| 02 | 2024 19 Gendersensible Jugendarbeit Schwerpunkt Gewalterfahrungen betroffen. Diese Erlebnisse stellen gerade junge Menschen vor besondere Herausforderungen in ihrer Identitätsentwicklung, da Ablehnung, (antizipierte) Diskriminierung sowie verinnerlichte Queer-Negativität gesundheitsschädlichen Minderheitenstress erzeugen können. Ein offenes und unterstützendes Umfeld sowie spezifische queere Angebote können sich dagegen positiv auf das Wohlbefinden von LSBTIQA*-Jugendlichen auswirken. Die Studie ergab, dass 94 Prozent der Befragten in mindestens einer Form Diskriminierung erfahren haben, wobei diese Erfahrungen je nach Geschlechtsidentität und anderen intersektionalen Faktoren variieren. Dies unterstreicht die Notwendigkeit der Sensibilisierung in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, um ein inklusiveres und akzeptierendes Umfeld zu schaffen. In Bezug auf soziale Unterstützung zeigte sich, dass die Teilnehmenden am offensten gegenüber ihrem Freundeskreis sind, während das Verhältnis zur Familie oft ambivalent ist. Queere Jugendangebote und Beratungsstellen spielen eine wichtige Rolle in der Unterstützung dieser Gruppe. Darüber hinaus verdeutlicht die Studie den Bedarf an spezifischen Beratungsangeboten und einer verstärkten Sensibilisierung. Jugendarbeit und politische Unterstützung sind dabei von besonderer Bedeutung, um die Lebenssituation junger LSBTIQA*-Personen zu verbessern und deren Wohlbefinden und Akzeptanz in der Gesellschaft zu fördern. Und damit ist alles gut? Natürlich nicht. Auch wenn das Thema Vielfalt eine spürbar höhere Aufmerksamkeit in der Gesellschaft erfährt, zeigen jüngere Berichte eine bundesweit ansteigende rechte, rassistische und antisemitische Gewalt. So wurden 2022 in Deutschland mehr als doppelt so viele Gewaltangriffe auf queere Menschen registriert wie 2021.5 Die Situation bleibt also aktuell und für die Jugendarbeit relevant. Deswegen ist auch mit der ersten queeren Jugendstudie ein Meilenstein geschafft, der die Grundlage bildet, die Bedürfnisse dieser Jugendlichen noch stärker wahrzunehmen und entscheidende Schritte auf dem Weg zu einer inklusiveren und gerechteren Welt für alle jungen Menschen zu gehen. Insbesondere fordert der BJR jetzt: ■ Ausbau der Strukturen und Anerkennung von zivilgesellschaftlichem Engagement in diesem Themenfeld, v.a. durch den Ausbau bisher fehlender Beratungsangebote in ländlichen Räumen, ■ Einrichtung eines Aktionsplans für Bayern, ■ Beitritt Bayerns zur „Koalition gegen Diskriminierung“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, ■ Klärung einer Zuständigkeit für eine ressortübergreifende Antidiskriminierungspolitik innerhalb der Bayerischen Staatsregierung, ■ Einrichtung einer Koordinierungsstelle auf Landesebene beim BJR und ■ Stärkung der Selbstorganisation und einer entsprechenden Förderung auf Landesebene. An der Umsetzung dieser Forderungen arbeiten der BJR und weitere Organisationen, indem sie sich in Anhörungen im Bayerischen Landtag und in politischen Gesprächen einbringen. So kommt der BJR seinem Auftrag nach, sich für eine offene, tolerante und vielfältige Gesellschaft einzusetzen. Queersensible Reflexionen für die psychosoziale Arbeit mit Jungen* und Männern* Selbstverortung im Arbeitsfeld1 Queertheoretische Fundierungen kritischer Jungen*- und Männer*arbeit finden sich in Theorie und Praxis noch wenig. Der Artikel fasst die Befunde von Gerd Stecklina und Jan Wienforth zusammen. Reflexion der eigenen Tätigkeit wird als eines der zentralen Elemente von Fachlichkeit und Professionalität in der psychosozialen Arbeit angesehen – nicht zuletzt in der geschlechterbezogenen Arbeit. In diesem Sinne sind queer-heteronormativitätskritische Konzepte eine notwendige Erweiterung der Reflexion kritischer Männer*arbeit. Auf der Basis einer Verschränkung von Theoriekonstruktionen und empirischen Ergebnissen plädieren die Autoren Gerd Stecklina und Jan Wienforth für eine queerreflexive und kritische Männer*arbeit. Ganz im Sinne queerer Theorie geht es darum, Selbstverständlichkeiten und Eindeutigkeiten Wie wichtig sind für dich spezielle Angebote „nur“ für Mädchen*? » Also ich fände es besser, wenn die Jungs* auch bis zum Ende dableiben können. (Mädchen*, 7) Wie wichtig sind für dich spezielle Angebote „nur“ für Jungen*? » Ich find‘s schön, dass man andere Sachen macht wie mit Mädchen*, weil die Sachen für Jungs* schöner sind. (Junge*, 8) PATRICK WOLF, Jahrgang 1989 aus Nürnberg, IHK-Bankkaufmann, Staatlich Anerkannter Erzieher, B.A. Soziale Arbeit, stud. M.A. Sozialmanagement, Büroleiter und Queerbeauftragter, Bayerischer Jugendring Download unter www.howareyou.bayern 1) Mit queer sind alle nicht-endo-cis-heteronormativen Lebensweisen und Identitäten gemeint. Queere Jugendarbeit wird als Terminus für Angebote und Projekte verwendet, die sich speziell an junge Menschen richten, die sich als LSBTIQA* positionieren. 2) Gallup, Jones, 2022 3) Bayerisches Landesamt fur Statistik, 2022 4) Die Abkürzung wird verwendet, um die Vielfalt der Dimensionen der Geschlechtlichkeit, der sexuellen sowie der geschlechtlichen Identitäten zu repräsentieren. Es gibt viele andere Variationen und Abkürzungen, gemeinsam zielen sie auf Akzeptanz und Respekt der individuellen Identität und Selbstidentifikation als wichtige Prinzipien ab. Konkret steht die Abkürzung LSBTIQA* für: L – Lesbisch; S – Schwul; B – Bisexuell; T – Trans*; I – Inter*; Q – Queer; A – Asexuell; * Platzhalter, um weitere Identitäten einzuschließen 5) Verband der Beratungsstellen für Betroffene 2023, https:// verband-brg.de/rechte-rassistische-und-antisemitische-gewalt-in-deutschland-2022-jahresbilanzen-der-opferberatungsstellen/#pressemitteilungen_mitglieder 1) Exzerpt aus: Gerd Stecklina und Jan Wienforth, „Queer-heteronormativitätskritische Reflexionen für die psychosoziale Arbeit mit Jungen* und Männern*“, zusammengestellt von Marko Junghänel. Den vollständigen Beitrag gibt es unter https://journal-fuer-psychologie.de/article/view/441
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