K3 No. 2 - April 2020
14 das war | 02 | 2020 Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Zeiten von Corona Kommentar Am virtuellen Lagerfeuer Multikulturelles Jugendzentrum Westend Malaktion und Community-Masken www.mkjz.de MKJZ.Westend Das Multikulturelle Jugendzentrum Westend (MKJZ) sucht über Telefon, WhatsApp und Facebook Messenger von sich aus Kontakt zu seinen Stammbesucherinnen und -besuchern. „Viele sind überrascht und einige sehr erleichtert darüber, dass wir uns melden“, erzählt MKJZ-Leiter Ismail Sahin. Daher weiß er: Besonders fehlt den Ju- gendlichen die Freiheit, normal zu leben, Freunde zu treffen und sich auszutoben. Kontakt zu Freunden? „Ohne Social Media geht es nicht“, sagt Georgios Tsepidis. Der 22-Jährige ist Stammbesucher im MKJZ, genauer: er war es bis zur Schließung. Sobald er wieder ins Ju- gendzentrum gehen kann, will er seine Videoprojekte vollenden. Bis dahin gibt er den Pädagogen Tipps zu Apps und Videochat-Software. Tatsächlich muss das MKJZ-Team jetzt „die pädagogische Arbeit neu definieren und erfinden“, sagt Sahin. Als nächstes organisiert das MKJZ eine Malaktion dazu, wie Jugendliche die Welt jetzt erleben. Und damit alle gesund durch die Pandemie kommen, näht Sahins Kollegin Soultana Riga Community-Masken, die den Jugendlichen und ihren Familien zugeschickt oder in den Briefkasten eingeworfen werden. Mit dem Virus enden nicht die Probleme der Jugendlichen. Ein Runder Tisch war geplant. Zur chronischen Krankheit, dem laufenden Verfahren zur Kindeswohlgefährdung und einer vorübergehenden Einweisung zur psychotherapeutischen Abklä- rung kam noch die Pubertät hinzu. Endlich sollte alles Wissen gebündelt werden. Dann kam das Virus. Und alles wurde abge- sagt. Für die Jugendarbeit sind das aber nicht nur entfallende Fachgespräche, Projektangebote und nüchterne Öffnungszeiten. Wie überall mussten vor allem die Beziehungen unterbrochen werden. In den Jugendzentren ist es sehr leise geworden. Und damit sind die offenen Ohren für Krisen aller Art auch außer Dienst gestellt. Und wir fragen uns bei manchem Namen, manchem Foto, was die Kids jetzt machen, nachdem sie bei uns oft mehr Zeit verbringen als zuhause. Alles steht still. Und die Jour-Dienste der Sozialarbeit halten den Systemrelevanten den Rücken frei. Und man merkt, wie wenig relevant plötzlich manch hochbezahlter Job von „vorher“ plötzlich ist. Jetzt kommu- nizieren wir Jugendarbeiter*innen am virtuellen Lagerfeuer, über Instagram und Facetime. Mal reißt der Ton ab, mal ist das Bild instabil. Aber egal! Und wir verschicken Briefe und Langeweile-Päckchen, wie an Festtagen. Wir bleiben in Verbin- dung. Und wenn wir die Kids auf dem Weg in die Einrichtung zur Präsenzzeit treffen, dann mit gebührendem Abstand. Und man merkt es jeden Tag: wie einem die Umarmung abgeht, High Five und der Spaß miteinander. Und das vertraute Gespräch, wenn die Probleme endlich Worte finden und man den ersten Schritt zusammen geht, weg von der Krise und der Schwermut und dem Ärger und der Angst. Die Kolleginnen und Kollegen bringen momentan ihre Häuser, ihre Projekte in Schuss. Wir planen die Zeit danach. Wir ordnen unsere Geschichten und professionellen Alltagserfahrungen, wir dokumentieren. Sonst bleibt hierfür nie wirklich angemessen Zeit. Die übergeordnete Verwaltung zeigt Eifer in der Verregelung des neuen Alltags. Wie gut tut da we- nigstens untereinander ein echtes Wort, eine ehrliche und nicht standardisierte Zuwendung. Die Sozialen Netzwerke ermöglichen viel, aber sie bleiben eben nur Netzwerke, nur Methoden und Strukturen. Das soziale Leben zum Anfassen beweist in der Krise seinen wirklichen Wert. Und wir alle, in den geschlossenen Häusern, können gar nicht außer Dienst sein. Denn das Leben draußen in den Wohnungen und Familien ist es auch nicht. Wie ein Auto im Leerlauf, der Motor läuft, alles läuft. Auch wenn alles stillsteht. Heiko Neumann, Intermezzo, KJR Soultana Riga näht im Multikulturellen Jugendzentrum Westend Community-Masken für „ihre“ Kinder und Jugendlichen Foto: Sakis Charamis
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