K3 No. 6 - November 2020

11 das kommt | 06 | 2020 das war 30. Jahre nach dem 9. November 1989 – Gedanken zweier Generationen die geschlossene Schere im Kopf – das alles habe ich aber genossen. Gleichzei- tig ist mit dem Mauerfall für Menschen aus meinem familiären Umfeld eine Welt zusammengebrochen. Mei- ne Eltern wurden arbeitslos, haben Überbrückungsgeld und dann Frührente be- kommen. Dieser Kontrast hat meine Wahrnehmung der Wende definitiv beein- flusst. Die Montagsdemonstra- tionen waren in Zwickau allgegenwärtig – ich war auch bei einigen dabei. Ich wäre auch mit einer langsamen Änderung des Systems zufrieden gewe- sen, doch die Geschichte ist anders verlaufen. Für mich hat es sich nicht wie eine „Wieder-Vereinigung“ angefühlt: Was man nicht kennt, kann einem ja auch nicht fehlen. Bis heute beschreiben viele Westdeutsche die Menschen aus Ostdeutschland als verunsichert, rechtsorientiert und ableh- nend, die Wiedervereinigung betreffend 1 . Trifft das aus Ihrer Sicht zu? Frank Schneider: Es ist wohl nur ein kleiner Teil der Menschen, der die Wiedervereinigung klar ablehnt. Zum Thema „Rechtsorientie- rung“ fällt mir ein: Die DDR war in meiner Wahrnehmung als Jugendlicher eine sehr gewaltbereite Gesellschaft. Das hat sich vor allem bei Fußballspielen geäußert, wo es eine starke Hooligan-Szene gab, Schlägereien in den Diskotheken waren sehr üblich. Auch eine gewisse Fremdenfeindlichkeit gab es immer. In Limbach wohnten Gastarbeiter aus Kuba und Vietnam; integrierter Teil der Gesellschaft waren sie nie. Die rechte Szene heute ist für mich eine logische Konsequenz dieser beiden Phänomene von damals. Welche Anliegen haben Sie mit Blick auf 30 Jahre Wiedervereinigung? Frank Schneider: Ich wünschte mir, dass der Graben in meiner Familie – zwischen mir, meinem Bruder und meinen Eltern – nicht so groß wäre, wie er aufgrund der politischen Differenzen ist. Für politische Ideale mensch- liche Nähe aufs Spiel zu setzen, halte ich nicht für erstrebenswert. Ich wünsche mir, dass wir uns wieder mehr gegenseitig zuhören und versuchen, auch mal die Perspektive an- derer einzunehmen. Im Gegensatz zum Leben in der DDR können zwar alle ihre Meinung sagen. Wirklich zugehört wird sich in dieser Kakophonie aber nicht. Du bist im wiedervereinigten Deutsch- land geboren und aufgewachsen. Welche Bedeutung haben 30 Jahre Wiederverei- nigung für Dich als Tochter einer Familie mit ost-westdeutschen Wurzeln? Valentina Schüller: Die Wiedervereinigung hat eine große Bedeutung für mich. Ohne sie gäbe es meine Familie und mich schließ- lich nicht. Für mich sind der Mauerfall und die Wiedervereinigung – wie für viele in meinem Alter – aber weit weg. Ich hatte nie das Gefühl, dass der Tag des Mauerfalls in meiner Familie eine besondere Rolle gespielt hat. Dadurch, dass meine Familie nicht nur positive Erfahrungen mit der Wiedervereinigung gemacht hat, ist es auch kein Tag zum Feiern. Insofern glaube ich, dass meine Familiengeschichte gar nicht so sehr beeinflusst, wie wichtig das Jubi- läum für mich ist. Sie führt eher zu einem grundsätzlich größeren Interesse und einer höheren Verbundenheit zur ostdeutschen Geschichte und Gegenwart. Wie schätzt Du das Interesse junger Men- schen Deiner Generation am Thema Wie- dervereinigung ein? Valentina Schüller: Ich glaube, dass es für junge Menschen derzeit sehr viel präsentere und dringendere Themen als die Wiederver- einigung gibt. Ich hatte nicht das Gefühl, dass das Jubiläum in meinem Umfeld tiefer­ gehende Diskussionen entfacht. Das liegt wohl auch daran, dass viele Menschen in Westdeutschland keinen biografischen Bezug zur DDR haben. auch nicht fehlen.“ Foto: Julian Schulz Foto: Sarah Lötscher, pixabay.de Aus der westdeutschen Perspektive gibt es die klare Unterscheidung in „Wessis“ und „Ossis“ meines Erachtens nicht mehr, zumin- dest nicht in meiner Generation. Ich glaube schon, dass Kinder und Jugendliche in den neuen Bundesländern anders aufwachsen und sie ein stärkeres Bewusstsein für subtile und weniger subtile Unterschiede haben als andere. Im Zweifel sind es ja sie, die die schlechteren Perspektiven haben, Privilegien fallen weniger auf als Nachteile. Du hast Dich schon früh jugendpolitisch engagiert und bist parteipolitisch für die SPD aktiv. Was bewegt Dich zu diesem politischen Engagement? Valentina Schüller: Ich wurde einfach nach und nach über ehrenamtliches Engagement politisiert – erst in der SMV meiner Schule und dann im Münchner SchülerInnenbüro (msb). Das hat wenig und viel mit meiner Familie zu tun: Ich bin nicht politisch aktiv, weil mein Vater aus der DDR kommt. Und ich setze mich in meinem Engagement auch nicht hauptsächlich mit der Geschichte der DDR auseinander. Aber dadurch, dass mein Vater anders aufgewachsen ist, wurden mir beim Bilden einer eigenen politischen Meinung nie Steine in den Weg gelegt. Das ist auf jeden Fall eine wichtige Voraussetzung dafür, dass ich Freude am Engagement entwickelt habe; und es hängt stark mit seiner Biografie zusammen. Ein wichtiger Bestandteil meiner Zeit im msb waren die Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, insbesondere zur DDR. Die haben mich immer wieder beschäftigt und mir viele neue Perspektiven auf mein Engagement und meine Familie eröffnet. Interview: Sylvia Holhut 1) „Wenn Familie zu sehr wärmt“, Annette Simon, DIE ZEIT, 3. Juli 2019 Valentina Schüller, lange im MSB aktiv

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjk2NDUy