K3 No. 3 - Juni 2019
| 03 | 2019 29 Vielfalt Schwerpunkt Warum geschlechtsspezifische Arbeit notwendig ist Freie und geschützte Räume in die stereotypen Geschlechterrollen zu beobachten und macht die geschlechterspezifische und -sensible Arbeit wichtiger denn je. Identitätsfindung ohne Leitplanken Um die erreichten Ziele der Gleichstellung zu erhalten und sie weiter voranzubringen, müssen Kinder und Jugendliche nach wie vor ermutigt und in ihren Entwicklungsspielräumen und Handlungsmöglichkeiten unterstützt werden. Sie sollen die Möglichkeit haben, sich bei einem* bzw. einer* gleichgeschlechtlichen Fachkraft Rat zu holen – zur Bei- hilfe bei der Identitätsfindung und einer gelungenen und gesunden physischen wie psychischen Entwicklung. Kinder und Jugendliche – Mädchen* wie Jungs* – sollen nicht durch Geschlechterstereotype und entsprechend starre Geschlechter rollen eingeengt werden. Die Kinder- und Jugendhilfe bietet ihnen die Möglichkeit, Alternativen kennenzulernen und möglicherweise zu internalisieren. Niemand soll seines Geschlechtes beraubt werden, es soll vielmehr vermieden werden, dass aufgrund einer geschlechtlichen Geburtsklassifikation nur eine Rolle zur Verfügung steht. Wir sind froh, dass die Kinder und Jugendlichen, die unsere Ein- richtungen besuchen, genau diese Möglichkeiten erhalten. Mit der gesetzlichen Neuregelung zur dritten Option und der Öffnung hin zur Gleichstellung aller Geschlechterformen oder Geschlechterzugehö- rigkeiten ist die binäre Geschlechterdefinition endlich Geschichte. Zumindest offiziell. Natürlich ist eine gesellschaftliche Sensibilisierung ins Rollen gekommen; aber auch hier ist der Weg zur Gleichstellung noch weit und stellt eine weitere (neue?) Herausforderung für die geschlechtsspezifische Arbeit dar. Durch eine stetige fachliche Aus- einandersetzung öffnen wir uns auch Menschen mit keiner eindeutigen Geschlechterzugehörigkeit und können auf deren Belange genauso eingehen, wie wir es mit Mädchen* und Jungen* schon lange tun. Bettina von Hoyningen-Huene, Beauftragte für Mädchen* und junge Frauen* und LGBTIQ, KJR Auf die Bedürfnisse von Mädchen eingehen können – das ist oft nur in geschlechtshomogenen Gruppen der Jugendarbeit möglich In den 1970er Jahren entwickelte sich die feministische Mäd- chen*arbeit aus der Frauenbewegung und war sehr politisch. Es ging darum, die festgefahrenen Geschlechterrollen aufzubrechen, die gleichen Rechte für alle voranzubringen. Sie musste sich Räume schwer erkämpfen und es galt, Gesetze zu verändern bzw. zu verankern. Erfreulicherweise gab es im Laufe der Zeit große Erfolge und die Hürden erscheinen nun nicht mehr ganz so groß. Diese Kämpfe bildeten außerdem den Grundstein für die geschlechts- spezifische Arbeit in der Pädagogik. Die geschlechtsspezifische, -sensible und -homogene Pädagogik, Crosswork und Koedukation sind mittlerweile selbstverständlich in der Jugendhilfe geworden. Sie sind gesetzlich verankert im Kinder- und Jugendhilfegesetz §9 Abs. 3, in den Leitlinien des Stadtjugendamts München sowie in den Leitlinien und Arbeitshilfen des KJR. Es gibt explizite Angebote für Mädchen* und Jungen*, die Fachkräfte sind geschult und sensibilisiert. Dennoch sind Mädchen*angebote häufig Inselangebote und die Kolleginnen* sind gefordert, die Mädchen* für die Offene Kinder- und Jugendarbeit zu begeistern und zu halten. Jungen* kommen zwar häufiger in die offenen Treffs, dennoch sollen sie ihre eigenen Schutzräume, Angebote und geschlechtshomogenen Bezugspersonen bekommen und rechtfertigen damit ebenso eine Notwendigkeit von geschlechtsspezifischer Arbeit. Darüber hinaus sind wir über alle gesetzlichen Regelungen und Sensibilisierungen hinweg noch weit entfernt von der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter. Patriarchale Strukturen sind allge- genwärtig, die Gehälter sind nicht angeglichen, Väter* in Elternzeit gelten als besonders, Mütter* arbeiten in Teilzeit und landen in der Altersarmut, Mädchen* müssen mit Puppen spielen und Jungs* dür- fen keine Gefühle zeigen. Die Liste ist lang. Natürlich gibt es auch positive Veränderungen. Dennoch ist ein Backlash (Rückentwicklung) Zehn Jahre UN-Behindertenrechtskonvention Viel erreicht, viel zu tun Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN BRK) enthält spezi- elle, auf die individuellen Lebenssituationen von Menschen mit Einschränkungen abgestimmte Regelungen und unterstreicht die Gültigkeit der Menschenrechte auch für diese Bevölkerungsgruppe. Am 13. Dezember 2006 wurde das Dokument von der Generalver- sammlung der Vereinten Nationen ratifiziert. Zweieinhalb Jahre spä- ter, am 26. Mai 2009, trat die UN BRK auch in Deutschland in Kraft. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist es keine Frage mehr ob, sondern wie Inklusion in der Praxis umgesetzt wird. Vor wenigen Wochen jährte sich die Ratifizierung Deutschlands zum zehnten Mal. Nun wird Bilanz gezogen. Wie steht es um die Entwicklungen hin zu einer inklusiven Gesellschaft? Eine repräsentative Studie von Aktion Mensch, infas (Institut für angewandte Sozialwissenschaft) und „Die Zeit“ befasst sich aktuell mit dem Thema schulische Inklusion. Für die Umfrage wurden Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) ausgewertet. Hier wurden zwischen 2009 und 2016 insgesamt 11.755 Schülerinnen und Schüler befragt. Darüber hinaus wurde im Februar 2019 eine bevölkerungsrepräsentative Stichprobe von rund 1.500 Erwachsenen erstellt und nach ihrer Haltung zur Inklusion und deren Folgen befragt. Foto: DBJR, DVD „Blickwinkel“, dieprojektoren agentur für gestaltung und präsentation
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