K3 No. 4 - September 2021

10 das kommt | 04 | 2021 das war 75 Jahre KJR aus Sicht der Kommunalpolitik Welche persönlichen Bezüge haben Sie zur Jugendarbeit? Burkert: Ich war in den 1950er Jahren in einer Mädchengruppe der Bergsteigerjugend aktiv. Bei den Ausflügen trennte man damals uns Mädchen streng von den Jungen. Ich empfand das nicht als Nachteil. So haben wir uns das Gejammere der Jungen erspart, dass wir Mädchen zu langsam wären. Dietl: Ich bin in der katholischen Jugend- arbeit sozialisiert, war Ministrantin und habe dabei erste Kontakte zur Jugendarbeit geknüpft. Später bin ich zu den Jusos, wo mein politisches Interesse geweckt wurde. Die Aufgaben und Ämter, die ich hatte, ha- ben maßgebliche meine berufliche Laufbahn beeinflusst. Jugendarbeit prägt also den Lebensweg? Burkert: Man braucht Erfahrungen aus Ju- gendgruppen, um sich später in der Politik zu engagieren. Man muss lernen und offen dafür sein, Kompromisse zu schließen. Die Familie ist ja eher hierarchisch geprägt. In der Gruppe muss man sich unter Gleichen behaupten und durchsetzen. Ich finde es schade, wenn jemand nicht diese Erfahrungen machen kann. Dietl: In der Jugendarbeit lernt man auch, andere zu überzeugen, mit Niederlagen umzugehen und Verantwortung zu tragen. Wann gab es den ersten Kontakt zum Kreisjugendring? Burkert: Bei der Bergsteigerjugend war der Jugendring eigentlich nicht bekannt. Ich habe trotzdem ganz frühe Erinnerungen an den Jugendring. Roswitha Fingerle, eine der Töchter des damaligen Vorsitzenden Anton Fingerle, ging mit mir zur Schule und ich war oft Gast bei den Fingerles zu Hause. Dort habe ich vom Jugendring gehört und der Idee, dass Jugendarbeit und Schule verbunden werden müssten. Ich kann mich gut an die Energie von Anton Fingerle in dieser Frage erinnern. Dietl: Mein erster Kontakt zum Jugendring kam über den Bezirksausschuss. Ich war dort für den Bereich Kinder und Jugendliche zuständig und bin da natürlich auf den KJR als Lobby-Organisation getroffen. Ich habe den Austausch zwischen KJR, Lokalpolitik und letztlich dem Bürgermeisteramt als sehr intensiv erlebt. Wie entwickelte sich die Kooperation von Jugendarbeit und Schule weiter? Burkert: Es tut mir bis heute leid, dass sich diese beiden pädagogischen Bereiche nicht viel früher verbunden haben. Heute sind zwar viele ideologische Gräben überwunden, in den 1990er Jahren konnten Lehrerschaft und Sozialpädagogik aber wenig bis nichts miteinander anfangen. Man warf sich sogar gegenseitig vor, die Kinder zu „verderben“. Mir war die Kooperation zwischen beiden Feldern immer wichtig. Dietl: Gertraut Burkert war wirklich eine Vor- reiterin in dieser Frage. Heute ist klar, dass sich beide Partner gegenseitig brauchen. Das hat nicht zuletzt die Pandemie bewiesen. Zur Bewältigung der Folgen von Corona werden wir die Expertise aller brauchen. Die Kooperation von Jugendarbeit und Schule ist es wahrscheinlich nicht; welche Themen trägt die heranwachsende Genera- tion damals und heute an die Stadtpolitik heran? Burkert: Zu meiner aktiven Zeit war die Möglichkeit der Begegnung zwischen Kindern und Jugendlichen aus verschiedenen Milieus ein wichtiges Thema der jungen Generation. Schon damals hatte viele nur Kontakte in- nerhalb einer fest umrissenen Gruppe – man blieb unter sich. Heute stellt sich das Problem ähnlich dar, wenn wir an Kinder und Jugend- liche mit Migrationsbiografien denken. Die Freizeitstätten des KJR sind deshalb ein unverzichtbares Angebot zur Begegnung und Öffnung gerade für diese Gruppen. Gertraud Burkert Jahrgang 1940, aus München Studium der Germanistik, Altphilologie und Geschichte in München und Wien 1964 bis 1988 Mitglied des Bezirks- ausschusses Ramersdorf-Perlach, 1990 bis1993 Stadträtin, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Korrefe- rentin des Schulreferats, 1993 bis 2006 Zweite Bürgermeisterin, zuständig für Soziales, Schule, Sport, Bezirksaus- schüsse Beharrlich, parteiisch, unbequem – von Kindern und Jugendlichen Dr. Gertraud Burkert und Verena Dietl waren bzw. sind Sozial-­ Bürgermeisterinnen der Landeshauptstadt München – und in dieser Funktion eng mit dem Kreisjugendring und seinen Themen verbunden Ökologie war wahrscheinlich damals noch kein Thema? Burkert: Das war weit weg. Dietl: Heute interessiert junge Menschen auf vielfältige Weise das, was ihre Zukunft betrifft. Und sie adressieren das auch an die Politik: „Wenn ihr nicht gute Politik für uns macht, sind wir die Verlierer der Zukunft“. Kinder und Jugendliche haben ein hohes pol itisches Bewusstsein. Sie wollen mitbestimmen. Ich finde das sehr beeindruckend. Es gab im Stadtrat unlängst ein Hearing zu den Folgen der Pandemie für Kinder und Foto: Carmen Palma

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