K3 No. 1 - Februar 2022

Schwerpunkt: Resilienz und psychische Gesundheit www.kjr-m.de ■ Klienten, Kunden oder junge Menschen? ■ Das ist aus mir geworden ■ Nachwuchstalente gesucht Das Magazin des Kreisjugendring München-Stadt 28 . JAHRGANG | AUSGABE 1 | FEBRUAR 2022

2 | 01 | 2022 Lang ist‘s her – läuft bei mir! Das ist aus mir geworden 6 Für Izo sind die Pädagoginnen und Pädagogen des SBZ Sendling bis heute wichtig 6 Aloun lernte im Zeugnerhof HipHop richtig kennen. Heute ist er damit selbständig 7 Alexander war mit 10 erstmals im 103er – heute leitet er den Freizeittreff das war Inhalt 3 kurz & knapp / 22 Impressum / 23 Termine / 24 zum Schluss 25 Jahre Kids on Stage 8 Nachwuchstalente gesucht! JugendTalk München 2022 9 Hört ihr mich? Jetzt anmelden! 9 KiKS-Festival 2022 das kommt Das Thema psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist in der Politik angekommen – endlich! Denn schon lange vor Ausbruch der Pandemie lagen Befunde vor, wonach sich hier massive Problemlagen zeigen, die unterschiedliche Ursachen haben. Ein zentraler Grund für die Zunahme psychischer Auffälligkeiten bei Heranwachsenden liegt in ungleichen Teilhabechancen und schlicht dem Faktor Armut. Sollen Kinder also Resilienz ausprägen, muss immer auch der sozio-ökonomische Status beachtet werden. Ab Seite 10 Schwerpunkt: RES I L I ENZ UND PSYCHI SCHE GESUNDHE I T

kurz & knapp | 01 | 2022 3 Freie Impfentscheidung für Kinder und Jugendliche Erwachsene entscheiden sich eigenständig für oder gegen eine Corona-Schutzimpfung. Für Minderjährige ist diese Selbstbestimmung jedoch nicht selbstverständlich. Daher spricht sich der KJR-Vorstand in einem Positionspapier für die freie Impfentscheidung von Kindern und Jugendlichen aus. „Jungen Menschen muss der Zugang zur Impfung auch gegen den Willen der Eltern ermöglicht werden“, heißt es darin. Der KJR fordert die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen der Jugendarbeit auf, Kinder und Jugendliche in ihrer Meinungsbildung zum Thema Impfen besonders zu unterstützen. Er betont, dass die nötige Einsichtsfähigkeit das wesentliche Kriterium dabei ist. Die Ärztinnen* und Ärzte* fordert der KJR auf, bei der Beratung zur Impfentscheidung von Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern besonderes Augenmerk auf das Selbstbestimmungsrecht und die Eigenständigkeit junger Menschen zu legen. Das Positionspapier ist unter www.kjr-m.de/publikationen veröffentlicht. Kulturzeitung – 10 Jahre Kulturelle Bildung im KJR Der KJR fördert seit 2010 Angebote im Bereich der Kulturellen Bildung. Damit engagiert er sich für eine bunte, vielfältige Kulturlandschaft, die den Bedürfnissen junger Menschen in München gerecht wird und fördert dabei vor allem die Aneignung kultureller Erfahrungen durch praktische Angebote mit aktiver Beteiligung. Die Kulturzeitung bietet einen Rückblick auf 10 Jahre Kulturelle Jugendbildung im KJR. In den Projekten der Kulturellen Bildung vernetzt der KJR junge Menschen aus den Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit, junge Geflüchtete und Grundschulkinder in der Kooperativen Ganztagsbildung mit Kulturinstitutionen und Kunstschaffenden. Gemeinsam mit Interessierten und Fachkräften aus allen Feldern der Kinder- und Jugendarbeit werden passende Veranstaltungsformate entwickelt und durchgeführt. Von entscheidender Bedeutung sind dabei die Impulse, Wünsche und Vorstellungen der jungen Teilnehmenden. Ehrenamtliche für Zensus 2022 gesucht Dieses Jahr steht wieder der Zensus an, besser bekannt als Volkszählung. Dafür sucht die Stadt München Erhebungsbeauftragte für die Befragungen von Haushalten. Der Aufwand für Kontaktaufnahme, Terminabsprache und Befragung mit etwa 120 Auskunftspflichtigen wird mit einer steuerfreien Entschädigung zwischen 600 und 900 Euro und zusätzlich 100 Euro Bonuszahlung honoriert. Voraussetzungen sind unter anderem Volljährigkeit, gute Deutschkenntnisse, Kommunikationsfähigkeit und ein gewissenhafter Umgang mit vertraulichen Informationen. Die Befragungen werden von Mai bis August stattfinden, die vorbereitende Schulung im März oder April 2022. Im Rahmen des Zensus wird ermittelt, wie viele Menschen in Deutschland leben, wie sie wohnen und arbeiten. Die erhobenen Daten dienen Politik, Verwaltung und Wirtschaft als wichtige Entscheidungs- und Planungsgrundlage. So können öffentliche Gelder in den Bereichen eingesetzt werden, in denen sie benötigt werden. Anmeldung und weitere Informationen unter www.muenchen.de/zensus2022 P O S I T I O N Beim 20. Kinder-Krimipreis 2022 können Kinder zwischen 9 und 14 Jahren, alleine oder im Team, teilnehmen. Die Krimis der Gewinner*innen werden im jährlich neu aufgelegten Heft „Ausgezeichnete Krimis“ veröffentlicht. Die Preisträger*innen lesen ihre Krimis u.a. beim Kinder-Kultur-Sommer-Festival oder auf der Münchner Bücherschau. Einer der Siegerkrimis wird für einen Radiosender als Hörspiel bearbeitet und gesendet. Die Kurzfassung eines Siegerkrimis erscheint in der Münchner Kinderzeitung, und alle Krimis sind außerdem auf dem Münchner Kinderportal www.pomki.de als Audio zu hören. Einsendeschluss ist der 9. April 2022. Der Kinder-Krimipreis ist Teil des Kinder-Krimifests vom 26. März bis zum 9. April 2022 und wird veranstaltet von der Münchner Stadtbibliothek, Kultur & Spielraum e. V. und dem Stadtjugendamt/Jugendkulturwerk. Er wird gefördert durch die Landeshauptstadt München, Sozialreferat und Kulturreferat. Mehr Infos unter www.kinderkrimifest.de/krimipreis Schreibwettbewerb 20. Kinder-Krimipreis

