K3 No. 1 - Februar 2019

Dachzeile 24 das kommt | 01 | 2019 Sexualisierung d r Gesellschaft Schwerpunk Kann man das an einem Alter festmachen, wann es problematisch ist? Bernhard: Es gibt durchaus 7-jährige Kinder, mit denen man über philosophische Themen oder Sexualität sprechen kann. Ich kenne andererseits 17-Jährige, mit denen das nicht gelingt. Wieder eine Frage des Settings des Heranwachsens. Isabel: Spätestens in der Pubertät befassen sich Jugendliche mit sich selbst. Dann ist es wichtig, dass jemand für sie da ist. Der Wunsch, über Sexualität zu sprechen, ist groß. Dieser Wunsch wird aber im Alltag kaum noch erfüllt. Man könnte sagen, dass das Internet diese Aufgabe übernimmt. Doch dort sind nur Kunstprodukte zu sehen – keine echten Diskussionen, die die Kinder und Jugendlichen weiterbringen. Das Informationsdefizit ist größer, als wir Erwachsene das vermuten. Wie befasst sich Pädagogik mit diesem Thema? Bernhard: Die Positionen sind vielfältig. Manche sagen, man solle es laufen lassen, wenn in der Rap-Musik sexistische Texte auftauchen. Andere sagen, dass man den Jugendlichen zeigen muss, dass damit eine Grenze überschritten wird. Es gibt eine dritte Gruppe, die einfach alles verbietet, was sexistischen Inhalt hat. Ich denke jedoch, dass sich Pädagogik mit diesen Haltungen auseinandersetzen muss. Isabel: Jugendkultur ist ein Spannungsfeld, das wir aushalten müssen. Rap ist nun mal Teil der Jugendkultur – inklusive einer expliziten Sprache. Es zählt aber nicht allein die Sprache, sondern die Haltung der Künstlerinnen und Künstler. Die muss man sich genau anschauen. Verbote helfen wenig. Wie stehen die Künstlerinnen und Künstler selbst zu ihren Texten? Isabel: Es gibt solche, die auf entsprechende Kritik reagieren, wenn ihnen Sexismus vorgeworfen wird. Künstlerinnen und Künstler schaffen ein Werk, mit dem sie ausdrücken wollen, wie es ihnen ergeht und was sie erleben. Man muss also hinter die Fassade des einzelnen Künstlers bzw. der Künstlerin schauen. Bernhard: Hier spielt das Stichwort Medienkompetenz eine Rolle. Man kann nicht immer erfahren, was gemeint war und welcher Hintergrund zu welchem Text geführt hat. Wir haben es eher mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun. Künstlerinnen und Künstler bedienen mit sexistischen Texten einen Markt. Der Pädagogik kommt die Aufgabe zu, Reproduktion von Gewalt und Sexismus – gleich in welcher Form – zu verhindern. Hieran muss aber die gesamte Gesellschaft beteiligt sein. Isabel: Kunst ist ein Spiegel der Gesellschaft – in dem Fall einer Gesellschaft, die zunehmend verroht. Wir leben in einer tabulosen Gesellschaft, die uns viele Freiheiten garantiert. Tabulos darf aber nicht grenzenlos heißen. Das beginnt in der Alltagssprache oder man sieht es beim Umgang untereinander bei Demonstrationen. Wir Erwachsene müssen uns also nicht wundern, wenn Jugendliche sich diese Verrohung der Sprache aneignen. Was tun? Isabel: Beim „OBEN OHNE 2018“ trat das Rap-Duo SXTN auf. Sie sind ein Beispiel dafür, dass man sich genauer ansehen muss, mit wem man es zu tun hat. Die beiden Frauen haben jedenfalls eine Haltung. Sie verwenden diese Texte, weil sie Sexismus und Benachteiligung hautnah erlebt haben und sich damit eine Schutzhülle schaffen. Bernhard: Ich bin mir nicht sicher, ob diese emanzipatorische Absicht beim Publikum ankommt. Die Texte sind sexistisch und ambivalent, weil sie in der Situation des Konzerts unkommentiert bleiben. Wie haben in dem konkreten Fall die