K3 No. 3 - Juli 2021

20 das kommt | 03 | 2021 das war „Der Wurmfortsatz des Establishments“ oder „Ein Verbündeter im Kampf um die Emanzipation“? Wie ich in den 60er Jahren den KJR erlebte Christian Ude wurde 1966 Sprecher der Münchner Schulsprecher im Kreisjugendring München-Stadt. Ein Rückblick auf seine Erfahrungen mit dem KJR Auch wer sich der Jugend verschreibt, sogar mit Herzblut und ganzer Kraft, wird irgendwann älter, deutlich sogar, wenn es ganz dumm kommt, gar 75 Jahre. Greisen- alter. Beim KJR war es schon letztes Jahr so weit. Dank (!) Corona musste er es nicht in die Welt hinausposaunen, sondern konnte es im Wesentlichen für sich behalten. Wie eine Präsidentengattin, die ihr Geburtsjahr im Pass versehentlich mit ihrer brennenden Zigarette eliminierte. Andererseits bedeutet ein 75. Geburtstag aber auch, dass sich der Jubilar erstaunlich lange halten konnte. Also doch feiern? Dank (!) Corona nur digital und ein ganz kleines bisschen auch analog, mit einer Ausstellung? Genau, das Jubiläumsjahr hält ja noch an. Auf geht’s, woran erinnern wir uns? Als erstes erinnere ich mich an einen Vor- trag, den ich 1969 in Nürnberg gehalten habe und den der Bayerische Jugendring tatsächlich in seinen „Jugendnachrichten“ – juna – abgedruckt hat. Er beginnt mit einer kaltschnäuzigen Arroganz, die jungen Leuten schon damals zu eigen war: geholfen, zwar nicht mit pathetischen Gesten und öffentlichen Protesten, aber mit großer List. Wir Schüler wollten uns 1966 (zwei Jahre vor 68!) organisieren, strebten ein schulpoli- tisches Mandat im Namen der Schülerschaft an. Das Kultusministerium war strikt dagegen, die Schülermitverwaltung SMV sei nur ein unselb- ständiger Teil der jeweiligen Schulfamilie. Wir durften uns nicht einmal „schulübergreifend“ treffen und beraten. Dank der „alten Herren“ vom KJR gab es plötzlich einen Sprecher der Münchner Schulsprecher, den es laut Ministerium auf keinen Fall geben durfte. Die Lösung kam von den „alten Herren“ des KJR. Auch die Schülerschaft solle im KJR vertreten sein, und zwar im Vorstand, aber dies müsse wie bei allen anderen Mitgliedern durch eine demokratische Wahl legitimiert sein, und zu dieser Wahl müsse der KJR einladen. Und in diese verbandsinterne Willensbildung dürfe das Kultusministerium sich nicht einmischen. Gesagt, getan. Und plötzlich gab es einen Sprecher der Münchner Schulsprecher, den es laut Ministerium auf keinen Fall geben durfte. Ein ähnlicher Trick half uns noch einmal, in der Schülerpresse. Ich war Landesvor- sitzender der „Presse der Jugend“, des Ver- bands der bayerischen Schülerzeitungen. Wir waren alle unter 21, also minderjährig und nicht geschäftsfähig. Wir durften nicht einmal Busse oder Räume mieten für unsere Landeskonferenzen und konnten keine Pu- blikationen drucken lassen. Da gründeten die „alten Herren“ den „Freundeskreis der Presse der Jugend“, der keine andere Aufgabe hatte, als unsere Beschlüsse nochmals zu fassen – und schon waren sie rechtswirksam, als Beschlüsse eines eingetragenen Vereins. Der Vorsitzende des Freundeskreises war der Volkshochschuldirektor Dr. Hans Lamm, später Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde. Hermann Kumpfmüller von der Spitze des BJR war immer hilfreich dabei. Das war zwar nicht der von uns gewünschte „Aufstand der Jugend“, aber eine „Hilfe der alten Herren“, Ergraute Herren können sicherlich viel. Eines aber können sie gewiss nicht: im Namen der Jugend sprechen und als Interessenvertreter der jungen Generation auftreten, ohne dabei komisch zu wirken. „Ergraute Herren können sicherlich viel. Eines aber können sie gewiss nicht: im Namen der Jugend sprechen und als Interessenver- treter der jungen Generation auftreten, ohne dabei komisch zu wirken. Natürlich können rüstige Endfünfziger aufgeschlossener, be- weglicher und moderner sein als so manche frühvergreisten Teenager. Aber dennoch ist es verständlich, dass die Attraktivität der Jugendverbände unter der Überalterung der Funktionäre leidet. Bei einigen Tagungen von Kreisjugendringen habe ich mich gefragt, ob ich da nicht versehentlich in eine Sitzung des Verwaltungsausschusses eines Altenwohn- heims hineingeraten bin.“ Anschließend heftige Beschwerden darü- ber, dass dem Jugendlichen „sein Recht auf Sexualität vorenthalten und empfohlen wird, sexuelle Regungen zu verdrängen statt sie zu entfalten“, dass „dem Lippenbekenntnis zum jugendlichen Engagement eine Diffamierung der tatsächlich politisch tätigen Jugend- lichen“ gegenüberstehe und „den hehren Bil- dungsidealen und formalen Demokratielehren eine Praxis, die den Schüler in eine Unterta- nen-, jedenfalls in eine Konsumentenhaltung hineinzwingt“, schließlich dass „der Jugendli- che zwar wehrpflichtig, aber weder geschäfts- fähig noch wahlberechtigt ist“. Fazit: „Die Jugendverbände dürfen ihren Mitgliedern keine Berufsjugendlichen vor die Nase setzen, sondern müssen ihnen die Chance geben, die eigenen Interessen selbst unmittel- bar zu vertreten. Politisiert die Jugendarbeit, demokratisiert die Jugendverbände!“ Immerhin: Das war alles kurz darauf im Ver- bandsorgan zu lesen. Die alten Herren waren progressiver, als der Zeitgeist wahrnehmen wollte. Und sie hatten uns ja auch schon massiv OB Christian Ude 1997 bei der Eröffnung des Café Netzwerk

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