kurz & knapp | 01 | 2022 4 Zeitzeugen zum Balkankonflikt gesucht Das Münchner Schüler*innenbüro (MSB) bietet Bildungsangebote zu vielfältigen Themen an. Eines davon ist das Zeitzeug*innen-Gespräch für Schulklassen, das vor über 15 Jahren initiiert wurde. Dabei ging es zunächst um persönliche Erlebnisse aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Später wurde das Konzept um Zeitzeug*innen aus der DDR-Zeit erweitert, und künftig sollen Zeitzeug*innen-Gespräche zum Balkankonflikt langfristig als Angebot für Schulklassen etabliert werden. Gesucht werden deshalb Menschen, die eine gewisse Zeit in den 80er bzw. 90er Jahren auf dem Balkan gelebt haben oder sich temporär mit explizitem Bezug zum Krieg in diesem Gebiet aufgehalten haben. Das Konzept ist darauf ausgerichtet, mit mindestens zwei Referierenden in die Schulklassen zu gehen, um unterschiedliche Biografien und Lebensverläufe abbilden zu können. Die Referierenden erhalten eine Aufwandsentschädigung. Wer bei der Realisierung des Projekts helfen kann, möge sich bei Ozan Aykac melden: ozanaykac1996@gmail.com Spielzeugspende für das MKJZ Geschenke gibt es manchmal auch nach Weihnachten! So erhielt das Multikulturelle Jugendzentrum (MKJZ) Westend Kinderspielzeug als Neujahrsgeschenk vom Einkaufszentrum Forum Schwanthalerhöhe. Die Center-Managerin Anita Stampfl überreichte am 21. Januar die Sachspende der Firma Smyths Toys an Ismail Sahin, Leiter des MKJZ: unter anderem eine Spielküche, eine Werkbank, ein Verkaufsstand, eine Carrera-Bahn, ein Mario Cart Racing, zwei ferngesteuerte Autos, verschiedene Stofftiere und Bälle. Bereits beim Auspacken der Spielsachen war die Freude bei den Kindern groß. „Hervorragend, dass das Forum Schwanthalerhöhe sich sozial im Viertel engagiert“, freute sich Ismail Sahin. Dokumentarfilmwettbewerb für junge Menschen 2022 Das Dokumentarfilm-Festival DOK.fest München lädt junge Filmemacher*innen zum bayernweiten Jugendfilmwettbewerb 2022 ein. Gesucht sind kurze filmische Erzählungen zwischen drei und 20 Minuten zum Thema „LEBEN!“. Teilnehmen können alle Schüler*innen aus Bayern, von der Grundschule bis zur Berufsoberschule, als Gruppe oder alleine. Der Film muss dabei nichts mit Schule zu tun haben, aber sich um Menschen, Erlebnisse, Beobachtungen, Traditionen, Routinen, Ziele oder Träume drehen. Wichtig ist, dass die erzählte Geschichte aus dem echten Leben kommt. Ob mit Kamera, Smartphone oder Tablet gefilmt wird, spielt keine Rolle. Die besten Filme werden am DOK.fest München von 4. bis 15. Mai gezeigt, dazu winken Preise im Gesamtwert von 1.100 Euro. Einsendeschluss ist der 1. April, alle Details unter www.dokfest-muenchen.de/Wettbewerb Workshop in der FÄRBEREI Beim Ö-Workshop HÜLLEN & HUSSEN von 25. bis 27. März (Fr. 1518 Uhr, Sa. 11-16 Uhr, So. 11-16 Uhr) in der Färberei (Claude-Lorrain-Str. 25 ) können junge Künstler*innen und alle Interessierten wärmende Hüllen und Hussen aus ungenutzten Alltagsmaterialien nähen und gestalten. Der Workshop findet im Rahmen der Ausstellung HOTEL MAYA, aggregat M31 von Rasso Rottenfusser und Oliver Westerbarkey im Maximiliansforum statt. Die entstandenen Objekte werden Teil der Ausstellung im MaximiliansForum. Anmeldung unter oe_werkstatt@kjr-m.de, empfohlen ab 14 Jahren. Foto: Georgios Tsepidis Foto: Stoffwechslerei

| 01 | 2022 5 Kommentar Wie nennen wir unsere Zielgruppe in der Jugendarbeit? Warum sprechen wir von Kindern und Jugendlichen oder von Klienten/Klientinnen, Kunden/Kundinnen, Nutzern/Nutzerinnen, Besuchern/Besucherinnen oder Adressaten/ Adressatinnen? Auch in der Sozialen Arbeit wird, wie in allen Berufen der modernen Gesellschaft, auf Nachfrage mit Leistung reagiert. Im Gegensatz zu anderen Arbeitsfeldern wird in der Sozialen Arbeit die Leistung vom Kunden bzw. der Kundin jedoch nicht direkt bezahlt. Im Sinne eines unschlüssigen Tauschverhältnisses (Zahlende sind nicht Kunden bzw. Kundinnen) kommt in der Regel der Staat für die Gegenleistung auf. Im Feld der Sozialen Arbeit hat sich daher in den letzten Jahren der Begriff „Klienten und Klientinnen“ für die Adressaten und Adressatinnen sozialer Dienstleistung etabliert. Klient*in sozialer Dienstleistung zu sein, bedeutet daher in der Regel, sich in einer defizitären Situation zu befinden, die der Staat als auszugleichend betrachtet. Die Folge davon ist, dass das Bild von Klienten bzw. Klientinnen gesellschaftlich mit defizitären Merkmalen umschrieben wird. In den letzten Jahren wird es nun auch in der Jugendarbeit zunehmend üblich, von den Klienten und Klientinnen zu sprechen, wenn die Nutzer*innen der Einrichtungen und Dienste der Jugendarbeit (§11 SGB VIII) gemeint sind. Dies hat auf der einen Seite seine Wurzeln in der Ausbildung der Sozialarbeiter*innen und pädagogischen Fachkräfte an den Hochschulen, wo infolge der Theorieentwicklung der Sozialen Arbeit und der gleichzeitig stattfindenden Professionalisierung der Sozialen Arbeit eine eigene Berufssprache entstanden ist. Auf der anderen Seite haben sich die Träger der Jugendarbeit neue Arbeitsfelder der Jugendhilfe erschlossen (z.B. Schulsozialarbeit, Jugendsozialarbeit), in welchen der Begriff „Klient*in“ üblich ist. Das Kinder- und Jugendhilfe-Gesetz, die UN-Kinderrechte, aber vor allem das Selbstverständnis der Jugendarbeit in Deutschland mandatiert junge Menschen als Rechte-Inhaber*innen. Junge Menschen haben das Recht auf eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche und gemeinschaftsfähige Persönlichkeit und sollen die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung gestellt bekommen. Diese Angebote sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, so das SGB VIII. Die Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse, sprich der KJR, werden von jungen Menschen selbst bestimmt und verantwortet. Daher ist es Aufgabe der Jugendarbeit, als Ort der Selbstbestimmung junger Menschen, dazu beizutragen, „dass junge Menschen zur Entfaltung und Selbstverwirklichung ihrer Persönlichkeit befähigt werden und junge Menschen zur aktiven Mitgestaltung der freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft zu befähigen, insbesondere durch Förderung des verantwortlichen und selbständigen Handelns, des kritischen Denkens sowie des sozialen und solidarischen Verhaltens“, so die Satzung des Bayerischen Jugendrings. Dieser Auftrag ist nicht problem- oder defizitorientiert, sondern soll Chancen auf positive Aneignung der Lebenswirklichkeit eröffnen und ein Recht auf ein glückliches Leben ermöglichen. Junge Menschen in der Jugendarbeit sind Rechte-Inhaber*innen und selbstbestimmte Auftraggeber*innen im Feld der Jugendarbeit. Oder wollen wir als Profis der Jugendarbeit etwa bestimmen, wie glückliches und selbstbestimmtes Leben aussieht? Sie als „Klienten“ bzw. „Klientinnen“ zu bezeichnen, negiert dies grundsätzlich und schwächt die Rolle der jungen Menschen erheblich. Es macht sie zu Problemträgern. Am besten passt „Kinder“, „Jugendliche“, „junge Erwachsene“ und zusammengefasst „junge Menschen“. Das ist die einzig angemessene Bezeichnung der Adressaten* und Adressatinnen* unserer qualifizierten Leistung als Fachkräfte der Jugendarbeit. Gerhard Wagner, Abt. Junges Engagement, KJR Unsere Zielgruppe: Klienten, Kunden oder junge Menschen?

