K3 No. 6 - September 2019

Dachzeile 30 das kommt | 06 | 2019 Gedenkarbeit und Frieden Schwerpunk Frieden und Demokratie machen Arbeit, oder?! Robert: Ich erlebe in der Konfliktbearbeitung, dass die Beteiligten froh sind, wenn man für ihren Konflikt Zeit und Raum schafft. Sie sind dankbar für Möglichkeiten der Aushandlung, die tatsächlich Arbeit macht und Zeit für eine emotionale Befassung erfordert. Die Botschaft ist auch, dass keiner allein Frieden macht. Das gelingt nur im Zusam- menwirken aller Beteiligten – im Kleinen wie im Großen. Welche Rollen spielt dabei das soziale Nahfeld? Christoph: Erwachsene müssen den Mut aufbringen, einfach mal nicht einzugreifen und Kontrolle abzugeben, um den Kindern und Jugend- lichen die Chance auf Erfahrung von Selbstwirksamkeit zu eröffnen. Robert: Eltern oder Lehrkräfte müssen bei der Konfliktbearbeitung nicht immer mit am Tisch sitzen. Gleichzeitig wünschen sich die He- ranwachsenden eine Art allparteiliche Instanz als Moderation. Diese Menschen können aus dem Umfeld oder von außerhalb kommen, wenn sie das Vertrauen der Jugendlichen haben. Übertragen Jugendliche ihre Erfahrungen in der Klasse auf die gesellschaftliche Ebene? Christoph: Es gibt die Idee der Demokratie-Kompetenz. Wer im näch- sten Umfeld seine eigene Handlungsfähigkeit erlebt hat, wird sicher auch den Transfer auf Konflikte leisten, die auf internationaler Ebene bestehen. In der Struktur von Schulen sind diese Erfahrungs- und An- erkennungsmöglichkeiten aktuell selten gegeben, weil Individualität in diesem Setting kaum eine Rolle spielt. Alle werden nach den glei- chen Maßstäben und nicht aufgrund von persönlichen Kompetenzen beurteilt. Bildung vor diesem Hintergrund hat Schwierigkeiten, trans- formatorisch zu wirken. Wäre eine andere als unsere neoliberale Gesellschaft friedfertiger? Robert: Uns unterscheidet tatsächlich, dass wir Frieden über den Klassenkontext und den Lebensalltag der Jugendlichen hinaus denken. Wir denken auch in gesellschaftlichen und globalen Dimensionen. Vor diesem Hintergrund befasst sich Friedenspädagogik durchaus mit den Fragen globaler Gerechtigkeit, Klimaschutz und umfassender Teilhabe. Christoph: Im Team beschäftigen wir uns mit gesellschaftlichen Utopien, die an kritische Perspektiven auf aktuelle Formen von Wohlstandsver- teilung und ökonomischer Gerechtigkeit anknüpfen. Es geht aber nicht um eine Weltrevolution – schon gar nicht um gewaltsame Umwälzungen. Es geht um transformatives Denken im Zusammenhang mit einem The- menkanon aus Ökologie, postkolonialer Bildung und Wirtschaft. Fruchtet in der „Fridays for Future“-Bewegung also schon die Friedenspädagogik? Christoph: Ich sehe tatsächlich etwas Revolutionäres in dieser Bewe- gung. Die jungen Menschen haben bei ihren Demonstrationen Ökologie und Kritik an der globalen Ungerechtigkeit im Blick, und sie stellen sich selbstkritische Fragen; auch danach, warum unter ihnen fast aus- schließlich Gymnasiastinnen und Gymnasiasten sind. Das Spannende daran ist, dass diese Bewegung die Bildungsverhältnisse umkehrt: sie regen die Gesellschaft an, über ihr Verhalten nachzudenken. Aus Sicht der Friedenspädagogik ist das genau das, was wir vermitteln wollen: nämlich Partizipation auf allen Ebenen zur Bearbeitung von Konflikten. Wann ist Ihre Arbeit erfolgreich? Robert: Es gibt keinen Punkt, an dem es „klick“ macht und der Kon- flikt wäre gelöst. Wir arbeiten in unseren Seminaren darauf hin, dass die Klasse erkennt, welch hohen Preis alle Beteiligten für unbear- beitete Konflikte zahlen müssen. Das kann von einem allgemeinen Sich-nicht-Wohlfühlen bis zu Angst und körperlichen Symptomen reichen. Dieser Erkenntnisprozess stößt Veränderungen an. Christoph: … und diese Veränderungen brauchen Zeit. Wir können also sowohl in der konkreten Konfliktbearbeitung als auch in der Präventionsarbeit oder der demokratischen Bildung keine Erfolge von heute auf morgen versprechen. Wenn es aber Raum und Zeit gibt und die Bereitschaft, sich auf den Diskurs einzulassen, kann Friedenspä- dagogik wirklich nachhaltige Veränderungen bewirken. Interview: Marko Junghänel Frieden bedeutet für mich … ... dass ich nicht staatlicher Willkür ausgeliefert bin. Sino, 15 Frieden ist für mich … ... kein Krieg. Loubna, 12 Wenn es zu Mobbing kommt, erarbeitet die AGFP im Klassenverband gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern Lösungen zur Konflikt­ bearbeitung. Foto: FotoRieth auf Pixabay

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