K3 No. 2 - Mai 2024

8 das kommt | 02 | 2024 das war Fachgespräch zu Jugendgewalt in München Fachkräfte aus KJR-Einrichtungen und -Fachstellen hatten zum Thema Jugendgewalt Interesse an einem umfänglicheren Fachgespräch mit fundiertem Input geäußert – mit belastbaren Zahlen, evidenten Hintergrundinformationen und Perspektiven für das pädagogische Handeln. Mehr als 60 Interessierte folgten der Einladung der Fachstellen für Interkulturelle Arbeit, Jugendarbeit in der Migrationsgesellschaft mit Schwerpunkt junge Geflüchtete und Jungen*, junge Männer* und LGBTIQA*. Zahlen – Daten – Fakten „Ja, die Zahl von Gewalttaten, die durch Kinder und Jugendliche verübt werden, ist tatsächlich gestiegen. Die Täter*innen werden dabei jünger – das ist die eigentliche besorgniserregende Nachricht“, so Dr. Bettina Grüne von der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention beim Deutschen Jugendinstitut. Richtig sei aber auch, die öffentlich geführten Debatten zu versachlichen und einen Blick auf die Datenbasis zu werfen. Bei näherer Betrachtung erweise sich Jugendgewalt meist als bagatellhaft, wird spontan und situativ verübt und findet oft im Kontext der Peergroup statt. Lediglich fünf Prozent der verübten Gewalttaten werden von Mehrfachtäter*innen begangen. Gründe für gewalttätiges Verhalten sind vor allem eine angespannte sozio-ökonomische Situation, Probleme in Familie und Schule bzw. im Freundeskreis oder Kontakte zu Menschen, die selbst schon durch Gewalttaten auffällig geworden sind. Bei den in Deutschland verübten Gewalttaten sind neun Prozent der Verdächtigen Kinder, Jugendliche und Heranwachsende. Rückblickend waren vor allem die Jahre 2007/2008 mit sehr hohen Zahlen von Gewalttaten verbunden. Danach gingen diese Delinquenzzahlen zurück – seit 2022 ist erneut ein deutlicher Anstieg der Fälle zu verzeichnen. Hinterfragt man die Gründe für die Zunahme von Gewalttaten, ergeben sich mehrere Faktoren. So hätten ein verändertes Anzeigeverhalten, vermehrte Polizeikontrollen einerseits und angestiegene psychische Belastungen und das Fehlen eines Frühwarnsystems im Rahmen von Angeboten der Jugendarbeit/Jugendhilfe andererseits dazu geführt. Hinzu kommen omnipräsente Krisensituationen, das Miterleben einer realen Kriegsgefahr oder allgemeine Zukunftsängste. „Außerdem ist eine wachsende Zustimmung zu gewaltlegitimierenden Männlichkeitsbildern unter Kindern und Jugendlichen festzustellen“, bestätigte Grüne. Gewalt ernst nehmen – und nach Ursachen forschen Dieser Einschätzung stimmte auch Andrea Beer zu. Die stellvertretende Sachgebietsleiterin im Bereich der Kriminalprävention der Polizei München befasst sich in ihrer Arbeit vor allem mit Präventionsangeboten im Bereich Kinder- und Jugendkriminalität. Sie berichtete, dass in München 2022 insgesamt 91.500 Delikte verzeichnet wurden – ein Anstieg von fünf Prozent im Vergleich zum Jahr davor. 2019 lag diese Zahl jedoch bei 97.600 Fällen. Sie erklärte, dass es in den letzten Monaten zu einer deutlichen Zunahme von Gewaltdelikten bei Kindern gekommen sei, die auch in ihrer Deliktintensität zugenommen hätten. In ihrer Arbeit setze die Polizei vor allem auf Angebote zur Prävention, Vernetzung, Seminar- und Kursangebote sowie Maßnahmen zum Opferschutz. „Wir müssen uns jedoch vergegenwärtigen, dass Kriminalität in jeder Gesellschaft eigentlich normal ist. Das ist keine Entschuldigung, Alarmismus hilft aber auch wenig“, so Beer. Wie weiter? Das Fachgespräch diente nicht nur der Beschreibung des Ist-Zustands, sondern lud mit einer Podiumsdiskussion zum Zusammentragen von Lösungen ein. Monika Strohmayer vom Allparteilichen Konfliktmanagement in München (AKIM) berichtete zunächst, dass die Messestadt Riem derzeit zu den Schwerpunkten in ihrer Arbeit zähle. Ihrem Eindruck nach hänge die Bedrohung durch gewalttätiges Verhalten auch vom subjektiven Empfinden ab. Aus der praktischen Arbeit im Club Hasenbergl berichtete Leonardo Cocco, dass sich Gewalterfahrungen oft in Beleidigungen manifestierten. Gegenseitige Demütigungen unter Jugendlichen führten dann zum Bedürfnis, sich zu verteidigen, was in einigen Fällen schließlich zu Gewalt führen würde. Man habe deshalb einen „Runden Tisch nördliches Hasenbergl“ einberufen, der ein sichtbares und sicheres Netzwerk im Viertel widerspiegeln soll. Verstörende Männlichkeitsbilder als Risikofaktoren für gewalttätiges Verhalten sind auch für Andreas Schmiedel (Münchner Informationszentrum für Männer) eine der Hauptursachen. Wenn man Gewalt als probates Mittel zur Konfliktlösung erlebt habe, müsse es in entsprechenden Angeboten darum gehen, die Täter*innen dazu zu bewegen, andere Lösungen zu suchen. Dem stimmte auch Nina Diemer (Jugend im Fokus/Regsam) zu. In Interviews hatten Kinder und Jugendlichen angegeben, sich selbst schützen zu müssen, weil sie sich von realen Krisen, vermittelt durch die mediale Berichterstattung bedroht fühlen. Sie warb darum, erfolgreiche Angebote wie die StreitschlichAnlass zur Sorge – ja, Alarmismus Verfolgt man die Medienberichterstattung der letzten Monate, drängt sich der Eindruck auf, dass Gewaltdelikte von Kindern und Jugendlichen exponentiell steigen. Zeit für ein klärendes Fachgespräch des KJR mit dem Fokus auf Ursachen und Prävention Foto: Arif Haidary

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