6 das kommt | 01 | 2022 das war „Das ist aus mir geworden“ Lang ist‘s her – läuft bei mir! Izo (41) besuchte ab dem 7. Lebensjahr das SBZ Sendling Ich bin Izo, Vollzeit-Mama von einem süßen 3-Jährigen und Teilzeit-Ingenieurin bei einem Automobilhersteller. Ich bin gefühlt und meistens auch real immer zu spät dran und versuche, allem gerecht zu werden, allerdings mit eher mäßigem Erfolg. Vor ein paar Monaten war ich mit meinen Mädels zur Eröffnung der Ausstellung „Lang ist’s her – läuft bei mir“ verabredet. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich es nicht geschafft hatte, rechtzeitig einen Beitrag zu schreiben. Da stand ich nun, mitten in der Ausstellungseröffnung, wieder mit meinem schlechten Gewissen, den wichtigen Menschen aus dem SBZ Sendling nicht gerecht geworden zu sein, und las die vielen wundervollen Beiträge. Ich war gerührt. Auf einem der Fotos von damals war sogar meine inzwischen verstorbene Mama zu sehen und es hat mir gefallen, sie hier wiederzusehen. Jedenfalls glaube ich, kriegt man im Leben selten eine so offensichtliche zweite Chance wie in diesem Fall. Und nun sitze ich hier und suche nach den richtigen Worten. Weil diese wunderbaren Menschen vom SBZ mein Leben großartigst bereichert haben. Ich fange an mit Sylvia, diese wunderbare, starke, lebenslustige Frau. Eine meiner stärksten Erinnerungen ist, wie sie zu mir sagte, wie ungemein bemerkenswert sie es findet, dass meine Schwester und ich in kürzester Zeit die deutsche Sprache gelernt haben (ich war 7 und meine Schwester 9, als wir zum zweiten Mal nach München gezogen sind) und auf dem Gymnasium so erfolgreich sind. „Das ist nicht selbstverständlich“, sagte sie. Ich weiß heute noch, dass ich stolz auf mich war. Die nächste Erinnerung teile ich mit meinen Mädels von damals (die auch meine Mädels von heute sind): Mit Sylvia haben wir jahrelang, in witzigsten Konstellationen, unendlich viele Musicals und Opern besucht. Weder hätten wir das selbst organisiert noch budgetiert bekommen. Ein weiterer Mensch, den man vom SBZ Sendling kennen und lieben muss, ist meiner Meinung nach Mehmet. Wenn es uns nachmittags mal wieder nach Sendling verschlagen hat, da war diese Sicherheit, dieses wohlige Gefühl, Mehmet dort anzutreffen, mit ihm ein Glas Tee zu trinken, eine Runde Tavla (Backgammon) zu spielen und über den Alltag oder die Welt zu diskutieren. Und dann gibt es diesen wunderbaren Menschen namens Rizk. Damals als Pädagoge immer für uns da, begleitet er uns nun schon seit Jahrzehnten als Freund durch unser Leben. So wenig ich sonst von meinen Gedanken und Sorgen preisgeben mochte, umso mehr hab ich ihm schon immer alles recht ungefiltert erzählt. Es scheint einfach aus mir rauszusprudeln, wenn er fragt, wie es mir geht. Ein großartiger Mensch bist du Rizk, wie wunderbar, dich unseren Freund nennen zu dürfen! Aloun (41) besuchte als Kind vier Jahre lang das Kinderhaus Harthof, später zog es ihn in den Kinder- und Jugendtreff Zeugnerhof Zuerst war ich im Kinderhaus Harthof, da war ich 7 Jahre alt. Vier Jahre lang verbrachte ich dort viel Zeit. Ich erinnere mich noch gerne an den Wolfi (Wolfgang Hartmann), der dort als Pädagoge gearbeitet hat. Durch meinen Cousin, der in Berlin wohnte und den ich in den Ferien besuchte, lernte ich später Graffiti-Kunst kennen. Das wurde zu meiner neuen Leidenschaft. Irgendwann erzählte er mir, dass das Graffiti-Magazin „on the run“ nur in München zu erhalten ist und zwar im Zeugnerhof. Akim Walta, der Herausgeber des Magazins, leistete zu der Zeit seinen Zivildienst im Zeugnerhof. Ich fuhr zum Zeugnerhof. Dort traf ich auf Astrid Weindl, die mir das Haus zeigte. Überall hingen tolle Graffitis an den Wänden. Im Breakdance-Raum meinte Astrid: Wenn du willst, dann komm doch mal vorbei. Jeden

7 das kommt | 01 | 2022 das war Täglich besuchen viele Kinder und Jugendliche die KJR-Einrichtungen. Was ist eigentlich im Laufe der vielen Jahre aus ihnen geworden? Welche Wirkung hatte der Kontakt mit den Pädagoginnen und Pädagogen in den Einrichtungen, die Teilnahme an einer Ferienfahrt oder einem Bildungsangebot? In dieser Serie berichten ehemalige Besucherinnen und Besucher über ihre Erlebnisse und wie sie auf dem Weg zum selbstbestimmten Leben gut begleitet und individuell unterstützt wurden. Lang ist‘s her – läuft bei mir! Mittwoch um 18 Uhr ist hier Training. Ich war erst skeptisch, dann erinnerte ich mich an die Worte von meinem Cousin: „Wenn du beim HipHop dabei sein willst, dann musst du alle vier Elemente können: Graffiti, Breakdance, Rap, DJen“. Graffiti konnte ich, dann war wohl jetzt die Gelegenheit gekommen, Breakdance zu lernen. Ab da war ich jeden Mittwoch (später auch noch montags) im Zeugnerhof. 1995 verschlug es mich dann in den Jugendtreff Biederstein, dort gab es coole Räume, in denen Tanzgruppen trainieren konnten. Ich machte mir einen Namen mit meiner Gruppe und ich unterrichtete später auch in anderen KJR-Einrichtungen. Ich kann nur sagen, dass ich ohne Breakdance sicher auf die schiefe Bahn geraten wäre. Und ohne Astrid Weindl im Zeugnerhof wäre ich nicht zu Breakdance gekommen. Inzwischen habe ich ein Tanzstudio „step2diz“ in Haidhausen. Ich beschäftige 13 Trainer und habe mich selbst ein bisschen rausgezogen, um mein Privatleben und meine Familie (Frau und drei Kinder) zu genießen. Meine Mutter ist 2017 gestorben und da denkt man nochmal anders über das Leben nach als vorher. Mit Astrid Weindl bin ich auch heute noch befreundet. Und ich habe immer noch Kontakte zum KJR und werde für Projekte angefragt. Alexander (48) war im Alter von zehn Jahren das erste Mal im 103er in Obergiesing – den er heute leitet Meinen ersten Kontakt mit einem Freizeittreff hatte ich ungefähr im Alter von 10 Jahren. Damals besuchte ich das 103er in Obergiesing. Ein Ort, den ich bald sehr zu schätzen wusste. Meine Schwester und ich wurden im Laufe der Jahre dort „Dauergäste“. Für mich war in erster Linie der Kontakt zum Team des 103er wichtig, da ich mich mit den Pädagoginnen und Pädagogen zu allen möglichen Themen austauschen konnte. Angebote wie die wöchentliche Schachgruppe sprachen mich besonders an. Die Ausflüge des 103er ins „Grüne“ waren für meine Schwester und mich eine willkommene Abwechslung. Im Jugendalter nutzte ich den Freizeittreff, um auch selbst Gruppen anzuleiten. So habe ich im Lauf der Zeit eine Fantasy-Rollenspielgruppe („Das Schwarze Auge“) und eine Computer-Gruppe (Programmieren in BASIC) in der Perlacher Straße etabliert. Trotz eindringlicher Warnung einer lieben Pädagogin „bloß nicht Sozialpädagoge“ zu werden, kam ich nicht umhin, nach einer ersten Ausbildung zum Kommunikationselektroniker in die soziale Schiene abzudriften. Auch hier war mein Einsatz als Zivildienstleistender in der KJR-Einrichtung Zeugnerhof wegweisend. Nach meiner Erzieherausbildung wurde mein ursprünglicher Plan, in der Kinderkrippe Schlabberpapp meine Berufslaufbahn zu beginnen, durch aktive Mitarbeiterakquise der damaligen Regionalleitung Heidi Kurzhals während einer Einweihungsfeier (genau … Zeugnerhof) durchkreuzt. Ich bewarb mich 1999 im Jugendtreff AKKU und war seitdem in einigen Einrichtungen im KJR aktiv. Meine Ehefrau lernte ich übrigens auch beim KJR kennen und die Hochzeitsfeier fand in einer Freizeitstätte statt (wieder richtig… Zeugnerhof). Das Studium der Sozialen Arbeit drangehängt (trotz eindringlicher Warnung, siehe oben), erste Leitungsstelle der neuen Kindertageseinrichtung Schäferwiese und schwupps seit über sechs Jahren wieder zurück an den Wurzeln im 103er. Der Unterschied zu früher ist, dass ich jetzt etwas besser für meine Computerkurse bezahlt werde … gut, ein paar Unterschiede mehr sind es doch.

