K3 No. 5 - September 2019

Dachzeile 30 das kommt | 05 | 2019 Entwicklungsaufgaben Schwerpunk Deshalb plädiere ich für mehr Chancen, Räume und Gelegenheiten, in denen Jugendliche sich selbst überlassen bleiben, nicht überwacht und pädagogisch betreut werden. Man darf dabei allerdings nicht vergessen, dass es junge Menschen gibt, die kein behütetes Zuhause haben, wo sich jemand um sie sorgt. Maria Montessori beschreibt als eine Bedingung für ein gedeihliches Aufwachsen, dass es viel Raum geben müsse, eigene Erfahrungen zu machen. Sie stellt auch fest, dass Langeweile eine Voraussetzung dafür ist, Kreativität zu entwickeln. Deshalb plädiere ich dafür, den Gruppen der Peers ihre unbeobach- teten Räume zu gewähren. Das kann eine Jugendgruppe sein, die zwar die Möglichkeit hat, sich Unterstützung zu holen, diese aber nicht aufgedrängt bekommt. Eine Gruppe, die ihre Fahrt oder ihr Zeltlager organisiert, ohne dass jemand aufpasst, ob der Kochplatz den Hygie- nevorschriften entspricht … Unpädagogisierte Räume sind aber nicht zwangsläufig Räume, in denen keine Erwachsenen zu finden sind. Unpädagogisierte Räume sind Orte und Gelegenheiten, in denen sich Menschen bewegen, die weder Auftrag noch Absicht haben, Kinder und Jugendliche zu erziehen, zu beschützen, auf etwas hinzuweisen oder ihnen etwas beizubringen. Gibt es diese Räume? Schaffen wir sie! Prof. Dr. Bernhard Lemaire, Kath. Stiftungshochschule München Was gehört zum Erwachsenwerden/Erwachsensein Drei Generationen – eine Frage Wie war das Erwachsenwerden zu deiner Zeit? Die K3-Redaktion hat Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Jahrgänge befragt, wie aus ihnen werden konnte, was aus ihnen wurde. Was hat dazu beigetragen, den Prozess des Erwachsenwerdens zu fördern und zu begleiten. Vieles ist ähnlich – es gibt aber auch Unterschiede … Wolfgang Berg, Jahrgang 1949: „Mit knapp 20 Jahren war ich plötzlich Akteur!“ Was wollten damals Deine Eltern, dass Du tust bzw. was Du werden sollst? Es gab bei uns kein Programm zur Erziehung und nur wenige Regeln für das Erwachsenwerden; eigentlich nur Kleinigkeiten, wie „vor dem Essen werden die Hände gewaschen“. Was die berufliche Orientierung anging, so stand die Verwandtschaft schon mal Modell: Ein Onkel war Banker – mein Bruder ging deshalb auch in diese Richtung. Bei mir war es eher der Zeitgeist, durch einen Lehrer verkörpert. Der Aufbruch der 1960er Jahre, der Slogan von „Mehr Demokratie wagen“ und ähnliches. Also studierte ich auf das Lehramt für Deutsch und Sozialkunde. Mich haben meine Eltern eigentlich immer machen lassen. Man kann durchaus von Liberalität sprechen, die bis zu laissez faire reichte. Jedenfalls war es nicht Erziehungs- und Lebensziel, möglichst viel Geld zu verdienen. Wie bist Du mit diesen Freiheiten umgegangen? Die Familie war ein sicherer Ort für mich. Mit den Jahren kam die Welt der Jugendgruppe und die der Schulkameraden dazu. Ich erinnere mich, dass sich Ende der 1950er Jahre jugendliches Leben in der Clique auf den Hinterhöfen abspielte. Als ich etwa zehn Jahre alt war, ging es mit der Jugendgruppe in der Pfarrei los. Das bedeutete Freiheit, Selbstbestimmung und Ablösung von der Familie. Was brauchte es noch, damit Du Deinen Weg zum Erwachsensein finden und gehen konntest? Ich bin als Achtjähriger oft auf Baustellen gegangen, um die Arbeiter zu beobachten. Ich durfte für sie dann häufig Bier holen gehen und habe damit ein wenig Taschengeld verdient. Diese kleinen Freiheiten haben mich geprägt. Später kam die Freiheit der Jugendgruppe dazu. Wann hast Du für Dich selbst gemerkt, dass Du erwachsen bist? Das war tatsächlich der Moment des Erlebens von Selbstwirksamkeit. Als ich Zeltlager und Gruppenleiterkurse organisieren konnte und gemerkt habe, dass ich damit Menschen bewegen kann, hatte ich das Gefühl, dass ich kein Kind mehr bin. Die späten 1960er Jahre waren politisch bewegte Zeiten – da wurde ich plötzlich Akteur. Waren Kindheit und Jugend früher besser oder leichter? Heute können sich Kinder und Jugendliche in vielfältiger Weise ausprobieren, reisen, tolle Berufe wählen. Gleichzeitig ist die Welt komplexer geworden. Das macht die Orientierung für die Heranwach- senden schwer. Ich empfand meine Jugend als „gemütlicher“ – ganz ohne Konsumzwang. Und der Umgang untereinander war nicht so roh und unverschämt, wie ich ihn heute mit vielen Beleidigungen und Herabsetzungen erlebe. Familie ist also die Grundvoraussetzung für ein gelingendes Er- wachsensein? Aus der Erfahrung und Resilienz-Forschung weiß man, dass es auch Kinder, die unter schwierigen Bedingungen aufwachsen, schaffen kön- nen. Neben der Familie ist die Clique wichtig. Und die Kraft, die in den Kindern und Jugendlichen selbst steckt, darf man nicht unterschätzen. Interview: Marko Junghänel Was gehört für dich zum Erwachsensein? Erwachsene sind schlauer. Junge, 7 Wolfgang Berg war von 1976 bis 1981 Vorsitzender des KJR

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjk2NDUy