K3 No. 6 - Dezember 2021
| 06 | 2021 27 Wahrheit & Wissen Schwerpunkt Medienkompetenz gegen Fake-News und Irrationalität Sind wir nicht alle Verschwörungsgläubige? Desinformation und Verschwörungserzählungen existieren nicht erst seit „dem Internet“ oder Corona. Es gibt solche Mythen schon lange – manche sind unterhaltsam, einige gefährlich und nicht wenige haben dem Antisemitismus den Weg bereitet. Was allerdings in den letzten Jahren zugenommen hat, ist die Menge und die Schnelligkeit, mit der Informationen und Meinungen Verbrei- tung finden. Sich dabei zurechtzufinden, ist nicht einfach. Unser Gehirn muss Informationen verarbeiten und verstehen. Dafür stehen aber nur begrenzt Kapazitäten zur Verfügung. So sind wir darauf programmiert, mit Hilfe angeborener sowie erlernter Me- chanismen Komplexität zu reduzieren. Dabei kann einiges schiefge- hen – psychische, neurologische und soziale Funktionen machen uns anfällig, die absurdesten Dinge für wahr zu halten. Wir sehen nicht nur Muster, wo keine sind, sondern erkennen auch Absicht, wo keine ist. Die Heider-Simmel-Animation zeigt beispielsweise in einem Video Dreiecke und Linien, die sich zufällig bewegen. Die meisten Menschen sehen aber keine Formen, sondern Geschichten: eine Mutter mit ihren Kindern, Streit zwischen Geschwistern oder anderes. Wir tendieren dazu, vor allem dann eine Absicht in einem Ereignis zu sehen, wenn der Ausgang besonders schrecklich ist. Stürzt etwa ein Flugzeug ab und es gibt keine Überlebenden, glauben wir eher an einen gezielten Anschlag als an technische Probleme, als wenn das Flugzeug notlandet und alle überleben. Diese Verhältnismäßigkeits-Verzerrung kennen wir auch als Aberglaube. Wir pusten in die Würfel, um einen Sechser-Pasch zu würfeln, weil wir glauben, für ein besonderes Ergebnis braucht es auch eine besondere Ursache – das Pusten. Der Zufall als Fundament? Hier stellt sich die Frage nach Kausalität und Korrelation bzw. Schein-Korrelationen. Würfeln wir einen Sechser-Pasch, weil wir gepustet haben, obwohl wir gepustet haben oder hat beides nichts miteinander zu tun? Schein-Korrelationen kennen wir auch aus der Homöopathie. Da für die Zulassung homöopathischer Mittel keine wis- senschaftlich fundierten Wirkstudien verlangt werden (die es folglich auch nicht gibt), könnte eine Verbesserung der Beschwerden durch die Einnahme eines homöopathischen Medikaments also Glück, Zufall oder einfach ein Placebo-Effekt sein. Eine wissenschaftliche Erklärung jedenfalls gibt es nicht. Werden fundierte wissenschaftliche Meinungen in der medialen Berichterstattung absurden Minderheiten-Meinungen gleichgestellt und entsteht der Eindruck, als wären beide Einstellungen gleichwertige Alternativen, nennt man dies False-Balance oder No-Ba- lance. Wir bekommen also ein falsches Bild präsentiert, was unsere Meinungsbildung erschweren kann und wissen dann womöglich nicht, welchen Expertinnen* und Experten* zu trauen ist. Wir selbst sind – da überschätzen wir uns nachweislich immer wieder – eben keine Fachleute in allen Bereichen. Das Vertrauen in Expertinnen* und Experten* aus Wissenschaft, Politik und Journalismus ist wichtig für das Funktionieren unserer Gesellschaft. Natürlich sind auch Fachleute und deren Systeme nicht perfekt und müssen stets überprüft und gegebenenfalls kritisiert werden. Wer jedoch grundsätzlich alles diskreditiert, den können Fak- ten nicht mehr überzeugen. Dann haben Verschwörungserzählungen leichtes Spiel. Dabei geht es weniger um deren Inhalte als vielmehr um die Verschwörungsgläubigen selbst. Die Verschwörung ist dabei eine Art Verzerr-Brille, durch die man die Welt betrachtet. Sie erklärt das Unerklärliche, liefert Begründungen, einfache Lösungen und gibt dem Zufälligen eine Bedeutung. Die dadurch gewonnene (künstliche) Kontrolle der Machtlosigkeit ist für Verschwörungsgläubige existentiell. Schlussendlich ist das aber eine gefährliche Sicherheit und ein Irrweg. Was wirklich hilft, um Verschwörungserzählungen nicht auf den Leim zu gehen, ist einerseits ein Grundverständnis für Wissenschaft und ihre Methoden sowie andererseits Medienkompetenz. Darüber hinaus muss man das dichotome Denken von Schwarz-Weiß und von Gut-Böse aufgeben. Manchmal gibt es jedoch keine klaren Antworten, Meinungen können und müssen sich ändern, neue Fakten führen zu neuen Einschät- zungen; letztliche Sicherheit gibt es nicht. Wer zudem „alternativen“ Medien vertraut, hat ein höheres Risiko, auf Verschwörungserzählungen reinzufallen. Daher braucht es ein Wissen über und Verständnis des Mediensystems und der öffentlichen Aufgabe und Funktion von Medien. Die Herrschaft der Illuminaten naht – oder doch nur ein zufällig entstandenes Logo? Foto: Michael Knoll auf Pixabay
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