8 das kommt | 01 | 2022 25 Jahre Kids on Stage Bei Kids on Stage können Kinder selbst erarbeitete Theater-, Musik-, Zirkus- und Tanzproduktionen, Comedy oder Poetry in einem professionellen Rahmen – zum Teil zum ersten Mal vor einem größeren Publikum – präsentieren. Auch die Moderation führen Kinder selbständig durch. Kids on Stage feiert voraussichtlich am 6. Mai 2022 von 15:30 bis 18:30 Uhr im Spectculum Mundi sein 25. Jubiläum. Kids on Stage ist eine Veranstaltung der KJR-Kinderbeauftragten in Kooperation mit dem AK Kinder im KJR. Sie zeigt einen Ausschnitt der facettenreichen Kinderkultur, die in den fast 60 Freizeitstätten und Kindertageseinrichtungen des KJR zum Alltag gehört. Anmelden können sich GrupNachwuchs- talente gesucht! Kids on Stage bietet für sechs- bis zwölfjährige Kinder aus den KJR-Einrichtungen eine besondere Plattform für Kinderkultur pen und natürlich auch einzelne Nachwuchskünstler*innen bis 31.3. über kinderbeauftragte@ kjr-m.de. Eine Open Stage für spontane Auftritte wird es natürlich auch wieder geben. Kids on Stage ist auch online auf der KJR-Kinderkultur-Website zu finden. Dort können ganzjährig Beiträge eingereicht werden: https://kinderwelten.kjr-blog.de/kids-on-stage Kerstin Hof, Fachbeauftragte Kinder / Kulturelle Bildung mit und von Kindern, KJR Hintergrund Kulturelle Bildung bietet Kindern Lern- und Erfahrungsräume. Beim Theaterspielen oder Musizieren, beim Tanzen oder Zeichnen entdecken sie ganz vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten, lernen genauer zu sehen und hinzuhören. Sie erleben, wie es ist, andere Perspektiven einzunehmen, und überraschen andere und sich selbst mit ihren Fähigkeiten. Uns geht es darum, dass wir Kinder nicht ausschließlich als Wesen betrachten, die durch Kultur(-angebote) geprägt werden, sondern sie auch als Akteurinnen und Akteure sowie Gestaltende ihres eigenen Aufwachsens wahrnehmen und in ihrer Eigenständigkeit ernst nehmen. Fotos: Heiko Neumann

9 das kommt | 01 | 2022 Jetzt anmelden! Auf der großen Bühne und in den Foyers der Alten Kongresshalle, auf der Außenbühne, in Zelten rund um den Schneckenplatz und im Verkehrszentrum des Deutschen Museums lässt sich die Bandbreite kultureller Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche erleben. Das nächste KiKS-Festival f indet am Pfingstwochenende vom 3. bis zum 6. Juni 2022 statt. Und schon zwei Tage zuvor, am Mittwoch, den 1. und Donnerstag, den 2. KiKS-Festival 2022 Jedes Jahr zu Sommerbeginn schaffen über 100 Partner*innen und Unterstützer*innen, weit mehr als 500 auftretende Kinder und Jugendliche sowie alle aktiven Festival-Gäste viel Platz für Kinderkultur! Juni gibt es wieder zur Einstimmung und stadtweiten Beteiligung „KiKS unterwegs“. Dabei richtet sich der gemeinsame Blick erneut auf die vielen Stadtteileinrichtungen, Kultur-Projekte und Aktionen. Für alle, die sich am Kinder-Kultur-Sommer beteiligen möchten, sei es in Form eines Programmbeitrags oder mit digitalen Inhalten (Podcasts, Hörspiele, Filme, Fotostrecken …) zur Präsentation auf dem Festival und im Netz, gibt es die Möglichkeit, sich sowohl fürs das KiKS-Festival als auch für KiKS unterwegs anzumelden: https://kiks-muenchen.de/programm/kiks-festival. Das Portal steht noch bis zum 1. April 2022 für Projektideen offen. Bei (technischen) Problemen meldet euch bitte via mitmachen@kiks-muenchen.de JugendTalk München 2022 Immer noch ist der Aktionsradius für junge Menschen eingeschränkt und damit auch die Möglichkeit, sich zu beteiligen. Die Online-JugendTalk-Serie „Hört ihr mich?“ will das ändern. Fünfmal kamen 2021 junge Münchner*innen mit Verantwortlichen aus Stadtpolitik und Stadtverwaltung zu ihren Anliegen ins Gespräch. Am 24. Februar 2022 um 19 Uhr startet nun die zweite Staffel. Talk#1 widmet sich dem Thema „Glückssache Wohnen!?“. Anna Hanusch (Stadträtin, Fraktion Die Grünen - Rosa Liste), Christian Köning (Stadtrat, SPD/Volt-Fraktion) und Gerhard Mayer (Amt für Wohnen und Migration) stehen den Jugendlichen als Ansprechpersonen zur Verfügung. Mitmachen können Münchner*innen zwischen 14 und 24 Jahren, die sich für die Verbesserung der Wohnsituation junger Menschen in München einsetzen möchten. Jugendliche, die sich beteiligen möchten, können sich an Sebastian Ring vom Medienzentrum München wenden: 0179-7369265 oder sebastian.ring@jff.de. Hört ihr mich? „Überlass das mal schön den Erwachsenen …“ – Nicht bei der Online-JugendTalk-Serie „Hört ihr mich?“ Weitere TALK-Termine 2022: TALK#2: Donnerstag, 24. März, 19 Uhr, München macht Druck! TALK#3: Donnerstag, 28. April, 19 Uhr, In Zukunft nicht mehr ohne uns! Die Livestreams der Talks 2021 sind als Aufzeichnung abrufbar: TALK#1: Jung, kreativ und wie geht`s weiter? www.youtube.com/watch?v=X12aWeWv0h4 TALK#2: Treffpunkt Stadt – Platz für alle!? www.youtube.com/watch?v=ISRsrl4Twzw&t=4s TALK#3: Straße, Schule, Internet – so geht jetzt Protest! www.youtube.com/watch?v=KkY3xYXFOY8&t=113s TALK#4: Bildung im Ausnahmezustand – JETZT REDEN WIR! www.youtube.com/watch?v=Ve4xFGEJoLw TALK#5: In Zukunft nicht mehr ohne uns! www.youtube.com/watch?v=JVsVxzzA2z4 Die Talks werden von der „Dein LiFE“-Jugendredaktion moderiert und gestreamt: www.youtube.com/c/DeinLiFE Veranstalter der JugendTalks ist der AK Kinder- und Jugendbeteiligung. Weitere Infos: www.ak-kinderundjugendbeteiligung.de Foto: Orell Lauf

