K3 No. 5 - September 2019
Dachzeile 32 das kommt | 05 | 2019 Entwicklungsaufgaben Schwerpunk Was brauchen junge Erwachsene mit Behinderung? Barrieren beim Erwachsenwerden Ebenso wenig, wie es die Jugend gibt, gibt es den jungen Erwach- senen mit Behinderung. Es gibt jedoch spezielle Umstände und Bedingungen, die das Leben von Menschen mit Behinderung beim inklusiven Erwachsenwerden prägen. Das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung unterscheidet sich bisweilen stark vom Aufwachsen derjenigen, die keine Behinderung haben. Die Wünsche nach Beziehung, Freundschaft, nach Tätig-Sein und eigenständigem Wohnen sowie sinnstiftender Freizeitgestaltung unterscheiden sich zunächst nicht von denen junger Erwachsener ohne Behinderung. Sie äußern sich mitunter anders und bedürfen dann einer speziellen Unterstützung. Der Weg zu einem möglichst selbständigen und eigenverantwort- lichen Leben ist für junge Erwachsene, die auf Unterstützung ange- wiesen sind, anders und vor allem mühsamer. Mit einer Behinderung zu leben und sich zu entwickeln – ganz gleich, ob diese körperlich, geistig oder seelisch ist –, bedeutet häufig, dass man sich in einem System engmaschiger Kontrolle befindet: Medizinische Indikationen und therapeutische Maßnahmen bestimmen den Alltag. Das Leben in der Familie ist geprägt davon, dass Abläufe möglichst pragmatisch und effizient geregelt werden. Behinderungen binden Zeit und Kraft aller Beteiligten, wenn es um pflegerische Unterstützung oder das Erlernen neuer Techniken zur Kompensation von Behinderungen geht. Der Fokus liegt auf der Bewältigung der Behinderung. Die Persönlichkeit des Kindes in seiner individuellen Entwicklung rückt in den Hintergrund. In diesem Zeitkorridor bleibt für diese Kinder kaum Freiraum zur indivi- duellen Subjektwerdung. Eltern, Lehrkräften und Therapeutinnen bzw. Therapeuten fehlen Ressourcen und mitunter die Geduld, denn Artiku- lation und das Erfahren von Selbstwirksamkeit der Heranwachsenden müssen in dieser Phase ausgehalten werden. Vor diesem Hintergrund werden den Kindern die allermeisten Entscheidungen abgenommen. „Ich bin vor allem jung!“ Wie sollen diese Kinder dann aber ihre eigenen Interessen erkennen und ihre Wünsche artikulieren? Wie sollen sie Freiräume für sich rekla- mieren, schaffen und besetzen – wie ihren Platz in der Gesellschaft finden? Erziehungsberechtigten, pädagogisch und therapeutisch tätigen Bezugspersonen ist oft nicht bewusst, dass das Kind neben den di- agnostizierten „Defiziten“ die normalen Entwicklungsschritte eines Welches Verständnis von Aufwachsen liegt dem zugrunde? Es war aus Sicht meiner Eltern immer wichtig, dass ich die ganze Welt kennenlernen, reisen und Menschen aus verschiedenen Kulturen treffen sollte. Andersherum stand die Tür bei uns immer allen offen. Natürlich war meinen Eltern schon wichtig, dass ich gute Noten in der Schule habe. Das Erlernen von Sprachen war zentral, weil man sich so die Welt besser erschließen kann. Was hat Dich noch beim Erwachsenwerden beeinflusst? Für mich war mein Ehrenamt wichtig; mit 13 Jahren habe ich damit angefangen. Eigene Räume erobern, Menschen im gleichen Alter treffen und mit ihnen zusammenarbeiten – aber auch scheitern und weitermachen – das sind bereichernde Erfahrungen. Wie hast Du einen Wertekanon für Dich entdeckt und zur Lebens- grundlage entwickelt? Das Elternhaus spielte eine zentrale Rolle. Auch Freunde meiner Eltern und eigene Freunde, die diese Werte vorgelebt haben. Mein frühes Engagement in der kirchlichen Jugendarbeit beim BDKJ kam noch hinzu: Liebe und Familie, Freundschaften und die Freiheit zur Selbstverwirklichung. Wäre man eher erwachsen, wenn man früher wählen dürfte? Das Wahlalter hat nichts mit Erwachsensein zu tun. Junge Menschen sollen mitbestimmen können, weil sie auch Teil der Gesellschaft sind. In jedem Fall wäre ich dagegen, mit dem Wahlalter auch das Alter der Volljährigkeit abzusenken. Kinder und Jugendliche brauchen diesen Schutzraum, um sich ausprobieren zu können. Was erwartet die heute 10- bis 12-Jährigen in punkto Erwachsen- werden bzw. Erwachsensein? Ich bin froh, dass wir gerade erleben, wie sich Kinder und Jugendliche über ihre Zukunft Gedanken machen und dafür demonstrieren. Ich glaube schon, dass diese Generation sich genau überlegen wird, ob sie nach dem Abi mal eben nach Australien fliegt oder sich ein Auto kauft. Die heranwachsende Generation muss und wird ihr Handeln noch viel stärker als bislang selbst reflektieren. Aber auch das ist ein Zeichen von Erwachsensein. Interview: Marko Junghänel Jugendliche mit Behinderung erleben das Erwachsenwerden in wei- ten Teilen wie ihre Altersgenossen ohne Beeinträchtigung – Unter- schiede gibt es dennoch. Was gehört für dich zum Erwachsensein? Erwachsene machen keinen Unsinn. Sie müssen keine Hausaufgaben machen und gehen nicht in die Schule. Mädchen, 7 Bild: Gordon Johnson, Pixabay.com
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