K3 No. 2 - Mai 2022

Dachzeile 22 das kommt | 02 | 2022 Generationen Schwerpunk darum gekämpft, bis wir erfolgreich waren. Das war ein großer Erfolg für uns und wir haben gelernt, mit Politik und Verwaltung zu sprechen, zu verhandeln und an einem Thema dranzubleiben. Wie hat es bei Dir angefangen, Eva? Eva: Ich erinnere mich, dass ich 11 Jahre alt war, als ich zum ersten Mal einen Brief an einen Politiker geschrieben und ein alternatives Bildungssystem vorgeschlagen habe. Mit 14 bin ich dann bei Fridays for Future eingestiegen. Früher hatte ich auch oft schon bei meiner Mutter mitgemacht, die in der Kleiderkammer einer Flüchtlingsunterkunft mithalf. Braucht es also Vorbilder für Engagement, wie bei Dir die Mutter? Eva: Die Erziehung spielt eine wichtige Rolle. Dabei lernt man, wie man der Welt begegnet. Man muss erkennen, dass man Forderungen für Veränderungen bzw. Verbesserungen stellen kann und muss. Und man muss erleben, dass man diese Forderungen auch umsetzen kann. Vorbilder braucht man nicht unbedingt, sondern eher das Gefühl, dass man Anspruch auf Teilhabe hat. Dazu kommt dann schon auch noch persönliche Betroffenheit. Bei Dir war dieses Umfeld die Clique? Werner: Es gab zwar Leute, die uns unterstützt haben, aber der Handlungsdruck kam aus uns selbst heraus. Die damalige Stadträtin Maria Nindl hat uns geholfen, auch der KJR. Im Wesentlichen ging die Initiative von uns aus. Dadurch haben wir uns von unseren Eltern unterschieden, bei denen es – als Kriegsgeneration – darum ging, dass man etwas zum Essen, Klamotten und ein Dach über dem Kopf hatte. Gesellschaftliches Engagement spielte bei denen noch keine Rolle. Kann man sich nur gesellschaftlich engagieren, wenn man keine materiellen Sorgen hat? Eva: Da ist etwas dran. Die Klimakrise ist zum Beispiel ein abstraktes Thema. Man braucht mentale oder bewusstseinsmäßige Kapazitäten, um das in der gesamten Komplexität zu verstehen. Wenn man dann ständig daran denken muss, wie man seinen Lebensunterhalt sichert, ist es verständlich, dass man sich nicht mit den „großen Dingen“ befasst. Anders gefragt – muss man jung sein, um zu beginnen, sich gesellschaftlich zu engagieren? Eva: Es ist leichter, sich als junger Mensch für Dinge und Themen zu begeistern, man bringt leichter die Energie auf, die nötig ist. Werner: Ich bin heute nicht mehr so aktiv wie damals. Ich war zwar neulich auf der Friedensdemo auf dem Königsplatz, doch das ist eher die Ausnahme. Bei diesem speziellen Thema Krieg bin ich aber berührt, es macht mich zornig, dass so etwas passiert. Ich bin dadurch motiviert, auf die Straße zu gehen. Heute hat man zudem andere Mittel, um dazuzugehören und informiert zu sein – Stichwort Social Media. Früher sind wir auf die Straße gegangen und haben einen Journalisten gesucht, der über uns schreibt. Heute kann sich jeder Einzelne und verschiedene Gruppe öffentlich darstellen und die Meinungsbildung beeinflussen. Eva: Besonders soziale Medien haben eine selbstermächtigende Wirkung. Man ist nicht mehr von klassischen Medien abhängig und kann den Diskurs selbst mitbestimmen. Gilt diese Annahme, dass man sich früher eher lokal und heute global engagiert? Werner: Das gilt nicht generell. Die 68er Studentenbewegung war mindestens bundesweit ausgerichtet. Eva: Ich glaube, dass das Neue ist, dass man Aktionen global koordiniert, handelt und vernetzt. Dazu gibt es jetzt die geeigneten technischen Möglichkeiten, sich weltweit zu organisieren. Sprechen wir über Formen des Engagements. Was hat sich da verändert? Eva: Das Engagement heute ist gar nicht so anders als früher. Ich bemerke, dass wir in unseren Aktionen den Fokus stark auf mediale Wirkungen legen. Wir wollen Bilder produzieren. Werner: Wir sind damals am Ostbahnhof auf die Straße gegangen und waren wohl um die 100 Leute. Für uns war das der Wahnsinn, dass wir so viele Menschen mobilisieren konnten. Ich beneide die Leute heute, weil sie so viele Optionen und technische Möglichkeiten für ihr Engagement haben. Wie erreicht man die Bürger*innen mit dem eigenen gesellschaftlichen Engagement? Werner: Wir wollten gar keine anderen Menschen erreichen, weil wir aus dem sozialen Nahfeld eigentlich immer Gegenwind bekommen hatten. Im Stadtteil war bekannt, dass es da rebellische Jugendliche gibt, die einen Raum haben wollen. Das hat schon genügt, dass die ältere und konservative Generation Angst vor uns hatte. Eva: Fridays for Future trifft zwar bei Demonstrationen auf wenig Widerstand in der Bevölkerung. Wenn man unsere Aktionen aber als Grund nimmt, gegen den Klimaschutz zu sein, haben wir auch keine Unterstützer damit verloren. Inhalte sind allemal wichtiger als Aktionsformen. Seid Ihr jeweils typische Vertreter*innen Eurer Generation? Eva: Engagement ist wohl eher die Ausnahme, auch in meiner Generation. Ich behaupte, dass das Interesse für soziale und politische Themen zwar vorhanden ist, konkretes Engagement ist dann jedoch selten. Werner: Wenn ich meine Generation betrachte, gab es nicht viel und durchgehendes Engagement. Da ging es eher darum, sich gegen eigene Eltern aufzulehnen. Das trifft auch für mich selbst zu. Ich bin zwar immer noch ein Mensch, der Gesellschaft kritischer beobachtet – der aber kaum eigene Aktivitäten verfolgt. Eva: Kritisch zu sein, bedingt nicht automatisch gesellschaftliches Engagement. Engagement braucht ein Momentum, ein stimulierendes Umfeld, Betroffenheit und sozialen Kontext. Was hat Euch Euer Engagement für die Persönlichkeit gebracht? Eva: Für eine 16-Jährige ist es eher ungewöhnlich, in Hauptverantwortung eine Demo zu organisieren. Dabei in Diskurse zu gehen, bringt mich persönlich weiter. Ich habe viele Erfahrungen gemacht, die die meisten meiner Generation nicht machen; habe aber auch viele Enttäuschungen erleben müssen. Werner: Ich würde alles wieder so machen wie damals, weil ich persönlich daran gewachsen bin. Diese Zeit hat meinen Charakter geprägt. Nach meiner handwerklichen Ausbildung habe ich noch eine Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher gemacht. Ich habe gelernt, in der Demokratie zu agieren, Demokratie zuzulassen. Man hat seine Stimme und muss seine Meinung äußern. Das gebe ich auch meiner Stieftochter weiter. Interview: Marko Junghänel E VA ME T Z, Jahrgang 2004 aus München, Schülerin, Aktivistin bei Fridays for Future WE RNE R B I ND E R, Jahrgang 1959, aus München, Ausbildung zum Elektroinstallateur und staatlich anerkannten Erzieher, heute selbständiger Elektromeister

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