Dachzeile 10 das kommt | 01 | 2022 Resilienz und psychische Gesundheit Schwerpunk Chancengleichheit und Partizipation als Schlüssel für Resilienz 11 Die Systemfrage Welche Ressourcen brauchen Heranwachsende zur produktiven Lebensbewältigung in der spätmodernen Gesellschaft? Von Heiner Keupp Jugendarbeit stärkt psychische Gesundheit 12 Wir müssen reden (und handeln)! Die Angebote der offenen und verbandlichen Jugendarbeit können psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen nicht heilen. Sie tragen jedoch maßgeblich dazu bei, Heranwachsende mental stark und widerstandsfähig zu machen. Marko Junghänel im Gespräch mit Ilona Schuhmacher Herausforderungen und Belastungen in der Pandemie 13 Benachteiligungen im Kontext von Corona Sehr bald nach Beginn der Pandemie sind verschiedene Studien den Auswirkungen der Corona-Situation auf jungen Menschen nachgegangen. Von Manuela Sauer Resilienz in der Kita 14 Früh Kraft schöpfen Die Krise um Corona und deren Auswirkungen belastet Kinder, Eltern und Fachkräfte gleichermaßen. Psychische Widerstandskraft und Belastbarkeit werden herausgefordert. Von Charlotte Schober Belastungen von Kindern und pädagogischen Teams 15 Entwicklungs-Lockdown Die Corona-Pandemie greift tief in das Leben von uns allen ein. Der erste Lockdown Mitte März 2020 kam für Kinder und deren Familien, aber auch für die Teams der Kindertagesstätten ziemlich unvermittelt. Von Petra Kutzner Dramatische Versorgungslücken für Heranwachsende 16 Wenn Geld kein Allheilmittel ist Die Journalistin Katrin Bohlmann hat für den Bayerischen Rundfunk zur Situation der Kinder- und Jugendpsychiatrien im Freistaat recherchiert und festgestellt, dass die dramatische Lage hausgemacht ist. Geld ist dabei nicht das eigentliche Problem – das Thema ist viel komplexer. Marko Junghänel im Gespräch mit Katrin Bohlmann Resilienz fördern mit Spiel und Kultur 17 Kreativ durch die Krise Kulturelle Bildung ist seit vielen Jahren ein festgeschriebener Auftrag an alle, die Lebenswelten von jungen Menschen gestalten. Von Michael Dietrich, Viktorija Zalcbergaite Resilienz in der OKJA 18 Man muss nicht immer das Rad neu erfinden In den vergangenen Jahren war und ist Resilienz ein wichtiger Begriff vor allem der psychologischen Forschung, aber auch der pädagogischen Praxis. Von Benedikt Kämmerling DayCamp – gut für die mentale Gesundheit 19 Vitamin D gegen den Corona-Blues Die Corona-Pandemie bedeutet für alle eine große Umstellung. Die gewohnten Routinen sind weg. Wie schützt man in dieser Zeit Kinder und Jugendliche vor einer schleichenden Zermürbung? Von Suzanna Poluektova Beobachtungen an Grundschulen in Corona Zeiten 20 Da sein Als ehrenamtliche Schulmediatorinnen* und -mediatoren* unterstützen „Seniorpartner in School“ Kinder an Grundschulen bei der Lösung ihrer Konflikte. Von Matthias Kraemer Psychologische Folgen der Pandemie auf junge Menschen 20 Generation Corona In den meisten Fällen stellt das Corona-Virus für junge Menschen keine akute gesundheitliche Bedrohung dar. Von Michael Graber Resilienz – Lebenskunst als Auftrag 21 „Du bist wertvoll!“ „Der Optimist hat nicht weniger oft Unrecht als der Pessimist. Aber er lebt glücklicher.“ So sagt der Volksmund – und hat recht dabei. Von Tobias Hartmann Vertrauen und Verlässlichkeit, Teilhabe und das Erleben von Selbstwirksamkeit sind seit jeher untrennbar mit dem Ansatz und den Angeboten der Jugendarbeit verbunden. Dass dieses Konzept maßgeblich zur psychischen Gesundheit beiträgt, war schon immer Ergebnis außerschulischer Bildungsarbeit und entsprechender Freizeitaktivitäten. Nun gelangt aber zunehmend ins Bewusstsein der pädagogischen Teams, der Eltern und Heranwachsenden selbst, dass Jugendarbeit präventiv und in diesem Sinne Resilienz-bildend ist.

