K3 No. 6 - November 2020
9 das kommt | 06 | 2020 das war Ein Überlebender des 9. November 1938 engagiert sich für Demokratie und Gerechtigkeit passieren. 1 kann doch keine Nazis und NSDAP-Mitglieder mit dem Aufbau demokratischer Strukturen beauftragen! Durch diese Erfahrungen und meine Verbin- dung zu ehemaligen Häftlingen – später auch durch die Heirat mit Erika Binder, der Tochter eines von den Nazis im Gefängnis Stadelheim ermordeten Kommunisten – wurde mein politisches Interesse vertieft und auch der Kontakt zur Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes enger. Hatten Sie damals schon die Vision einer neuen und gerechten Gesellschaft im Kopf? In meiner Jugendzeit hat mich meine Mit- gliedschaft in der Gewerkschaftsjugend geprägt. Hier konnte ich ganz praktisch Politik erleben und mich gegen die Wiederbe- waffnung Deutschlands einsetzen. Für mich war völlig unverständlich, dass Deutschland diesen Weg gehen will. Es sollte nur wenige Jahre nach Kriegsende ein neuer Staat mit Militär aufgebaut werden – und dazu bediente man sich der Vertreter der alten Generalität, Militaristen und von NS-Verbrechern. Das war nicht nur gegen die Potsdamer Beschlüsse, das war unerträglich. Dem Lauf der Geschichte wollten Sie im- mer politische Aufklärung und Handeln entgegensetzen … Ich habe eine Entwicklung durchlaufen. Vor allem durch die gewerkschaftliche Arbeit habe ich erkannt, dass ich als politisch denkender Mensch handeln muss, um etwas zu bewirken. Nehmen wir das Beispiel La- denschluss. Als Gewerkschaftsjugend haben wir uns energisch engagiert, haben monate- lang jeden Samstag für die Schließung der Geschäfte am Wochenende demonstriert. Damals galt noch die 48-Stunden-Woche, deshalb sollte Samstagmittag Arbeitsschluss sein. In diesem Zusammenhang bin ich übri- gens später verhaftet und zu einer Haftstrafe von sieben Monaten verurteilt worden, weil ich angeblich zum Widerstand gegen die Staatsgewalt aufgerufen hätte. Zu dieser Zeit ging die Polizei massiv und mit extremer Gewalt gegen alles vor, was in ihren Augen als widerständig, links und kommuni- stisch galt. Ich kann mich beispielsweise an eine unserer Veranstaltungen in der Donners- berger Bierhalle erinnern, bei der die Polizei das Lokal geräumt und die Teilnehmenden niedergeknüppelt hat. Und Ihre Ziele heute? Seit ihrer Gründung 1947 bin ich bei der Vereinigung des Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA). Diese Vereinigung wird in Bayern trotz vieler Proteste leider weiterhin vom Verfas- sungsschutz beobachtet. Aufgrund dieser Beobachtung hat uns das Bundesfinanzmi- nisterium die Gemeinnützigkeit aberkannt. Das schadet uns nicht nur finanziell. Man geht gezielt gegen missliebige Personen vor – beispielsweise auch damit, dass wir keine Versammlungsräume anmieten können. Das alles ist unfassbar für mich und erinnert mich an meine Erlebnisse in meiner Jugend. Ich kann das nur so deuten: Politische Bil- dungs- und Erinnerungsarbeit wird be- oder gar verhindert, weil wir auch unbequeme Mahnerinnen und Mahner sind. Ich selbst habe zwar in den letzten Jahren Ehrungen erhalten, „München leuchtet“ in Silber im Jahr 2002 und 2017 den Georg Elser-Preis, aber das Misstrauen mir gegenüber bleibt. Das passt einfach nicht zusammen, wenn man einerseits Erinnerungsarbeit in den Schulen mit mir als Zeitzeugen will – mir andererseits Steine in den Weg legt. Wie erleben Sie heute Jugendliche? Ich habe es vorwiegend mit Schülerinnen und Schülern zu tun. Für mich ist es wichtig, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Ich erlebe durchaus aktive Jugendliche, wenn es etwa bei Demonstrationen um die Einschrän- kungen von Grund- und Bürgerrechten, um den Klimawandel oder die Unterstützung von Geflüchteten geht; wenngleich die Mo- bilisierung auch mühsam ist. Ziehe ich den direkten Vergleich zu meiner Jugendzeit, hat sich viel verändert. Damals habe ich kaum Solidarität erlebt. Heute gibt es immer wieder Bürgerinitiativen und eine Bereitschaft, sich nicht alles gefallen zu lassen. Jugendliche heute sind leider auch nicht resistent gegenüber der Ansprache von rechts – das muss uns klar sein. Wir und sie selbst müssen durch Angebote der politischen Auf- klärung und mit Aktionen dagegenhalten. Interview: Marko Junghänel Ernst Grube wird auch mit fast 90 Jahren nicht müde, Jugendliche zu motivieren, aus den Erfahrungen der Geschichte zu lernen und daraus Impulse für ihr poli- tisches Handeln zu entwickeln. 1) Primo Levi Foto: NS-Dokumentationszentrum München
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