K3 No. 1 - Februar 2024

6 das kommt | 01 | 2024 das war Die LOK Arrival hat ihre Arbeit nach neun Jahren beendet 2013 brach die Familie von Ali aus Afghanistan auf. Mehr als ein Jahr dauerte ihre Flucht über die Türkei, Griechenland, Nordmazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Die letzten zwei Monate war er, als ältester Sohn, neunjährig, getrennt von seiner Familie unterwegs. Erst in der Münchner Bayernkaserne sah er seine Eltern und Geschwister wieder – sie waren 2014 die ersten Geflüchteten hier. Und heute sind sie die letzten. Etwa zu der Zeit, als Ali hier ankommt, beginnt auch die LOK Arrival mit ihrer Arbeit. Eine Freizeitstätte für geflüchtete Kinder und Jugendliche, direkt auf dem Gelände einer Geflüchtetenunterkunft, das war deutschlandweit einmalig und ist es bis heute. Die Kids rennen dem Team die Türen ein, hier gibt es, was nach Unterkunft, Verpflegung und medizinischer Versorgung am wichtigsten ist: Spiel, Spaß, Entspannung, Gleichaltrige aus aller Welt und mehr Platz als in den engen Unterkünften. In der „Halle 2“ locken Kicker, Billard, Tischtennis und Soccerplatz, hier gibt es Deutschkurse zusammen mit dem Goethe-Institut, es gibt Konzerte, Sporttage und Feiern, zum Zuckerfest 2016 kommen fast 1000 Gäste und übers Jahr 30.000 Kinder und Jugendliche. 2017 sollte Schluss sein, doch der Bedarf ist einfach zu groß, die Stadt verlängert bis 2018, dann bis 2021, dann nochmals bis 2023. Eigentlich sollten längst keine Familien mehr hier in der Bayernkaserne sein, die meisten haben inzwischen tatsächlich eine andere Bleibe gefunden. Doch längst nicht alle, Ali und seine Familie sind ein Beispiel von vielen. Am letzten Novembertag hatte das Arrival-Team um Leiterin Mira Walter zum Flohmarkt geladen, die Kinder konnten sich die verbliebenen Spielsachen der LOK Arrival kaufen, „mit Konfetti als Zahlungsmittel“, wie Walter erzählt. Jetzt, einen Tag später, begrüßt sie zwei Dutzend Gäste zum offiziellen Abschied. Denn die Stadt hat entschieden: Ende des Jahres ist endgültig Schluss. Mit Julia Schmitt-Thiel, Lars Mentrup, Lena Odell und Marion Lüttig sind fünf Prozent des Stadtrats dabei, auch Patric Wolf, der Vorsitzende des örtlichen Bezirksausschusses nimmt Abschied. Lena Odell erinnert an die unglaubliche Aufbruchsstimmung, die sich in München und auch hier gezeigt hat. „Was waren wir stolz 2014, 2015 über unsere Vorbildrolle! Wir konnten zeigen, ‚best practice‘ können wir!“ Und sie bringt die Emotionen von damals zurück in den Raum, als sie schwärmt von den „Bildern aus München, die um die Welt gegangen sind!“ Sie dankt dem Team und wünscht ihm alles Gute für die Zukunft, „die geht ja weiter, wenn auch an anderen Orten.“ Denn die vier Pädagoginnen und Pädagogen bleiben beim KJR und werden in anderen Freizeitstätten eingesetzt. Alexander Rix, noch ganz frisch im KJR-Vorstand, merkt sarkastisch an, dass er sich für seine erste Rede als Vorstandsmitglied keine Trauerrede vorgestellt hatte. Er stimmt lieber feierliche Töne an, „was Ihr hier geleistet habt, ist vielmehr zum Jubeln, besonders auch eure Beharrlichkeit“, lobt er das Team. „Ich melde mich schon mal an, falls es eine Wiedereröffnung gibt“, sagt er, Stadträtin Odell setzte spontan ein „ich auch!“ nach. Tatsächlich hatte der Bezirksausschuss gefordert, die reiche Erfahrung und das gut vernetzte Team gleich für die ohnehin geplante Freizeitstätte einzusetzen. Denn wo die Bayernkaserne stand, entsteht in den nächsten Jahren der neue Stadtteil Neufreimann, die ersten Familien ziehen schon 2024 ein. Doch noch während der Feier unter dem Motto „Jetzt ist erst mal Schluss“ sickert durch: Das Jugendamt sieht keinen Bedarf, es wird keine Wiedereröffnung geben. Ob es eine Dokumentation der Arbeit in der LOK Arrival gibt, fragt Julia Schmitt-Thiel, die auch Leiterin des Kulturzentrums Mohr-Villa ist. „Das Projekt ist so einmalig, das wollen wir festhalten, es sollte ins Stadtarchiv und in die Stadtgeschichte eingehen“, sagt sie. Auf Zuruf verständigt sie sich mit ihren Stadtrats-Kolleg*innen und dem BA-Vorsitzenden Wolf, sich um Zuschüsse für eine Dokumentation zu bemühen. Mira Walter ist vom Zuspruch bewegt, „ich dachte nicht, dass ich so gerührt bin“, und zeigt schnell einen Film mit Impressionen aus neun Jahren Arbeit. Die Bilder sind mit dem Song „Eine Welt, eine Heimat“ von Adel Tawil unterlegt, er singt „da ist eine Tür, die aus der Hölle führt, hinter dieser Tür liegt ein Weg aus Stein und dieser Weg bringt dich zum Paradies.“ Für Ali, heute 20 Jahre alt, war der Weg von Afghanistan hierher lang und steinig. Aber er hat das Paradies gefunden. Er erzählt von Ausflügen in die Therme Erding und zum Wandern, schwärmt, dass auch die, die aus der Bayernkaserne weggezogen waren „immer trotzdem wiederkommen durften“, er lächelt und strahlt das Team an und wendet sich an die, die am längsten dabei und zuletzt auch die Verantwortliche war: „Mira war immer für uns da. Sie ist die tollste Betreuerin, die es gibt!“ Gecko Wagner, Öffentlichkeitsarbeit, KJR Aus und vorbei, endgültig Sentimental ja, Trauer nein: Zur Auflösung der LOK Arrival danken Stadträte und Stadträtinnen dem Team und dem KJR für neun Jahre Pionierarbeit. Doch am bewegendsten spricht Ali aus Afghanistan Sagten Danke und Auf Wiedersehen: Patric Wolf (BA-Vorsitzender), Lars Mentrup (Stadtrat) Alexander Rix (KJR-Vorstand), Caroline Rapp (Geschäftsführerin Trägerschaften, KJR), LOK-Arrival-Leiterin Mira Walter, die Stadträtinnen Lena Odell, Julia Schmitt-Thiel und Marion Lüttig und Martin Weszycki (Abteilungsleiter OKJA N/O, KJR; v.l.n.r.) Der 20-jährige Ali schwärmt von der Zeit in der LOK Arrival

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjk2NDUy