| 01 | 2022 11 Resilienz und psychische Gesundheit Schwerpunkt Chancengleichheit und Partizipation als Schlüssel für Resilienz Die Systemfrage Welche Ressourcen brauchen Heranwachsende zur produktiven Lebensbewältigung in der spätmodernen Gesellschaft? Es ist an der Zeit, wieder die Frage zu stellen, welche Ressourcen Heranwachsende benötigen, um selbstbestimmt und selbstwirksam ihren eigenen Weg in einer so komplex gewordenen Gesellschaft gehen zu können. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen sich die folgenden Verwirklichungschancen nennen: 1. Urvertrauen zum Leben, 2. Dialektik von Bezogenheit und Autonomie, 3. Entwicklung von Lebenskohärenz, 4. Schöpfung sozialer Ressourcen durch Netzwerkbildung, 5. materielles Kapital als Bedingung für Beziehungskapital, 6. demokratische Alltagskultur durch Partizipation, 7. Selbstwirksamkeitserfahrungen durch Engagement. 1) Für die Gewinnung von Lebenssouveränität ist lebensgeschichtlich in der Startphase des Lebens ein Gefühl des Vertrauens in die Kontinuität des Lebens zentrale Voraussetzung. Ich nenne dies ein Urvertrauen zum Leben. Es ist begründet in der Erfahrung, dass man gewünscht ist, dass man sich auf die Personen, auf die man existentiell angewiesen ist, ohne Wenn und Aber verlassen kann. Es ist das, was die Bindungsforschung eine sichere Bindung nennt, die auch durch vorübergehende Abwesenheit von Bezugspersonen und durch Konflikte mit ihnen nicht gefährdet wird. 2) Eine Bindung, die nicht zum Loslassen ermutigt, ist keine sichere Bindung, deswegen hängt eine gesunde Entwicklung an der Erfahrung einer Beziehung, die Selbstvertrauen, Eigenständigkeit und Autonomie von Kindern fördert. 3) Lebenskompetenz braucht einen Vorrat von „Lebenskohärenz“. Werte und Lebenssinn stellen Orientierungsmuster für die individuelle Lebensführung dar. Sie definieren Kriterien für wichtige und unwichtige Ziele, sie werten Handlungen und Ereignisse nach Gut und Böse, erlaubt und verboten. Traditionelle Kulturen lassen sich durch einen hohen Grad verbindlicher und gemeinsam geteilter Wertmaßstäbe charakterisieren. Individuelle Wertentscheidungen haben nur einen geringen Spielraum. Der gesellschaftliche Weg in die Gegenwart hat zu einer starken Erosion immer schon feststehender Werte und zu einer Wertepluralisierung geführt. Dies kann als Freiheitsgewinn beschrieben werden und hat zur Folge, dass Heranwachsende in der Gegenwart als „Kinder der Freiheit“ charakterisiert werden. Gemeinsame Wertvorstellungen können nicht verordnet, sondern müssen gemeinsam erarbeitet werden. Jugendarbeit ist immer chancenorientiert 4) Wenn wir die sozialen Baumeister*innen unserer eigenen sozialen Lebenswelten und Netze sind, dann ist eine spezifische Beziehungs- und Verknüpfungsfähigkeit erforderlich, nennen wir sie soziale Ressourcen. Der Bestand immer schon vorhandener sozialer Bezüge wird geringer und der Teil unseres sozialen Beziehungsnetzes, den wir uns selbst schaffen und den wir durch Eigenaktivität aufrechterhalten (müssen), wird größer. Es zeigt sich nur zunehmend auch, dass sozioökonomisch unterprivilegierte und gesellschaftlich marginalisierte Gruppen offensichtlich besondere Defizite bei dieser gesellschaftlich zunehmend geforderten Beziehungsarbeit aufweisen. Für offene, experimentelle, auf Autonomie zielende Identitätsentwürfe ist die Frage nach sozialen Beziehungsnetzen von allergrößter Bedeutung, in denen Menschen dazu ermutigt werden, d.h. sie brauchen Kontexte sozialer Anerkennung. Hier ist die netzwerkfördernde Jugendarbeit von besonderer Bedeutung. 5) Ein offenes Identitätsprojekt, in dem neue Lebensformen erprobt und eigener Lebenssinn entwickelt werden, bedarf materieller Ressourcen. Hier liegt das zentrale und höchst aktuelle sozial- und gesellschaftspolitische Problem. Eine Gesellschaft, die sich ideologisch, politisch und ökonomisch fast ausschließlich auf die Regulationskraft des Marktes verlässt, vertieft die gesellschaftliche Spaltung und führt auch zu einer wachsenden Ungleichheit der Chancen an Lebensgestaltung. Ohne Urvertrauen, Selbstwirksamkeit, Teilhabe – damit können Kinder und Jugendliche die Klippen des Lebens gut umschiffen. Die Pandemie veranlasst zu einem sorgenvollen Blick auf die gesundheitliche Situation von Heranwachsenden. In der ersten Phase der Pandemie gab es kaum einen differenzierten Blick auf die Folgen der Kontakteinschränkungen und der Verbannung in die häusliche Klausur für Kinder und Jugendliche. Das hat sich inzwischen verändert. Jetzt dominiert wieder die Defizit-Perspektive auf das Aufwachsen in Deutschland. Die geistige „Lufthoheit“ zu Fragen von Erziehung haben seit einigen Jahren eindeutig die Verkünder*innen von Katastrophen und Endzeitstimmungen übernommen. Besonders hat sich der Notstandsverkünder und Kinderpsychiater Michael Winterhoff öffentlich wirksam profiliert. Für ihn sind die meisten Kinder in Deutschland gestört, in ihren körperlichen Fähigkeiten, ihrer sprachlichen Entwicklung, ihrem Sozialverhalten. Sie bewegten sich kaum noch, ihr schulisches Leistungsniveau sinke. Als Verursacher der Defekte macht Winterhoff die Lehrerschaft, Erzieher*innen, aber vor allem die Eltern aus. Weil sie Konflikte scheuten und keine Grenzen mehr setzten, verhinderten sie, dass die Kinder altersgerecht heranreiften. Bei 70 Prozent entdeckt der Autor gar pathologische Züge. Wenn diese Kinder – Winterhoff nennt sie „Monster“ – erwachsen würden, bedrohten sie „die Existenz unserer friedlich zusammenlebenden Gesellschaft“. Winterhoffs Stimme dürfte kein Gehör mehr finden, nachdem seine grenzüberschreitenden pharmakologischen „Therapien“ als Menschenrechtsverletzungen zu strafrechtlichen Maßnahmen geführt haben. Bild: Luisella Planeta Leoni auf Pixabay.com » Ich habe das Gefühl, die Blütezeit meines Lebens zu verpassen. Fühle mich oft sehr einsam und unausgelastet. Möchte gerne tanzen und feiern gehen, habe Angst. Alle Aussagen stammen von Teilnehmer*innen der Online-Jugendbefragung 2020 und der Zusatzbefragung „zu Corona nachgefragt“.

Dachzeile 12 das kommt | 01 | 2022 Resilienz und psychische Gesundheit Schwerpunk Teilhabe am gesellschaftlichen Lebensprozess in Form von sinnvoller Tätigkeit und angemessener Bezahlung wird Identitätsbildung zu einem zynischen Schwebezustand. Die intensive Suche nach zukunftsfähigen Modellen materieller Grundsicherung ist von höchster Bedeutung. Das Konzept der Kindergrundsicherung, das die Ampelkoalition realisieren möchte, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. 6) Nicht mehr die Bereitschaft zur Übernahme von fertigen Paketen des „richtigen Lebens“, sondern die Fähigkeit zum Aushandeln ist notwendig: Wenn es in unserer Alltagswelt keine unverrückbaren allgemein akzeptierten Normen mehr gibt, außer einigen Grundwerten, wenn wir keinen Knigge mehr haben, der uns für alle wichtigen Lebenslagen das angemessene Verhalten vorgeben kann, dann müssen wir die Regeln, Normen, Ziele und Wege beständig neu aushandeln. Das kann nicht in Gestalt von Kommandosystemen erfolgen, sondern erfordert demokratische Willensbildung, verbindliche Teilhabechancen im Alltag, in den Familien, in der Schule, Universität, in der Arbeitswelt und in Initiativ- und Selbsthilfegruppen. Dazu gehört natürlich auch eine gehörige Portion von Konfliktfähigkeit. 7) Demokratie lebt von der Möglichkeit, dass Menschen Selbstwirksamkeitserfahrungen durch ihr eigenes Engagement machen können. Hier hängen Verwirklichungschancen eng mit der Idee der Zivilgesellschaft zusammen. Diese lebt von dem Vertrauen der Menschen in ihre Fähigkeiten, im wohlverstandenen Eigeninteresse gemeinsam mit anderen die Lebensbedingungen für alle zu verbessern. P RO F. DR . HE I N E R K EUP P, Jahrgang 1943, 40 Jahre Hochschullehrer für Sozialpsychologie an der LMU München, Vorsitzender der Kommission für den 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung zum Thema Gesundheit psychischen Erkrankungen. Im pädagogischen Kontext kann nicht immer sicher bewertet werden, ob es sich um entwicklungstypische Verhaltensweisen oder Erkrankungen handelt, die einer Behandlung bzw. Therapie bedürfen. Pädagoginnen* und Pädagogen* verfügen jedoch meist über langjährige Erfahrungen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen und können aus ihrer Beobachtung heraus beurteilen, ob sich ein junger Mensch nachhaltig verändert. Welche Befunde hinsichtlich psychischer Erkrankungen gibt es in der Folge der Pandemie bei Kindern und Jugendlichen? Hier erleben wir vor allem Suchterkrankungen – von stofflichen Süchten bis zu exzessivem Medienkonsum. Hinzu kommen Depressionen oder Verstimmungen. Einher geht das oft mit Essstörungen und Bewegungsmangel. Auch allgemeine Zukunftsängste werden oft beschrieben. Finden Kinder und Jugendliche dann ausreichend Schutz in der Familie? Wenn es vor Corona ein intaktes Familiensystem gab, kann das zutreffen. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass Fachleute davon sprechen, dass die Zahl der pathologisch psychologischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen während der Pandemie gar nicht signifikant angestiegen sei. Das heißt auch, dass die größte Belastung die Schule bleibt, mit der die jungen Menschen ja lange nicht direkt konfrontiert waren. Einige Kinder sind sogar regelrecht aufgeblüht, weil sie in der Schule nicht mehr gemobbt wurden. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Pubertierende befinden sich im Ablöseprozess von ihrer Familie. Es ist also völlig unnormal, wenn sie jetzt fast rund um die Uhr mit den Eltern und Geschwistern zusammen sein müssen. Prekäre Familienverhältnisse, beengte Räumlichkeiten und die Anspannung im Home Office der Eltern verschärfen die Gefährdung für Heranwachsende. Das Thema psychische Gesundheit ist übrigens nicht erst seit Corona ein Thema für den BJR – wir haben schon 2016 auf den Handlungsbedarf hingewiesen. Jugendarbeit stärkt psychische Gesundheit Wir müssen reden (und handeln)! Die Angebote der offenen und verbandlichen Jugendarbeit können psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen nicht heilen. Sie tragen jedoch maßgeblich dazu bei, Heranwachsende mental stark und widerstandsfähig zu machen. Ilona Schuhmacher beschäftigt das Thema seit vielen Jahren. Woran bemisst sich die psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen? Gibt es einen Unterschied zu Erwachsenen? Als Vizepräsidentin des Bayerischen Jugendrings (BJR) befasse ich mich mit dem Thema vor allem auf einer politischen Ebene. Inhaltlich gab es für mich beim zweiten Fachtag des BJR zu diesem Thema, der Ende Oktober 2021 stattfand, erneut wertvolle Impulse. Sabine Finster, stellvertretende Geschäftsführerin der Aktion Jugendschutz, hatte dabei u.a. den Bewertungskatalog ICD-10 für psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter vorgestellt, der das Krankheitsbild genauer beschreibt. Hier wurde sehr deutlich, dass die Bewertung psychischer Auffälligkeiten nicht ganz trennscharf ist: Was ist beispielsweise der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben geschuldet – Stichwort Pubertät, was ist pathologisch? Klassischerweise findet man bei Kindern und Jugendlichen Depressionen, Essstörungen und Süchte als die drei großen Gruppen von Beziehungsarbeit ist der Schlüssel zur körperlichen und psychischen Gesundheit – bei allen Jugendlichen. Bild: Nathan Mc Dine auf unsplash.com » Angst vor Ansteckung. Schlechtes Gewissen, wenn man was mit Freunden macht und danach die Familie besucht.

