K3 No. 5 - September 2019

Dachzeile 36 das kommt | 05 | 2019 Entwicklungsaufgaben Schwerpunk Was macht eigentlich die Jugendgerichtshilfe? „Wir sind oft die Ersten, bei denen die Maske des coolen Gangsters fällt.“ Insgesamt 32 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendgerichts- hilfe (JGH) beraten und betreuen straffällig gewordene Jugendliche und Heranwachsende und deren Familien vor, während und nach Ermittlungs- oder Strafverfahren. Das Team genießt einen sehr guten Ruf bei der Münchner Justiz, der Polizei und in Fachkreisen über die Landesgrenzen hinaus. Außer den Räumlichkeiten im Elisenhof hat die Jugendgerichtshilfe auch ein eigenes Büro im Münchner Polizeipräsidium. Frank Boos hat mit Fachbereichsleiterin Judith Krauss und ihrer Stellvertreterin Monika Betz über die Arbeit der Jugendgerichtshilfe gesprochen, die ihre Aufgabe auch so versteht, ein völliges und unumkehrbares Scheitern im Prozess des Erwachsenwerdens zu verhindern. Sie haben es mit Ihren Kolleginnen und Kollegen bis in die berühmte Ettstraße geschafft … Monika Betz: Eine Kollegin deckt den Dienst in der Ettstraße von Montag bis Freitag ab, an Wochenenden und Feiertagen teilen wir den Dienst unter uns auf. Wir müssen sieben Tage die Woche vor Ort sein. Gerade bei den sehr jungen 14- bis 15-jährigen Täterinnen und Tätern ist Untersuchungshaft wirklich das letzte Mittel unserer Wahl. Die Jugendlichen reagieren in der Regel sehr positiv auf uns. Wir machen sehr viel Übersetzungsleistung, weil die Belehrungen der Polizei nicht immer verstanden werden, und sind oft auch die Ersten, bei denen die Maske des coolen Gangsters fällt. Wir bekommen relativ viele Infor- mationen von ihnen. Sie versuchen aber auch gern, uns auszuhorchen. Also etwa: „Ist mein Kumpel auch da, was weiß die Polizei?“ Meistens sind die Jugendlichen sehr verunsichert. Die Fallzahlen sinken seit 2013 um zwei bis neun Prozent pro Jahr. Bei der Anzahl der Verfahren ist der Rückgang noch deutlicher. Ihre Erklärung für diese erfreuliche Entwicklung? Judith Krauss: Ein Grund ist sicher die Präventionsarbeit, die auch bundesweit greift. Da ist beispielsweise die Konfliktarbeit im Schulbereich zu nennen, Stichwort Mobbingcoaching. Zudem ist München in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit einfach sehr gut ausgestattet. Wenn Sie eben auch Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien Freizeitangebote machen können, dann beugt das einer Ghettoisierung oder Cliquenbildung vor. Salopp gesagt: Die Kinder und Jugendlichen treiben sich nicht den ganzen Tag auf der Straße rum, wo eben häufig Konflikte untereinander entstehen. Unsere Präventionsarbeit beruht vor allem auf den Diversionsverfahren nach § 45.2 bzw. § 45.3 Jugendgerichtsgesetz (JGG)* – die sogenannten richterlichen Ermahnungstermine, in die wir 2010 stark eingestiegen sind. Außerdem, und da möchte ich gern die Kolleginnen und Kollegen der Sozialbürgerhäuser mit ins Boot nehmen, reagieren wir nicht erst, wenn Anklagen bei Gericht anhän- gig sind. Wir haben uns Systeme überlegt, wie wir Polizeinoten und Polizeimitteilungen auf Gefährdungsaspekte und Jugendschutzas- pekte hin dezidiert prüfen. In diesem Stadium, wo noch nicht klar ist, ob 45.2/45.3 greifen oder Anklage erhoben wird, steigen wir ein und bieten den Jugendlichen und ihren Familien unsere Beratung und Vermittlung an. Im Bereich der Sekundärprävention greifen dann natürlich die ambulanten Maßnahmen, die wir im Stadtju- gendamt selbst anbieten, beispielsweise soziale Trainingskurse für junge Männer bei Aggressionsdelikten oder „Korrekt im Web“ bei Internetstraftaten. Nicht zu vergessen sind die Erfolge durch das Täter-Opfer-Ausgleichsverfahren. Nochmal zurück zum Thema Diversionen. Wie läuft die Zusammen- arbeit mit der Staatsanwaltschaft genau ab? Monika Betz: Wir bekommen von der Staatsanwaltschaft die Akten der Fälle, bei denen sie überlegt, das Verfahren einzustellen. Die Staatsanwaltschaft macht das aber von einem pädagogischen Gespräch und eventuell einem alternativen Auflagen-Vorschlag der Jugendge- richtshilfe abhängig. Das funktioniert in diesem Bereich sehr gut: 2012 gab es 280 Verfahren nach § 45.2, wo wir eingebunden waren. 2018 hatten wir 756 Verfahren, also fast dreimal so viele. Ein Teil der Fälle, die früher in die formale Hauptverhandlung gingen, erledigen wir jetzt im Bereich der Diversionen. Wir kommen in über 50 Prozent der Fälle zu dem Schluss, dass eine pädagogische Ahndung, wie zum Beispiel Beratungsgespräche oder Teilnahme an einem gruppendynamischen Wochenende, ausreichend wäre. Wir vereinbaren das dann mit der Familie. Auf dieser Grundlage geht die Akte zurück zur Staatsanwalt- schaft, die das Verfahren einstellt. Das wäre noch vor ein paar Jahren nicht denkbar gewesen. * § 45 JGG: Absehen von der Verfolgung Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Absatz 3 noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Einer erzieherischen Maßnahme steht das Bemühen des Jugendlichen gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen. ** § 10 JGG: Weisungen (1) Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Der Richter kann dem Jugendlichen insbesondere auferlegen, 1. Weisungen zu befolgen, die sich auf den Aufenthaltsort beziehen, 2. bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen, 3. eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen, 4. Arbeitsleistungen zu erbringen, 5. sich der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person (Betreuungs- helfer) zu unterstellen, 6. an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen, 7. sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), 8. den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten zu unterlassen oder 9. an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen. (2) Der Richter kann dem Jugendlichen auch mit Zustimmung des Erzie- hungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters auferlegen, sich einer heilerzieherischen Behandlung durch einen Sachverständigen oder einer Entziehungskur zu unterziehen. Hat der Jugendliche das sechzehnte Lebensjahr vollendet, so soll dies nur mit seinem Einverständnis geschehen. Was gehört für dich zum Erwachsensein? … reifes Verhalten, respektvoll anderen gegen- über, sein Leben unter Kontrolle halten (nicht strafrechtlich auffallen), ehrlich sein, selbstbe- wusst sein, Wert des Geldes schätzen … Junge, 17

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