K3 No. 2 - Mai 2024

Dachzeile 20 das kommt | 02 | 2024 Gendersensible Jugendarbeit Schwerpunkt zu hinterfragen und mehr Diskursimpulse zu geben, als bereits fertige Antworten zu haben. Reflexion Obgleich „Reflexion“ im Studium und in der psychosozialen Praxis als eine der zentralen Anforderungen zu gelten scheint, steht der Betonung dieser Relevanz eine bemerkenswerte Unklarheit darüber gegenüber, was reflektiert werden soll und wie Reflexionsprozesse systematisch strukturiert werden können. Für die geschlechterbezogene Arbeit hat Reflexion eine besondere Relevanz, da die Fachkräfte von der Kategorie Geschlecht, also dem Kernthema ihres Handelns, stets auch selbst betroffen und in Geschlechterverhältnisse verwoben sind. Durch die permanente und omnipräsente Einbettung in vergeschlechtlichte Kontexte finden fortlaufend Kategorisierungen, Konstruktionen und Reproduktionen statt. Die professionelle Bearbeitung dieses Umstandes erfordert in der Konsequenz die stetige Reflexion der eigenen Konstruktionsleistungen. Queer Theories Inzwischen gibt es eine Reihe von Theorien, die queere Perspektiven in den Mittelpunkt stellen. Gemeinsam ist den Ansätzen, dass sie die Heterosexualität als ein machtvolles gesellschaftliches Konstrukt begreifen, durch das Geschlecht und Sexualität untrennbar miteinander verschränkt werden. Zwei Aussagen sind dabei zentral: Einerseits prägt Heteronormativität ein System der Zweigeschlechtlichkeit. Andererseits werden diese dichotom getrennten Gruppen aufeinander bezogen und heterosexuelles Begehren als „normal“ konstruiert. Entscheidend ist dabei, dass diese beiden Thesen der Zweigeschlechtlichkeit und der heterosexuellen Norm als natürlich erscheinen. Entsprechend dieser Normalitätskonstruktionen werden Personen, denen diesbezüglich eine Nonkonformität zugeschrieben wird, als abweichend wahrgenommen. Queer Theories zeigen diese machtvolle heterosexuelle Matrix auf, hinterfragen Dominanzkulturen und dekonstruieren diese, indem sie die Kontingenz vermeintlich natürlicher Normen aufzeigen. Queer Theories zeichnen sind durch Elastizität, Unbestimmtheit und Widersprüchlichkeit aus und betonen das Potenzial von Ambivalenz und der Dekonstruktion von Normen. Mehrwert queerer Perspektiven Wir sind der Auffassung, dass die vorgeschlagene Reflexionsperspektive einen Mehrwert für kritische Männer*arbeit bringt. In diesem Sinne schließt das Konzept an bestehende Ansätze an, und wird um das Attribut „kritisch“ erweitert. Kritische Jungen*- und Männer*arbeit hat außerdem den Anspruch, bestehende Geschlechterkonstruktionen nicht einfach hinzunehmen und zu reproduzieren, sondern diese zu hinterfragen und zu erweitern. Die Reflexion psychosozialer Arbeit mit Jungen* und Männern* vermag eine Perspektivenerweiterung unhinterfragter Normen anzuregen. Wie und unter Berücksichtigung welcher Aspekte Reflexion stattfindet, hängt von vielfältigen Einflussfaktoren ab, etwa von Organisationskulturen, Teamstrukturen und -konstellationen, Arbeitsfeldern, der Sensibilität und Offenheit für die Thematik, Mandaten und der Zielgruppe. Um Reflexion anzuregen, orientieren wir uns im Folgenden an drei Perspektiven: (1) Geschlecht als Strukturkategorie, (2) Geschlecht als soziale Konstruktion sowie (3) Geschlecht als Konfliktkategorie. Geschlecht als Strukturkategorie In dieser Dimension wird davon ausgegangen, dass Geschlechter durch gesellschaftliche Organisationsprinzipien geprägt werden, in denen insbesondere Ungleichheiten, Hierarchien und Abwertungen eine zentrale Rolle spielen und Geschlecht als „sozialer Platzanweiser“ wirkmächtig ist. Blicken wir jedoch auf Jungen* und Männer*, die aufgrund ihrer geschlechtlichen und sexuellen Identität im Mainstream als nonkonform gelabelt werden, so wird deutlich, dass es Differenzen und Hierarchieunterschiede bei Männern* gibt. Hieraus ergeben sich aus unserer Sicht vier zentrale Reflexionsbereiche für eine queertheoretisch fundierte kritische Männer*arbeit: ■ Mit Blick auf Jungen* und Männer* ist zu klären, wo der konkrete Adressat* im Geschlechterverhältnis steht, inwieweit er durch strukturelle Benachteiligungen oder Ermöglichungen betroffen ist. ■ Im Sinne der beschriebenen Hierarchien innerhalb der Kategorie „Mann*“ erscheint es wichtig, queere Reflexion nicht nur auf LGBT-Personen zu beziehen, sondern die Arbeit mit weißen, heteronormativ orientierten Cis-Männern entsprechend zu beleuchten. ■ Im selbstreflexiven Blick auf die Fachkräfte müssen diese Überlegungen auf die Professionellen übertragen werden. Hier ist zu fragen, welche Diskriminierungen und Privilegierungen Fachkräfte (im Gegensatz zu ihren Adressat*innen) erleben und wie sie sich im Geschlechterverhältnis positionieren. ■ Schließlich ermöglicht die Strukturperspektive Fachkräften und Einrichtungen eine bewusste Positionierung. Professionelle, die sich Ein Abbau von diskriminierenden und abwertenden Strukturen und Prozessen sowie die Bearbeitung einschränkender Geschlechternormen stehen weiter auf der Tagesordnung Wie wichtig sind für dich spezielle Angebote „nur“ für junge Männer*? » Absolut unwichtig, ich find‘s absolut kacka. Ich find‘s richtig unnötig, weil man sich dann einfach ausgeschlossen fühlt. Da stehen alle vor der Tür und am Jungen*abend andersrum. (Junge*, 16) Bild: Edward Howell auf Unsplash

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjk2NDUy