| 01 | 2022 13 Resilienz und psychische Gesundheit Schwerpunkt Was kann und muss getan werden? Jugendarbeit ist zwar kein therapeutisches Angebot, wirkt aber erwiesenermaßen präventiv. Jugendarbeit setzt an den Stärken der Kinder und Jugendlichen an. Sie schafft mit ihren Angeboten Räume, in denen Heranwachsende einfach „sein“ können. Wir sehen in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, dass Kinder und Jugendliche Frei-Räume suchen, die ohne pädagogische Konzepte auskommen. Sie wollen gemeinsam Zeit verbringen, sich selbst erleben. Wie kann man pädagogische Fachkräfte der Jugendarbeit auf diese Situation vorbereiten? Unsere Fachkräfte haben per se die Kompetenz, Veränderungen an Kindern und Jugendlichen festzustellen. Es geht jetzt darum, diese Fachkräfte zu stärken und ihnen Sicherheit zu geben. Letztlich geht es immer um Beziehungsarbeit. Dabei kommt es sehr darauf an, authentisch über eigene Erfahrungen in der Pandemie zu sprechen, eigene Ängste zu artikulieren, sich als role model anzubieten. Das Thema scheint auch in der Politik angekommen zu sein … Im gesellschaftspolitischen Bereich stehen zwei Aufgaben an. Wir müssen darauf hinwirken, dass psychische Erkrankungen entstigmatisiert und die Betroffenen ernstgenommen werden. Zusätzlich müssen sich vor Ort in den Sozialräumen Akteure vernetzen. Es gibt beispielsweise keine Strukturen zwischen Jugendarbeit, Kinder- und Jugendpsychiatrien und den Gesundheitsämtern. Vernetzung ist aber eine zentrale Herausforderung. In der Landespolitik ist das Thema jedenfalls präsent. Der BJR will in diesem Kontext aber auch auf den Zusammenhang zwischen (Kinder-) Armut und psychischer Gesundheit hinweisen. Insofern darf das Interesse der Politik nicht eindimensional sein, sondern muss die gesamte Lebenswirklichkeit von Heranwachsenden beleuchten. Interview: Marko Junghänel I L ONA S CHUHMACHE R, Jahrgang 1977 aus Nürnberg, Diakonin, Soz.Päd. (FH), heute Referentin für Grundsatzfragen und Jugendpolitik der Evangelischen Jugend Bayern. Das Sinus-Institut hat im Oktober 2021 gut 2.000 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren zu ihrem persönlichen Befinden in der Pandemie befragt. Die Ergebnisse können als Bestätigung der Aussagen der Leopoldina gelesen werden, dass viele Kinder und Jugendliche über genug Resilienz verfügen, die Pandemie und ihre Folgen gut zu verarbeiten. Eine relevante Minderheit von rund 30 Prozent gibt jedoch an, dass es ihnen persönlich in der Pandemie schlecht oder sehr schlecht geht. Besonders gut gebildeten Jugendlichen geht es in der aktuellen Situation gut oder eher gut. Sie sind auch diejenigen, die unterdurchschnittlich an Zukunftsängsten leiden. Einsamkeit, Langeweile und Freiheitseinschränkungen sind die Begriffe, die nach Ansicht der Befragten das Leben in der Pandemie am besten beschreiben. Nach Geschlechtern betrachtet zeigt sich, dass vor allen Dingen Mädchen und junge Frauen von unterschiedlichen Ängsten betroffen sind; sowohl die Angst vor Einsamkeit, vor Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung als auch vor einer insgesamt negativen Zukunft belastet Mädchen stärker. Sie berichten auch öfter von schlechtem Schlaf. Das Computerspiel als sozialer Anker Das soziale Umfeld hilft bei der Bewältigung der Corona-Folgen, professionelle Unterstützung spielt fast keine Rolle. Gleichzeitig zeigt sich aber, dass ein Drittel der jungen Menschen die eigene Familie nicht als Unterstützungsfaktor in der Pandemie benennt. Bei Jugendlichen mit einem niedrigen formalen Bildungsstand spielt die Unterstützung durch den Freundeskreis oder Mitschüler*innen eine deutlich unterdurchschnittliche Rolle, dafür erwähnen sie signifikant häufiger die Unterstützungskraft von Computerspielen.2 Es zeigt sich auch bei Unterstützung durch das familiäre und persönliche Umfeld eine deutliche Schieflage, die jungen Menschen mit einem niedrigen Bildungsniveau erhebliche Nachteile bringt. Dies belegt u.a. die COPSY-Studie des Universitätsklinikums Kinder und Jugendliche leider besonders stark unter den Beschränkungen der Pandemie – spätere Folgen sind noch wenig erforscht. Herausforderungen und Belastungen in der Pandemie Benachteiligungen im Kontext von Corona Sehr bald nach Beginn der Pandemie sind verschiedene Studien den Auswirkungen der Corona-Situation auf jungen Menschen nachgegangen. Mittlerweile liegen viele Ergebnisse vor und zeigen, dass die Auswirkungen einen Teil der Kinder und Jugendlichen und damit auch die Gesellschaft noch lange begleiten werden. Vor allen Dingen diejenigen, die bereits vor der Pandemie von Entwicklungsrisiken und ungleichen Bedingungen des Aufwachsens betroffen waren, werden noch länger mit den psychischen Folgen zu kämpfen haben. Die nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina weist darauf hin, dass gerade benachteiligte Kinder und Jugendliche aller Voraussicht nach weniger gut die Belastungen und Defizite, die durch die Pandemie verursacht werden, im Gehirn verarbeiten und die eigenen Resilienz-Kräfte nutzen können.1 Für ohnehin belastete junge Menschen hat die Pandemie die langfristigen psychischen Folgen verschärft. Bild: Anthony Tran auf unsplash.com » Man weiß, welche Personen einem wirklich wichtig sind und etwas bedeuten.

