K3 No. 3 - Juli 2020

| 03 | 2020 23 Widerstand Schwerpunkt Gibt es den passenden Moment, um sich zu engagieren? Gerhard: Ich bin ein Kind meiner Generation – aber kein '68er. Die sind noch einmal zehn Jahre älter als ich. Meine Generation kam danach und konnte darauf aufbauen, was diese „Langhaarigen“, wie sie auch von meinen Eltern genannt wurden, begonnen hatten. Mir war schon als 15- oder 16-Jähriger bewusst, dass es Konflikte zwischen den Ge- nerationen geben muss, weil die Älteren immer noch in der Tradition eines autoritären Denkens standen. Gibt es diese Konflikte mit der Eltern-Generation noch heute? Cosima: Meine Eltern sind eigentlich so drauf wie ich. Aber man merkt trotzdem, dass es in weiten Teilen der älteren Bevölkerung Skepsis gegenüber der „Fridays for Future“-Bewegung gibt. Wir hören zum Beispiel: „Die jungen Ökos steigern sich da in was rein“. Gott sei Dank finden aber auch viele toll, was wir machen. Diese Zustimmung bestärkt mich in meinem Glauben an die Vernunft der Menschen. Damals wie heute richtet sich Widerstand oft gegen scheinbar übermächtige Gegner. Wie bleibt man trotzdem dran? Cosima: Unsere Bewegung bekommt viel Aufmerksamkeit, weil wir konsequent sind. Das motiviert mich weiterzumachen, auch wenn wir noch lange nicht unsere Ziele erreicht haben. Es ist ja gelungen – zu- mindest vor Ausbruch der Corona-Pandemie – das Thema Klimaschutz auf die weltweite Agenda zu setzen. Gerhard: Noch einmal zurück zum Stichwort Initialzündung. Ich war damals in der Evangelischen Jugend aktiv. Dort gab es Räume der Freiheit. Die jungen Pfarrer und Diakone, die damals die Jugendarbeit gestalteten, waren viel weiter als die Kirche selbst und die Gesellschaft. Dadurch wurden uns Freiräume eröffnet. Wir konnten über Themen diskutieren, die in der Luft lagen. In diesem Kreis ist mir das Thema Ökologie nähergebracht worden – nicht zuletzt dadurch, dass wir den Bericht des „Club of Rome“ über die Endlichkeit des Wachstums dis- kutierten. Fridays for Future sagt ja auch: hört auf die Wissenschaft. Insofern gibt es Parallelen zwischen unseren Generationen. In der technischen Organisation von Widerstand gibt es offen- kundige Unterschiede … Cosima: Wir treffen uns bei den Streiks. Dort bekommt man auch Informationen, wie man sich in den verschiedenen Foren und Plenen engagieren kann. Aus der persönlichen Vernetzung vor Ort wird in der täglichen Arbeit oft eine Online-Zusammen- arbeit. Aber es braucht trotzdem die Gemein- schaft, das persönliche Gespräch und den Diskurs. Der Kreisjugendring München-Stadt überlässt uns dafür beispielsweise Räume für unsere Team-Wochenenden. Widerstand muss man sich leisten können. Was sagt ihr dazu? Cosima: Unserer Bewegung gelingt es noch nicht wirklich, alle Teile der Jugend einzu- beziehen. Es engagieren sich kaum Menschen mit Migrationserfahrung, wir sind fast alle Gymnastinnen und Gymnasiasten – auch wenn ich selbst zur Realschule gehe. Diversität ist eine echte Herausforderung für uns, um die Bewegung in die ganze Breite der Gesellschaft zu tragen. Und ja – man muss sich Widerstand in gewisser Weise leisten können. Ich kann das beispielsweise, weil ich eine gute Bildung genieße und meine Eltern mich unterstützen. Wir arbeiten übrigens weltweit an dieser Frage. Gerhard: Die Evangelische Jugend war damals auch eher Gymnasi- um-lastig – heute wohl auch noch. Ich halte es deshalb für wichtig, dass sich die Jugendverbände im Jugendring zusammenfinden und erkennen, dass alle Verbände an ähnlichen Fragen arbeiten. Dadurch kann es gelingen, mehr gesellschaftliche Realität abzubilden. Und nicht zuletzt wird damit die Frage von Räumen und Gelegenheiten beantwortet. Der KJR bietet beides. Wie viel wisst ihr voneinander – vom Protest damals und heute? Cosima: Von Wackersdorf hat mir mein Opa oft berichtet, der damals aktiv dabei war. Er hat mir erzählt, wie die Demonstrierenden von der Polizei weggetragen oder mit Wasserwerfern attackiert wurden. Das macht übrigens einen großen Unterschied zwischen damals und heute aus: wir müssen uns nicht mit der Staatsgewalt auseinandersetzen – im eigentlichen Sinne des Wortes. Vor der Polizei brauchen wir keine Angst zu haben. Gerhard: In diesem Punkt hat sich die Gesellschaft stark verändert. Wenn ich heute die Polizistinnen und Politzisten sehe, die die De- mos von FfF in meinem Heimatort begleiten, sehe ich meist nette Menschen. Ist heute wieder die Zeit für einen echten gesellschaftlichen Wandel? Cosima: Auch wenn uns derzeit dieses Virus beschäftigt, es ist eine Zeit der Veränderung. Es muss sich auch etwas verändern, wenn wir noch die Kurve kriegen wollen. Gerhard: Wir haben schon vor Corona gesehen, wie sich die globalen Krisen zuspitzen. Für alle ist heute mehr denn je erkennbar, dass der Mensch und das Wirtschaftssystem verantwortlich dafür sind. Ein Wandel ist also dringender denn je; eine bescheidenere Lebenshaltung der Reichen und von uns Wohlhabenden und ein sozial-ökologischer „Dritter Weg“ in der Wirtschaft. Cosima: Corona zeigt auch, dass man wissenschaftliche Expertisen anerkennt und danach handelt. So wollen wir das beim Thema Klima- schutz auch. Ich habe die Hoffnung, dass wir nach der Pandemie auch in ökologischer Hinsicht nicht mehr so weitermachen wie bisher. Ich bin zuversichtlich, dass unsere Bewegung diese Hoffnung weitertragen wird, weil die Menschen jetzt erkennen, dass man anders leben und wirtschaften kann. Interview: Marko Junghänel Cosima Schaaf: Jahrgang 2005, Realschülerin (8. Klasse), seit Januar 2019 aktiv bei Fridays for Future, seit Oktober 2019 im Münchner Orga-Team von FfF – zuständig u.a. für Pressearbeit Foto: privat

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