K3 No. 5 - Dezember 2022

| 05 | 2022 25 Nachhaltigkeit Schwerpunkt Mobil ja – aber anders Die Zukunft in unseren Köpfen Mobilität ist nötig. Doch wo früher nur Muskelkraft genutzt wurde, stand seit der Industrialisierung ein scheinbar unendliches Kontingent an fossilen Energiequellen zur Verfügung, das Mobilität rasant beschleunigte. Die vermeintliche Zeiteinsparung durch Erhöhung von Geschwindigkeit erwies sich als Trugschluss. Tatsächlich bleibt die tägliche Reisedauer in den letzten Jahrzehnten relativ konstant. Statt also dieselben Wege in kürzerer Zeit zurückzulegen, wurden die Entfernungen immer länger. Was das Auto an Vorteilen versprach – Schnelligkeit, Freiheit und Komfort – wurde durch veränderte Nutzungsmuster zur Last für die gesamte Gesellschaft. Steigende Emissionen, Stau, Lärm- und Schadstoffbelastungen sowie Flächenversiegelung sind die Konsequenzen. Wir wissen, dass wir mehr Radverkehr, freie Gehwege und einen attraktiveren ÖPNV brauchen und folglich weniger Raum und Subventionen an das Auto verschwenden dürfen. Dass sich an einer autozentrierten Planung trotzdem bisher wenig geändert hat, zeigt, dass die größten Barrieren für eine nachhaltige Mobilität in unseren Köpfen existieren. Doch wie können wir eine Denkweise annehmen, die uns bei der Mobilitätswende unterstützt? Dazu gibt es einige Vorschläge. Wortwahl Unsere Sprache beeinflusst maßgeblich, wo wir die Probleme im Verkehr sehen. Es macht einen Unterschied, ob über eine getötete Radfahrerin berichtet wird, dass sie keinen Helm trug, nicht aber, dass der LKW über keine Abbiegeassistenz verfügte (was eine deutlich wirksamere Präventionsmaßnahme gewesen wäre). Solche Aussagen vermitteln falsche Bilder von Gefahren und verdrehen die Täter- und Opferrolle. Wörter wie „Unfall“ (abgeleitet vom englischen „accident“, was auch Zufall bedeutet) verharmlosen vermeidbare Todesursachen auf eine besonders perfide Art. Die häufigsten Unfallverursachenden sind immer noch mit Abstand Kraftfahrzeugfahrer*innen, meist durch menschliches Fehlverhalten. Beim Steuern einer Tonne Blech mit hohen Geschwindigkeiten ist die Fehlertoleranz minimal. Infrastruktur und Straßenregeln, die dem Auto Vorfahrt gewähren, verschärfen die Situation. Die Gefahr besteht nicht im Verkehr selbst, sondern in unserer Art, das Auto zu nutzen. Nur wenn wir diese Gefahr benennen, können wir gegensteuern. Das bedeutet vor allem, die Mobilitätsformen mit dem geringsten Gefahrenpotential zu schützen, indem wir sie infrastrukturell und regulatorisch bevorzugen. Kreativität Wenn wir Veränderung wollen, müssen wir sie uns vorstellen können. Zu oft wird Autoreduktion mit Mobilitätsreduktion verknüpft. Dabei können wir mit einer klugen Stadtgestaltung Mobilität verbessern und Orte regelrecht aufblühen lassen. Viele kreative Möglichkeiten zeigen, wie eine Stadt aussehen könnte, die auf die Bedürfnisse von Menschen ausgelegt ist: Die Wanderbaumallee sorgt für Schatten und Abkühlung, breite Radwege ermöglichen Kindern einen sicheren Schulweg, Schanigärten schaffen Platz zum Aufenthalt. Auch ein Blick in die Vergangenheit ist hilfreich. Bilder vom Stachus und der Kaufingerstraße in den Sechzigern zeigen, wie sehr sich Orte zum Positiven wandeln können. Vom Verkehrschaos zur Fußgängerzone, so könnte es auch in der Sonnenstraße aussehen, wie der Entwurf für den „Munich Central Park“ des Bund Naturschutz zeigt. Engagement Wir brauchen Menschen, die den Mut haben, ein neues Narrativ über Verkehr zu erzählen. Wir brauchen Menschen, die an zukünftige Generationen und an weniger privilegierte Bevölkerungsgruppen denken, die oft überproportional unter den negativen Folgen des Autos leiden. Wir brauchen Menschen, die mit kreativen Aktionen Perspektiven in die Zukunft ermöglichen, die ihre Rechte auf saubere Luft, Raum in der Stadt und Verkehrssicherheit einfordern. Ob wir es schaffen, Mobilität für das Gemeinwohl zu gestalten, hängt vor allem davon ab, ob wir das Narrativ vom „Auto in unseren Köpfen“ in „die lebenswerte Zukunft in unseren Köpfen“ wandeln können – ob wir uns vorstellen können, eine grüne, sichere und saubere Stadt zu bauen. Und ob wir uns trauen, sie von Entscheidungstragenden aktiv einzufordern. KATHAR I NA MAY E R aus München, Jahrgang 1997, Studentin der Nachhaltigkeit und Verhaltensforschung, Vorstandsmitglied im KJR Vorfahrt für den Menschen – der motorisierte Verkehr muss sich zurückziehen Was macht eigentlich gerade Fridays for Future? Der Hype ist vorbei 14. Dezember 2018: Am Max-Joseph-Platz schallen Rufe durch die Stadt. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ und „Damit wir wieder frieren, wenn wir imWinter demonstrieren!“ Es sind etwa 60 Jugendliche, die nach dem Vorbild der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg an diesem Freitag nicht zur Schule gehen. Die meisten von ihnen waren davor schon politisch aktiv und hatten sich schon inhaltlich mit der Klimakrise beschäftigt. Nur wenige Wochen später überschlagen sich die Ereignisse. Statt der angemeldeten 100 Teilnehmer*innen kamen damals plötzlich 1.800 Jugendliche. Es folgten wöchentliche Demonstrationen mit mindestens einigen hundert Demonstrierenden. Der „global climate strike“ am 20. September 2019 war wie ein Paukenschlag. Über 60.000 Menschen versammelten sich auf dem Münchner Königsplatz zur größten politischen Demonstration der Nachkriegszeit in der Stadt; organisiert von Menschen unter 30, Menschen, die zur Schule oder in die Uni gehen. „Fridays for Future“ (FFF) war ein Phänomen. Die erste global Bild: GreenCity/ Michaila Kuehnemann

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