Dachzeile 14 das kommt | 01 | 2022 Resilienz und psychische Gesundheit Schwerpunk von Resilienz maßgeblich beeinflusst wird. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Fachkräfte vor Ort sich dieses Einflusses bewusst sind und die Kinder in ihrer Resilienz-Bildung individuell und aktiv fördern. Spiel- und Erfahrungsräume schaffen Wir als Menschen besitzen Kräfte, die uns dabei helfen, mit Belastungen und Stressfaktoren umzugehen. Diese entwickeln wir als Kind durch die erfolgreiche Bewältigung von altersspezifischen Entwicklungsaufgaben. Zu diesen Eigenschaften, auch Resilienzfaktoren genannt, zählen unter anderem die Selbstwahrnehmung und Selbstwirksamkeitsüberzeugung sowie soziale Kompetenzen und Problemlösekompetenzen eines Kindes. Bei all diesen Faktoren spielt der Umgang mit den eigenen Gefühlen, das heißt deren Wahrnehmung und die Fähigkeit diese zu steuern, eine große Rolle. Der Umgang mit den eigenen Gefühlen ist folglich so etwas wie der Schlüssel für die Entwicklung von Resilienz. Die benannten Eigenschaften und der Umgang mit Gefühlen lassen sich in der Kita gezielt fördern (vgl. Bogatzki, S. 6 ff.). In erster Linie ist es auf individueller Ebene deshalb wichtig, jedem Kind die Möglichkeit zu geben und es darin zu unterstützen, seine Gedanken und Gefühle wahrzunehmen und zu benennen. Auch die Entwicklung einer Selbstwirksamkeitsüberzeugung und vielfache Gelegenheiten zu sozialen Interaktionen wie auch Konfliktlösungen sind grundlegend. Auf der Beziehungsebene wirken sich eine konstruktive Kommunikation zwischen Fachkraft und Kind und deren positives Modellverhalten förderlich auf die Resilienz-Entwicklung aus (vgl. Herrmann). Resilienz ist also eine Fähigkeit, die erlernt und gestärkt werden kann. Damit Kinder ihre eigene Widerstandskraft aufbauen, brauchen sie ein stabiles soziales Umfeld und Zutrauen. Die Entwicklung von Resilienz ist dabei ein Prozess, der in der Kita u.a. durch die Möglichkeit für eigene Entscheidungsspielräume und individuelle Lernerfahrungen Spiel- und Erfahrungsräume sind besonders in Krisenzeiten essentiell wichtig für Kinder. Resilienz in der Kita Früh Kraft schöpfen Die Krise um Corona und deren Auswirkungen belastet Kinder, Eltern und Fachkräfte gleichermaßen. Psychische Widerstandskraft und Belastbarkeit werden herausgefordert. Die Fähigkeit, Belastungen und schwierigen Lebenssituationen standzuhalten und erfolgreich damit umzugehen, beschreiben wir mit dem Begriff der Resilienz. Sie lässt sich als das Immunsystem unserer Psyche verstehen. Mit ihrer Hilfe können wir etwa Misserfolge, Notsituationen und Unglücksfälle bewältigen und manchmal sogar daran wachsen. Sie ist damit eine wichtige Eigenschaft, die gerade auch in der aktuellen Lage eine dringend notwendige Unterstützung sein kann. Aufgrund der entwicklungspsychologischen Forschung wissen wir, dass die ersten Lebensmonate und Jahre eines Kindes entscheidend für seine weitere gesunde Entwicklung sind. Die Erfahrungen, die es innerhalb seines sozialen und räumlichen Umfelds macht, prägen diese Entwicklung in starkem Maße. Kinder lernen in dieser Zeit, sich selbst zu organisieren und werden sich ihrer eigenen Kompetenzen bewusst. Dazu zählt auch der Ausgleich von negativen Einflüssen und das Aneignen von Strategien zu deren Bewältigung. Resilienz ist demnach kein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal, sondern wird stark durch die Erziehung, Bildung und das soziale Umfeld eines Kindes beeinflusst. Viele Kinder verbringen einen Großteil ihrer Zeit in einer Kindertagesstätte. Deshalb ist auch die Kita ein Ort, an dem die Entwicklung Hamburg-Eppendorf. Besonders junge Menschen, die zuhause wenig Unterstützung erfahren, hier niemanden haben, der sie auffängt oder ihre Sorgen und Nöte hört, leiden stark unter der Corona-Situation. Diese Gruppe von Kindern und Jugendlichen zeigt ein erhöhtes Risiko für psychische Auffälligkeiten, Ängste und depressive Verstimmungen. Auch ihr generelles Wohlbefinden ist deutlich reduziert.3 In einem Hearing des Münchner Kinder- und Jugendhilfeausschusses im Juni 2021 berichteten Expertinnen* und Experten* aus Medizin, Psychologie und Psychiatrie, dass sich bei jungen Menschen Defizite in der Entwicklung von Empathie, Persönlichkeit und Mitgefühl zeigen, weil sie in den vergangenen Monaten zumeist allein und/oder digital unterwegs waren und nicht in der Gemeinschaft lernen konnten.4 DR . MANUE L A SAUE R, Jahrgang 1972, Studium der Politikwissenschaft und Neuere und Neueste Geschichte in Augsburg, Promotion im Bereich der Gender Studies, Referatsleitung Grundsatzfragen KJR 1)vgl. Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften: 8. Ad hoc Stellungnahme: Kinder und Jugendliche in der Coronavirus-Pandemie: psychosoziale und edukative Herausforderungen und Chancen, 21.06.2021, S. 1 2)vgl. Sinus-Institut: Aufleben. Ergebnisse einer Repräsentativ-Umfrage unter Jugendlichen. 06.12.2021, https://www.auf-leben.org/ 3)vgl. https://www.forschung-und-lehre.de/zeitfragen/kindheit- in-der-pandemie-4200, abgerufen am 22.12.2021 und Dr. Robert Schlack: Schlaglicht: Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der COVID-19-Pandemie, 01.06.2021, 4)vgl. Unsere Zukunft darf nicht zurückgelassen werden – Dokumentation des KJHA-Hearings, Sitzungsvorlage Nr. 20-26/ V 0 4480. S. 3 Bild: Design_Miss_C auf Pixabay.com » Keine Feiern mehr, lose soziale Kontakte fehlen. Mein Zimmer als Lebenszentrum, als Ort für alles. Dadurch vermischen sich meine Aufgaben und die Zeit, ich habe keinen konkreten Entspannungsort mehr und fühle mich stärker unter Druck.

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