K3 No. 3 - Juli 2021

| 03 | 2021 31 Erlebnispädagogik Schwerpunkt Die geschilderten Erfahrungen sind typisch für abenteuer- und erleb- nispädagogische Programme. Solche Programme können Wanderungen, Kanufahrten, Kletteraktionen oder Segeltörns beinhalten, aber auch kooperative Aktivitäten wie das Bauen einer Seilbrücke oder eines Floßes, um ein Gewässer zu überqueren. Der Wert solcher Aktivitäten für die Persönlichkeitsentwicklung, den Erwerb sozialer Kompetenzen und die Förderung des Gruppenzusammenhalts wurde bereits vielfach wissenschaftlich belegt – gerade für Jugendliche. Aber wie genau kommt eine Wirkung zustande? Im Zentrum der Erlebnispädagogik stehen „Erlebnisse“, also Ereig- nisse, die durch ihre besondere Qualität außerhalb des Normalen und Bekannten liegen und deshalb nachhaltig erinnert werden. So gesehen sind Erlebnisse nicht nur Ausgangspunkt eines Lernprozesses im en- geren Sinne, sondern vielmehr Anstoß für eine ganzheitliche Persön- lichkeitsbildung. Die Abenteuer- und Erlebnispädagogik geht davon aus, dass Menschen insbesondere dann bedeutsame Lernerfahrungen machen, wenn sie in einer neuen Situation mit einem herausfordernden Problem konfrontiert werden, welches sie durch eigenes Handeln mei- stern und sich dabei als wichtigen Teil einer Gruppe erleben können. Modell zur Wirkungsweise abenteuer- und erlebnispädagogischer Programme (Grafik: Michael Mutz) Die Neuartigkeit der Aktivität und der Umgebung stellt einen Kon- trast zum Gewohnten dar, eröffnet neue Erfahrungsmöglichkeiten und gestattet andere Sichtweisen auf das Bekannte. Erlebnispädago- gische Programme zeichnen sich dadurch aus, dass sie aufgrund der Verlagerung in außergewöhnliche Naturräume und des Durchführens von unvertrauten Aktivitäten, z.B. Camping in der Wildnis, Wandern im Hochgebirge, Segeln auf offener See, ein Aufbrechen alltäglicher Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsroutinen forcieren. Wer sich dagegen immer nur bekannten Situationen aussetzt, wird wenig Neues über sich erfahren, sondern einmal etablierte Selbst- und Weltkonzepte immer wieder bestätigen. Über sich und die Welt hinauswachsen Ein weiterer Bestandteil erlebnispädagogischer Programme sind Aufgaben, die als authentische Herausforderung wahrgenommen werden. Die Teilnehmenden sollen einerseits mit Aufgaben konfron- tiert werden, bei denen sie ihre sogenannte Komfortzone verlassen müssen, andererseits sollen sie auch nicht überfordert werden. Der Herausforderungscharakter einer Aktivität kann sich dabei aus ver- schiedenen Aspekten ergeben: physische Anstrengung (z.B. bei einer Bergwanderung), Verzicht auf Komfort (z.B. Zelten in der Wildnis) oder Überwinden von Ängsten (z.B. Klettern in großer Höhe). Ein bestimmtes Maß an Zweifel und Unsicherheit ist geradezu konstitutiv für eine Erfahrung, die rückblickend als „Abenteuer“ betrachtet und mit Bedeutung versehen wird. Unter den Voraussetzungen von anfänglichem Zweifeln, von Unsi- cherheit und Selbstüberwindung können Herausforderungen, wenn sie eben doch gemeistert wurden, subjektiv als bedeutsame Kompe- tenzerlebnisse reflektiert werden. Das Erleben von Kompetenz ist umso tiefgreifender, je neuer und fordernder die durchgeführte Aktivität war bzw. sich eine Person den Erfolg vorher selbst gar nicht zugetraut hätte. Es geht also nicht um beliebige Kompetenzerlebnisse, sondern solche, die sich bei neuen Aktivitäten und beim Überwinden von Wi- derständen einstellen. Schließlich ist der Gemeinschaftscharakter erlebnispädagogischer Aktivitäten von Bedeutung. Optimal sind kleine Gruppen, in denen effektiv kooperiert wird und sich im Verlauf ein starkes Wir-Gefühl etabliert. In kleineren Gruppen können sich die Teilnehmenden in der Regel schneller kennenlernen, ihre Stärken und Schwächen wech- selseitig besser einschätzen und sich beim Lösen von Aufgaben gut unterstützen. Auf diese Weise kann sich eine Person als Verantwortung tragenden Teil der Gruppe erfahren und sie erlebt, dass der eigene Beitrag für den Gruppenerfolg mitentscheidend ist. Kommen diese Aspekte zusammen, ist es wahrscheinlich, dass Jugendliche für sie bedeutsame Erfahrungen machen. Lisa hat beim Sprung in die Klamm ihre Angst überwunden; Tim hat im Wald einen neuen Bezug zur Natur erfahren und gelernt, dass er auf Videospiele verzichten kann. Solche Erlebnisse werden durch Reflexion in persön- liche Erkenntnisse transformiert, die im Idealfall zu einem veränderten Selbst- oder Weltbild führen, das Handlungsrepertoire erweitern und auf neue Situationen transferiert werden können. Was genau gelernt wird, hängt von persönlichen Voraussetzungen und individuellen Vorerfahrungen ab. Die gleiche Aktivität kann von einer Person als langweilig, von einer anderen Person als spannend und herausfordernd erlebt werden. Aus pädagogischer Sicht besteht die Aufgabe darin, vor dem Hintergrund heterogener Ausgangslagen die Programmbausteine so vielfältig und differenziert zu gestalten, dass möglichst alle eine für sie positive Erfahrung mitnehmen können. Prof. Dr. M I CHA E L MU T Z , Jahrgang 1980, Magisterstudium der Fächer Soziologie, Psychologie und Politikwissenschaft, seit 2016 Justus-Liebig-Universität Gießen; Arbeitsbereich Sozialwissenschaf- ten des Sports, Arbeiten zu den Themen: Bildungs- und Sozialisati- onsleistungen des Sports im Kindes- und Jugendalter, Diversität und Interkulturalität im Sport und in Sportorganisationen, Rezeption von sportlichem Erfolg in der Öffentlichkeit, Evaluation abenteuer- und erlebnispädagogischer Programme, empirische Sozialforschung, insbesondere quantitative Methoden » Nochmal ein Lob für deine Konsequenz gegenüber unseren frechen Jungs! Ich glaube, ein winziges Bisschen ist hängen- geblieben. Hoffen wir es. (Kletteraktionen) » Wir hatten einen super Tag, die Kinder sind immer noch am Schwärmen, weil es ihnen soooo gut gefallen hat. Auf dem Heimweg haben sie gemeint: ‚Können wir bitte, bitte morgen und übermorgen bitte wiederkommen?‘ Also ein voller Erfolg! Und alles war wie immer, trotz Regen, super organisiert! (Isarschwimmen)

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