K3 No. 3 - Juni 2019

Dachzeile 22 das kommt | 03 | 2019 Vielfalt Schwerpunk Vielfalt im KJR – Zielgruppenarbeit, die alle einbezieht Das ganze Spektrum Jugendarbeit – im Verband, in der Freizeiteinrichtung oder im Ju- gendring – so bunt und vielfältig wie das Leben selbst. „Wir vertreten die Interessen aller jungen Menschen in unserer Stadt“ 1 . Die Einrichtungen und Projekte des Kreisjugendring München-Stadt stehen allen jungen Menschen in München offen. Wer aber sind „alle jungen Menschen“? Wie können wir die Interessen aller vertreten, mit unserer Arbeit alle erreichen? Welche allgemeingül- tige Aussage kann man über sie treffen? Womit sind sie alle gleicherma- ßen beschrieben? Vielleicht genau damit: Diese „alle jungen Menschen“ sind keine homogene Gruppe: sie sind im Alter sehr unterschiedlich. Die Jüngsten in unseren Krippen sind noch kein Jahr alt, die Ältesten in unseren Projekten sind bereits erwachsen. Bis 27 Jahre gehören alle jungen Menschen zur Zielgruppe des KJR. Die 12-Jährigen haben aber andere Ansprüche in einem Jugendzentrum als die 18-Jährigen. Die Bedarfe der Einjährigen in einer Kita unterscheiden sich deutlich von denjenigen der Neunjährigen. Manche Besucher*innen oder Teilnehmer*innen haben eine körper- liche, geistige oder seelische Beeinträchtigung. Sie haben individuelle Bedarfe, um eine Freizeitstätte oder eine Kita besuchen, ein Ferien- angebot wahrnehmen oder in einem Projekt mitwirken zu können. Um ihnen gerecht zu werden, geht es um die Frage baulicher Barrierefreiheit ebenso wie um die Haltung im Team oder in der Zielgruppe. Die meisten jungen Menschen identifizieren sich mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht als Mädchen oder Junge. Einige mer- ken aber, dass diese Zuweisung für sie nicht passt, andere lehnen die Einordnung in Geschlechtskategorien grundsätzlich für sich ab. Viele junge Menschen fühlen nicht die Notwendigkeit, die eigene sexuelle Identität zu hinterfragen, weil sie der gesellschaftlich konstruierten heterosexuellen Norm entsprechen. Bi- oder homosexuelle junge Menschen treffen dagegen immer noch auf Vorurteile, Ausgrenzungen und Unverständnis. Wir kommen alle irgendwo her Die Herkunft der jungen Menschen ist ganz unterschiedlich: einige kommen aus einem religiös geprägten Elternhaus und/oder bezeich- nen sich selbst als religiös. Dabei kann Religiosität unterschiedliche Facetten aufweisen, sowohl was die Religion, der man sich zugehörig fühlt, angeht, als auch die Intensität, mit der man sie ausübt. Viele junge Menschen betrifft irgendeine Form von Migrationshinter- grund in der Familie. Diese Formen sind ebenfalls vielfältig: da sind die jungen Geflüchteten, die allein oder mit ihrer Familie in den letzten drei Jahren nach München gekommen sind, ebenso wie die Kinder und Jugendlichen, deren Eltern oder Großeltern als Geflüchtete vor Jahr- zehnten in München angekommen sind. Einen Migrationshintergrund haben auch die Kinder, deren hochqualifizierte Eltern aus Frankreich, den USA oder Indien von internationalen Konzernen alle paar Jahre zum Arbeiten in ein anderes Land geschickt werden, ebenso wie diejenigen, deren Eltern Arbeitslosigkeit und Not in ihrem südosteuropäischen Heimatland hinter sich gelassen haben und auf ein bessere Leben für ihre Familien in München hoffen. Einige Kinder und Jugendliche wachsen in einem sogenannten benachteiligten Stadtviertel oder Milieu auf. Vielfach entscheidet bis heute nicht ihr eigenes Können über ihren Bildungsweg, sondern ihre Wohnadresse oder die Tatsache, dass die Familie auf staatliche Unterstützung angewiesen ist oder dass den Eltern Kultur und Regeln innerhalb des bayerischen Schulsystems fremd sind. Bei allen Mädchen* und Jungen*, Frauen* und Männern* ver- schränken sich diese unterschiedlichen Merkmale und führen zu ganz individuellen Bedarfen und Anforderungen, zu je eigenen Diskrimi- nierungs- oder Bevorzugungserfahrungen, die für jede Person je nach aktueller Situation sehr unterschiedlich sein können. Die amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw prägte für diese Erfahrungen den Begriff der Intersektionalität 2 . Was bedeutet dies für die Arbeit des KJR? Laufen wir, wenn wir von „alle“ sprechen, nicht Gefahr, das Individuum zu übersehen und Ste- reotype zu festigen: nach dem Motto: „Jungs sind eben so.“? Der KJR bekennt sich aus diesem Grund zur Pädagogik der Vielfalt 3 , die die Bedarfe, Stärken und Kompetenzen jedes und jeder Einzelnen in den Blick nimmt, und hat bei der Überarbeitung der pädagogischen Leitlinien 2016 die Leitlinie „Chancengleichheit und persönliche Entwicklung“ verabschiedet. Diese Leitlinie nimmt die Vision des KJR „Vielfalt ist unsere Stärke“ auf und zeigt, wie durch konsequentes Eingehen auf die vielfältigen Voraussetzungen und Bedarfe der Kinder und Jugendlichen eine Pädagogik für alle entsteht. Um die Vielfalt der Zielgruppen des KJR darzustellen und zu ver- deutlichen, dass beispielsweise Mädchen*arbeit nicht singulär als Mädchen*arbeit wichtig und notwendig ist, sondern immer in Verbin- dung mit den anderen zielgruppenspezifischen Arbeitsfeldern gesehen werden muss, finden sich alle Fachstellen des KJR, die eine bestimmte Zielgruppe im Blick haben, unter dem Dach von „Vielfalt im KJR“ zusammen. Damit soll die immer schon bestehende zielgruppen- und referats- bzw. abteilungsübergreifende Zusammenarbeit intern und extern dargestellt werden. Das neue Logo – miteinander verbundene Puzzleteile als Einheit bzw. einzelne Teile für einen konkreten Ziel- gruppenbezug – zeigt, dass die unterschiedlichen Bedarfe und Anliegen unserer Zielgruppen untereinander in Beziehung stehen und dabei zusammengenommen ein Ganzes ergeben. Dr. Manuela Sauer, Grundsatzreferentin, KJR 1 Aus der Vision des KJR 2 Bei Intersektionalität fragt man, in welcher Weise Ungleichheiten und gesellschaftliche Differenzierungen (etwa nach Klasse, Geschlecht, Ethnie, aber auch nach Alter, sexueller Orientierungen) in Wechsel- beziehung zueinander stehen und wie sich Merkmale aufgrund ihrer Überkreuzungen gegenseitig abschwächen oder verstärken können. 3 Annedore Prengel: Pädagogik der Vielfalt, Opladen, 2006 Foto: Gisela Peter, pixelio.de

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