K3 No. 3 - Juni 2019
10 das kommt | 03 | 2019 das war Projekt „Knigge – voll daneben?“ Die Idee zu dem Projekt drängte sich auf, nachdem uns ein Besucher von seinem ver- zweifelten Versuch, seine Traumfrau beim ersten Date von seinen Vorzügen als Gentle- man zu überzeugen, berichtete. Seine ursprüngliche Idee, die Angebetete mit einer Tiefkühlpizza zu verwöhnen, schlug aufgrund der nicht vorhandenen eigenen Kü- che fehl. Die Alternative – der Besuch einer Bowlingbahn – scheiterte daran, dass diese geschlossen war. In seiner Verzweiflung rief er nun einen Freund an, „der so romantisches Zeug weiß“ und dieser riet ihm, mit der Herzensdame einen Spaziergang im Park zu machen. Ein sehr guter Rat, wie wir fanden: Man läuft nebeneinander her, ohne sich di- rekt anschauen zu müssen, man erfährt viel voneinander und so ganz nebenbei ist die ein oder andere Berührung wie zufällig möglich. Doch wie großartig hätte dieses erste Date werden können, wenn der Spaziergang an einem schönen Platz geendet hätte, auf dem man sich niederlassen, einen Picknickkorb mit leckeren Kleinigkeiten auspacken und sich bei einem Glas Prosecco oder Tee in die Augen schauen könnte. Liebesgedichte und Tisch-Dekoration Um die romantischen Kompetenzen un- serer Besucher*innen etwas „aufzupolieren“ und ihnen ein kleines Repertoire von Mög- lichkeiten an die Hand zu geben, schrieben wir eine „Knigge-Woche“ aus, in der es ver- schiedene Disziplinen zu durchlaufen galt, die bisher nicht zum Lebensalltag unserer Jugendlichen zählten. Zunächst gab es einige Liebesgedichte von Goethe bis Heine zur Auswahl, die mit angemessener Leidenschaft rezitiert werden mussten. Es war regelrecht berührend, wie gefühlvoll der Vortrag einiger war, nachdem sie sich durch „die fremde Sprache“ gekämpft hatten. Ein Junge zum Beispiel, der als Le- gastheniker bisher im Bereich Deutsch keine Lorbeeren ernten konnte, tat sich dabei besonders hervor. Die Disziplin des Krawatten-Bindens for- derte den Jugendlichen eher feinmotorische Fertigkeiten ab. Begleitet von jeder Menge Gelächter und dem ein oder anderen Fluch, führten auch Fehlversuche irgendwann zu zufriedenstellenden Ergebnissen. Als es darum ging, einen festlichen Tisch zu decken, offenbarten sich Eifer und außer- gewöhnliche Ausdauer. Gedecke, Servietten und Dekoration wurden immer wieder ein paar Zentimeter verrückt, bis alles passend schien – ganz neue Züge der Jugendlichen, von denen wir bisher nichts wussten. Picknick beim ersten Date Sehr gut aufgenommen wurde das Bestü- cken eines Picknickkorbes, für das eine große Auswahl an Lebensmitteln, Getränken und Speisen in Form von laminierten Ausdrucken zur Verfügung stand. Hier konnten die Ju- gendlichen „aus dem Vollen schöpfen“ und niemand gab sich mit Burgern, Fritten und Cola zufrieden, was auch möglich gewesen wäre. Im Gegenteil: oft wurden kleine Blu- mensträußchen dazugelegt und die Serviet- ten nicht vergessen. Eine weitere Disziplin war das Basteln und Schreiben einer Einladungskarte zum ersten Date, die allerdings aufgrund von Zeitmangel nicht von allen Teilnehmenden fertiggestellt wurde. Nebenbei konnten Mädchen und Jungen auf großen Sperrholz- figuren ihre Kommentare zur Frage „Welche Eigenschaften machen die Liebsten liebens- wert?“ abgeben. Unsere vorangegangenen Zweifel, ob sich die Jugendlichen überhaupt auf ein so merkwürdiges Angebot einlassen würden, erwiesen sich als völlig unnötig und als Resümee dieser Projektwoche können wir wirklich sehr zufrieden sagen: „Ladies and Gentlemen, thank you very much – this was great fun!“. Sieglinde Felixberger, Jugendtreff AKKU, KJR Romantik lernen 2.0 Romantik steht heutzutage nicht mehr ganz so hoch im Kurs und scheint vielen Jugendlichen eher ein Rätsel zu sein. Um bei der Auflösung des Rätsels zu helfen, riefen die pädagogischen Fachkräfte des Jugendtreff AKKU ein Projekt rund um die Themen Liebe, Leidenschaft und Manieren ins Leben – mit überraschenden Ergebnissen Das Krawatte-Binden muss noch geübt werden Foto: Susanne Spanier
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjk2NDUy