K3 No. 4 - Juli 2019

| 04 | 2019 27 Aufwachsen unter Druck Schwerpunkt Always on – ein Teufelskreis, der oft genug zu extremen Stresssituationen führt. und emotionaler Druck bei den Orientierungssuchenden können die Folge sein. Für sie können die Aktivitäten von Online-Stars und auch die von Freunden bzw. Freundinnen erstrebenswerter als die eigenen erscheinen. Gemeinsam mit dem Bedürfnis, permanent über die Akti- vitäten anderer Bescheid zu wissen, nennt sich dieses Phänomen fear of missing out (englisch: Angst, etwas zu verpassen = FOMO). Nahezu ein Fünftel der 12- bis 19-Jährigen, die ein Handy bzw. Smartphone besitzen, hat Angst, etwas zu verpassen, wenn das Mobiltelefon nicht eingeschaltet ist (Feierabend et al. 2016). Durch eine hohe Frequenz automatisierter Benachrichtigungen in Social Media-Angeboten kann sich FOMO im Zusammenspiel mit sozialem Druck verstärken. Anderer- seits bietet Social Media Heranwachsenden die Möglichkeit, sich an der Peergroup zu orientieren und Anschluss an die Aktivitäten anderer zu finden. Mit offenen Augen durchs Netz Über soziale Netzwerkdienste finden Challenges (deutsch: Heraus- forderungen, Mutproben) weite Verbreitung. Challenges können von harmlos und prosozial bis hin zu gesundheitsgefährdend ein breites Spektrum annehmen. Laut Jugendmedienschutzindex geben neun Pro- zent der 9- bis 16-Jährigen an, dass sie sich online bereits zu riskantem Verhalten (beispielsweise Drogen-, Alkoholkonsum oder Selbstverlet- zung) anstiften ließen (Brüggen et al. 2017). Die Attraktivität von Challenges lässt sich mitunter dadurch erklären, dass es darum geht, Grenzen auszutesten, Gleichgesinnte zu finden und Aufmerksamkeit zu erhalten – klassische Entwicklungsaufgaben. Insbesondere physische Verletzungsgefahren werden als Folge diskutiert, bis hin zu Suizid. Eine dieser suizidalen Challenges war die Momo-Challenge. Sie begann als Kettenbrief, der via Social Media-Messenger verbreitet wurde und unter Drohungen Heranwachsende zu (bis zu tödlichen) Handlungen aufforderte. Bestärkung durch Peers suchen Jugendliche auch mithilfe potenziell gefährdender Verhaltensweisen. Sie tauschen sich über Selbstmord, selbstverletzendes Verhalten (Ritzen) und Pro-Ana/Pro-Mia (Ess- störungen) in sozialen Netzwerkdiensten aus. Bei Befragungen im Schulkontext gaben 25 bis 35 Prozent an, sich irgendwann einmal in ihrem Leben absichtlich selbst verletzt zu haben; zwölf Prozent gaben an, dies wiederholt getan zu haben (Brown/Plener 2018). Die Dynamiken in diesen spezifischen Foren können präventiv, aber auch animierend wirken. In den Gruppen kann der Druck bestehen, sich gemeinsam dem selbstschädigenden Verhalten zu verschreiben und keine Hilfe von außen anzunehmen, aber eben auch gemeinsam die Krankheit bzw. schwere Zeit zu überwinden. Fest steht: Medien sind nicht einseitig als Chance oder Gefährdung anzusehen. Durch sie herrscht Druck auf Kindern und Jugendlichen, gleichzeitig bieten Medien aber auch Potenzial für Entwicklungen. Sina Stecher, JFF – Institut für Medienpädagogik Literaturverzeichnis n Brown, Rebecca C./Plener, Paul L. (2018). #Ritzen - Selbstver- letzung bei Instagram. Kurzzusammenfassung. In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis, 63 (1), S. 8. n Brüggen, Niels/Dreyer, Stephan/Drosselmeier, Marius/Gebel, Christa/Hasebrink, Uwe/Rechlitz, Marcel (2017). Jugendme- dienschutzindex: Der Umgang mit onlinebezogenen Risiken. Ergebnisse der Befragung von Heranwachsenden und Eltern. Berlin/Hamburg/München. www.fsm.de/sites/default/files/ FSM_Jugendmedienschutzindex.pdf [Zugriff: 20.11.2018]. n Feierabend, Sabine/Plankenhorn, Theresa/Rathgeb, Thomas (2016). JIM-Studie 2016. Jugend, Information, (Multi-)Me- dia. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart. www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/ JIM/2016/JIM_Studie_2016.pdf [Zugriff: 21.08.2018]. n Feierabend, Sabine/Rathgeb, Thomas/Reutter, Theresa (2018). JIM-Studie 2018. Jugend, Information, Medien. www.mpfs.de/ fileadmin/files/Studien/JIM/2018/Studie/JIM_2018_Gesamt. pdf [Zugriff: 14.12.2018]. n Lazarus, Richard S./Folkman, Susan (1986). Cognitive Theories of Stress and the Issue of Circularity. In: Appley, Mortimer H./ Trumbull, Richard (Hrsg.). Dynamics of Stress. Physiological, Psychological and Social Perspectives. Boston, MA: Springer Verlag, S. 63–80. Foto: T homas Ulrich, Pixabay

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