriminierungsberatung 17,2 % und im Fachbereich Opferberatung 16,8 % Kinder und Jugendliche bis 21 Jahre als Betroffene unterstützt. Unsere Zahlen spiegeln nur einen Bruchteil der tatsächlichen Betroffenenzahlen wider, es ist die Spitze des Eisbergs, neben einer hohen Dunkelziffer. Foto: Tumisu auf Pixabay

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjk2NDUy