K3 No. 3 - Juli 2023

| 03 | 2023 23 Fachkräftemangel Schwerpunkt zialräumlichen Bedingungen und den hohen fachlichen Anforderungen an die Fachkräfte analysiert und passgenau verbunden werden? Teams und Fachkräfte sollten sich die Frage nach geschlechtergerechten und familien- und lebensstilfreundlichen Bedingungen stellen. Das erfordert intensive Klärungsprozesse. Formen der Einzelarbeit könnten die soziale Gruppenarbeit und offenen Angebote ergänzen, um junge Menschen an die Einrichtung zu binden. Das eigene Verständnis von Jugendarbeit könnte überprüft werden und nach neuen, zeitgemäßen Arbeitsformen hin erweitert werden. PROF. DR. REGINA MÜNDERLEIN, Jahrgang 1966 aus Neuendettelsau, Studium Kulturpädagogik an der Universität Hildesheim, Professorin für Jugendarbeit/Soziale Arbeit an der Hochschule Kempten konnotiert, und es mangelt an Geld und Anerkennung – dafür gibt es Applaus und manchmal romantisierte Lobpreisungen. Weiblich, unsichtbar, unbezahlt Einer der Gründe liegt in historisch gewachsenen Vorstellungen über Weiblichkeit, deren Ausgrenzung und Abwertung. In der Antike entstand die Idee, dass Frauen von Natur aus das schwächere Geschlecht und minderwertige Männer seien. Namhafte Gelehrte der Aufklärung trugen diese Ideen weiter und versuchten, philosophische und biologische Begründungen zu finden. Mit dem Entstehen des Kapitalismus und des Bürgertums teilte sich Arbeit auf. Erwerbsarbeit wurde zur männlichen Domäne und Care wurde weiblich, unsichtbar und unbezahlt. Haushalt, Kinder und Familie galten als die natürliche Bestimmung von Frauen – gepaart mit der Vorstellung von geistiger Mütterlichkeit. Frauen sind von Geburt an empathisch, fürsorglich und vor allem aufopferungsvoll. Auch heute noch gilt Care als Liebesbeweis von Frauen. Doch wir wissen, dass es hauptsächlich normative Erwartungen sind und diese sind veränderbar. Aufgrund der Annahme, dass Care eine Naturressource sei, lässt sie sich ausbeuten. Beispielsweise nahm man lange Zeit an, dass eine erfolgreiche weibliche Sozialisation als Qualifikation für Soziale Arbeit genüge. Das ist sehr profitabel, denn wenn Frauen das gerne tun, dann muss man dafür nichts oder nur wenig bezahlen. Gesucht: Pioniere des Wandels Das IW bestätigt, dass der Fachkräftemangel eng mit traditionellen Geschlechtervorstellungen zusammenhängt und Männer typische Frauenberufe eher meiden. Daher liegt es nahe, sie mit Programmen wie „Klischeefrei“ oder „Boys‘ Days“ zu umwerben. Die Zahlen an sich sind nicht das Kernproblem, sondern die bestehende Reproduktion von Ungleichheitsdynamiken. Diese Männer können Vorbilder für nachfolgende Generationen sein – und das ist auch gut so. Caring Masculinities machen Geschlechtervielfalt im Alltag sichtbar und enthalten transformative Kraft. Auf der anderen Seite droht ein Statusverlust, denn sie können als schwach oder verweichlicht gelten. Das kann zu weiteren gesellschaftlichen Abwertungen von Care führen. Es braucht zusätzlich eine Auseinandersetzung mit Geschlechternormen, einen Paradigmenwechsel hin zum solidarischen Handeln von Männern, die Care nicht aus ihrem Denken und Handeln ausklammern und sich grundlegend dafür verantworten. Care wird attraktiver, wenn es sichtbar strukturell, sozial und individuell integriert wird. Wer beim Fachkräftemangel nicht abgehängt werden möchte, muss auch die sozial-normative Praxis mitdenken, hinterfragen und verändern. Die Wertedebatte gilt für einen selbst, für die Praxis, für die Organisationen sowie für die Disziplin. Die Lösung des Fachkräftemangels individuell den Frauen – beispielsweise durch weniger Teilzeit und mehr Vereinbarkeitsangebote von Familie und Beruf – oder allein den Fachkräften aus dem Ausland zu überlassen, ist bei weitem nicht ausreichend. EVA VON PETER, Jahrgang 1984 aus Landsberg am Lech, Studium Soziale Arbeit (BA) und Sozialwissenschaften (MA), Grundsatzreferentin, KJR Literatur ■ Gärtner, Marc/Scambor, Elli (2020) Caring Masculinities. Über Männlichkeiten und Sorgearbeit. In: APuZ. Nr. 45. Verfügbar unter: www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/care-arbeit-2020/317852/ caring-masculinities/ (letzter Zugriff: 19.04.2023) ■ Heimbach-Steins, Marianne (2017) Grund zur Sorge – Genderfragen im Feld der Care-Arbeit. In: Brand, Cordula/Heesen, Jessica/ Soziale Arbeit, Fachkräftemangel und die Anerkennung von Care-Arbeit Ein Problem – viele Dimensionen In der Sozialen Arbeit gibt es seit einiger Zeit einen zunehmenden Fachkräftemangel, der sich in naher Zukunft noch weiter verstärken wird. Care-Arbeit bleibt weiter weiblich … Soziale Arbeit ist laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sogar Spitzenreiterin: 2021/22 konnten nur 20 Prozent der offenen Stellen besetzt werden. Folglich fehlen Fachkräfte in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen, darunter auch in der Kinder- und Jugendhilfe. Allesamt sind es Bereiche, in denen es um die vielfachen Formen von Fürsorge und des Sich-Kümmerns geht. Dafür gibt es einen Begriff: Care ist alles das, was wir tun, um unsere Welt zu erhalten, zu (re-)produzieren und zu reparieren. Care fängt bei der Versorgung Neugeborener an, reicht über Erziehung und Bildung bis hin zur Pflege und endet im Hospiz. Care heißt auch kochen, putzen, trösten. Care kann bezahlt oder unbezahlt sein. Soziale Arbeit ist bezahlte Care-Arbeit. Doch im Vergleich zu anderen Berufen ist sie in der Regel schlechter bezahlt, unterbewertet und wird meist von Frauen* erbracht. Care ist weiblich Bild von Марина Вельможко auf Pixabay * Es gibt weder die Frauen noch die Männer, denn Geschlechtsidentitäten sind vielfältig. Beide Begriffe werden als normative gesellschaftliche Zuschreibungen verwendet.

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