Besucherinnen und Besucher des Konzerts reagiert? Isabel: Kolleginnen und Kollegen sagten mir, dass sie im Gegenteil die Stimmung als viel entspannter wahrgenommen hatten als sonst. Ich finde es übrigens merkwürdig, wenn weiße Europäerinnen und Europäer farbigen Menschen verbieten, das Wort „Nigger“ zu verwenden. Das ist eine neue Form des Kolonialismus. Ähnlich sehe ich das auch bei der Band SXTN. Wir können ihnen nicht vorschreiben, was sie texten sollen – zumal, wenn diese Texte ein politisches Statement gegen Sexismus, Homophobie und Rassismus sind. Sie verwenden bestimmte Wörter selbst, damit sie ihnen nicht mehr wehtun, wie sie sagen. Kunst bleibt also ein Impuls für Pädagogik? Bernhard: Es ist in Ordnung, wenn Kultur Diskussionen auslöst. Persönlich bin ich ambivalent im konkreten Einzelfall. Jugendkultur ist eigen – das müssen wir respektieren. Aber wir müssen auch abwägen, welche Band wir präsentieren, da wir durchaus die Auswahl treffen. Aber es gibt unweigerlich Situationen, wo man bei Grenzüberschreitungen pädagogisch intervenieren muss. Interview: Marko Junghänel Workshop (sexuelle) Gewalt im Rap Da geht was Der Jugendtreff Neuhausen wurde 2017 mit dem Zertifikat „Offen für ALLE“ ausgezeichnet. Im Rahmen dieser Zertifizierung setzte sich das Team intensiv mit dem Thema LGBTIQ auseinander. Ein immer wieder aufkommendes Thema war die von den Besucherinnen und Besuchern abgespielte Musik – insbesondere Rap. In vielen der Texte sind Sexismus, sexuelle Gewalt und Homophobie an der Tagesordnung, was sowohl innerhalb des Teams als auch mit den Jugendlichen diskutiert wurde und wird. Hieraus entstand die Idee, sich bei einem Workshop für das Team intensiver mit der Frage zu beschäftigen. Da das Thema nicht nur im Jugendtreff Neuhausen eine gewisse Brisanz aufweist, wurden auch die Kolleginnen und Kollegen der Arbeitskreise Mädchen* und junge Frauen* sowie Jungen* und junge Männer* zum Workshop eingeladen. Als Referent und Moderator konnte der Sozial-, Kunst- und Medienwissenschaftler Muriel Aichberger gewonnen werden – ein Experte für Equality, Diversity und Inklusion. Einen Vormittag lang hatten die Kolleginnen und Kollegen Zeit, sich mit einem seit Jahren polarisierenden Thema in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit auseinanderzusetzen: die jugendkulturelle Ausdrucksform des (Gangsta)Rap. Jugendliche als Expertinnen und Experten wahrnehmen Nicht erst seit Interpreten wie Kollegah und Farid Bang mit ihren teilweise menschenverachtenden und diskriminierenden Texten für die Abschaffung des Musikpreises „Echo“ sorgten, beschäftigen sich Pädagoginnen und Pädagogen des KJR mit Themen wie Gewalt, Sexismus und Homophobie im Rap. Hierbei kommen immer Fragen auf: Wie weit darf künstlerische Freiheit gehen? Wie lassen sich die Texte und deren Botschaften mit den Leitlinien des KJR und der pädagogischen Arbeit vereinbaren? Wie viel Freiraum kann Besucherinnen und Besuchern zugestanden werden, ohne den Erziehungsauftrag zu vernachlässigen? Und nicht zuletzt: Wie können die in den problematischen Texten angesprochenen Themen mit Jugendlichen adäquat bearbeitet werden? Einerseits sollen die offenen Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit Freiräume für ihre Zielgruppen darstellen, die sie gern besuchen und in denen sie ihren jugendkulturellen Ausdrucksformen nachgehen können. Andererseits sollen die Einrichtungen Schutzraum für alle Kin-

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