K3 No. 5 - September 2019

| 05 | 2019 33 Entwicklungsaufgaben Schwerpunkt Erwachsenwerden in der Evangelischen Jugend München Auf den Weg machen „Und was machst du so in den Sommerferien?“ „Ich fahre ins Zeltlager … 40 Kinder zwischen sechs und 12 Jahren sind dabei – plus ein 20-köpfiges Team. Wahnsinn, das ist schon mein 16. Jahr als Leiterin …“ Ungläubige Blicke und die Frage von meinem Gegenüber: „Du warst mit 13 Jahren schon Leiterin?“ Die Evangelische Jugend München sagt dazu „Ja“. Jungen motivierten Menschen früh Verantwortung zu übertragen, ist das Beste, was ihnen und dem Jugendverband passieren kann. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie aufgeregt und stolz ich war, als ich damals gefragt wurde, ob ich mir vorstellen kann, Leite- rin zu werden. Ich fühlte mich wertgeschätzt und ernst genommen. Selbstverständlich werden „die Neuen“ nie einfach ins kalte Wasser gestoßen. Hauptamtliche und erfahrene ehrenamtliche Jugendleite- rinnen und -leiter stehen mit Rat und Tat zur Seite, so dass niemand überfordert wird und nur so viel Verantwortung übernommen werden muss, wie man tragen kann und will. Es folgt der nächste Schritt auf dem Weg zur Jugendleiterin bzw. zum Jugendleiter – der Grundkurs zur Gruppenleiterausbildung. In der Regel ist man da 15 Jahre alt. Nach dem begleiteten Einstieg und ersten Erfahrungen im Anleiten verschiedener Aktionen bekam ich mit 18 Jahren die Anfrage, ob ich zusammen mit einer Freundin die Hauptleitung einer Freizeit über- nehmen wollte. Das bedeutete, zum erste Mal alle Vorbereitungen zu planen und umzusetzen, ein Team zu koordinieren, die Verantwortung für das Budget zu haben, Ansprechpartnerin für die Eltern zu sein und eigentlich alles im Blick zu behalten. Hinter der Hauptleitung einer Freizeitmaßnahme steht allerdings immer auch ein gut ausgebildetes Team. Alle bringen sich ein – ehrenamtlich, motiviert und voller Ver- trauen ineinander. Im Team ist man stärker Durch unsere Strukturen ermöglichen wir den Jugendlichen, Schritt für Schritt in der Jugendarbeit Fuß zu fassen und in die vielfältigen Aufgaben reinzuwachsen. Man wird Mitglied im Mitarbeiterkreis und hat von Anfang an Mitspracherecht bei allen Entscheidungen. Dazu gehören demokratische Wahlen, Vertretungen in Gremien und Arbeits- kreisen, Leitung von Freizeiten und Aktionen, Zusammenarbeit mit der Erwachsenenebene und in eigenen Teams sowie Fortbildungen in unterschiedlichen Bereichen. Diese Einbettung bietet die Möglich- keit, voneinander zu lernen, sich gegenseitig zu motivieren, neue Blickwinkel einzunehmen und unterschiedliche Ideen in die Arbeit einfließen zu lassen. In meiner Karriere als Jugendleiterin folgte bald der nächste Schritt. Ich übernahm Verantwortung für den Jugendverband in verschiedenen Gremien. Wir möchten den Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Mög- lichkeit geben, demokratische Strukturen kennenzulernen und sie zu leben. Unsere Vorsitzenden sind ehrenamtliche junge Erwachsene, die von anderen Delegierten gewählt werden und zusammen mit der hauptamtlichen Geschäftsführung den Verband leiten. Das Aufgaben- feld ist vielschichtig und umfasst beispielsweise die Sitzungsleitung, Empfänge, Gespräche mit Politikerinnen und Politikern, Setzen von Impulsen im religiösen Leben, Personalverantwortung, Vergabe von Geldern, Vernetzung mit anderen Verbänden oder die Vertretung des Jugendverbandes nach außen. Wir sind das Gesicht der Jugend. Wir stoßen Prozesse zu vielen Themen an und sagen laut unsere Meinung. So stehen wir zum Beispiel für eine „Trauung für alle“ in der Evangelischen Kirche ein und sind damit der Erwachsenenebene voraus. Ich bekam schon öfter zu hören, dass sich die Erwachsenen von unserer Art zu arbeiten und Sitzungen zu führen „ruhig eine Scheibe abschneiden könnten“. Spaß haben, Gemeinschaft erleben, als Persönlichkeit reifen – das ist Erwachsenwerden im Jugendverband. jeden Kindes durchlebt. Dies geschieht unter Umständen zeitverzögert und möglicherweise zeigt sich beispielsweise die Pubertät anders. Wie kann man rebellieren, wie sich von seinen Eltern abgrenzen, wenn man etwa auf Unterstützung bei der Mobilität angewiesen ist und nichts außerhalb der Kenntnis der Eltern „anstellen“ kann? Gesellschaftlich muss sich durchsetzen, dass Kindern mit Behin- derung der gleiche Prozess des Erwachsenwerdens zugestanden wird. Nicht nur die kognitive Entwicklung und körperliche Reife, sondern auch das Lebensalter spielen spätestens in der Interaktion mit anderen Menschen eine Rolle. Im Umgang mit Menschen mit Behinderung steht viel zu häufig die Behinderung und nicht das Lebensalter mit seinen jeweiligen Bedürfnissen im Fokus. In Gesprächen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Behin- derung haben wir immer wieder erfahren, dass sich diese jungen Frauen und Männer vor allem soziale Kontakte und Freundschaften wünschen. Das bedeutet, dass sie bereits als Kinder darin begleitet werden müssen zu lernen, wie man Freundschaften schließt, diese aufrechterhält und wie man Konflikte austrägt. Junge Erwachsene müssen darin bestärkt werden, dass sie die Wahl haben, mit wem sie ihre Zeit verbringen, was sie arbeiten und wie bzw. mit wem sie (zusammen-)wohnen. Sie müssen die Möglichkeit haben, zu einer Party zu gehen und diese zu verlassen, wenn sie müde sind – und nicht dann, wenn der Pflegedienst die Arbeit beendet oder die Eltern dies bestimmen. Kilian Ihler, Befähigen und Beteiligen, GEMEINSAM LEBEN LERNEN e.V., Kerstin Günter, MOP Integrativer Jugendtreff, Modellprojekt 27 e.V. Was gehört für dich zum Erwachsensein? Zum Erwachsensein gehören für mich ein Auto, eine eigene Wohnung, eine eigene Familie und Verantwortung. Junge, 14 Foto: Evangelische Jugend München

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