| 01 | 2019 23 Sexualisierung der Gesellschaft Schwerpunkt Vorgänge in welchem Zusammenhang verbalisiert werden und welche körperlichen Veränderungen zur Schau gestellt werden können, nicht immer leicht. Problematisch kann das beispielsweise dann werden, wenn ältere Jugendliche andere Kinder mit Liebeserklärungen überschütten oder deren körperliche Nähe durch Umarmungen oder Küsse suchen. Wenn Nähe missverstanden wird Die Beispiele zeigen: Gezielte und rechtzeitige Aufklärung über Fragen von Sexualität sind wichtig – für alle Kinder und Jugendlichen. Unaufgeklärte Kinder besitzen keine Sprache zu sexuellen Vorgängen. Das beschränkt ihre Möglichkeiten, sich im Falle von Bedrohung oder Missbrauch zu artikulieren und zu wehren. Problematisch ist, dass Aufklärung – vor allem bei Heranwachsenden mit Einschränkung(en) – entweder gar nicht, sehr spät oder eher mangelhaft stattfindet. Dabei kann gezielte Aufklärung gegen Ängste und Übergriffe schützen. Schätzungen zufolge sind Menschen mit Behinderung dreimal häufiger von sexuellem Missbrauch betroffen als Nichtbehinderte. Ein unklares Verhältnis von Nähe und Distanz oder durch eine Pflegesituationen geschaffene Nähe und Intimität können ein „täterfreundliches“ Umfeld erzeugen. Der Alltag von Heranwachsenden mit Einschränkung(en) wird zudem häufig fremdbestimmt, da sie auf Unterstützung angewiesen sind. Pflegepersonal sowie Bezugspersonen können aber nicht immer frei gewählt werden. Genau diese Menschen bilden häufig den sozialen Bezugsrahmen. In der Pflege kann die Unterscheidung zwischen liebevollen Berührungen, pflegerischen Tätigkeiten und sexuellen Übergriffen schwerfallen. Das wird wiederum durch mangelnde Erfahrung und Aufklärung begünstigt, vor allem wenn die übergriffige Person das Tun als normal darstellt. Zudem fällt die Zuordnung, welche Äußerungen als glaubwürdig empfunden werden, nicht immer leicht, was durch mangelnde Artikulationsmöglichkeiten begünstigt werden kann. Erfahrungen jeglicher Art prägen die Sexualität und den Umgang damit. Sexualität ist so vielfältig und facettenreich wie jedes Mitglied unserer Gesellschaft. Manche Menschen brauchen besondere Unterstützung – das Recht auf Sexualität für jeden Menschen bleibt dabei unangetastet. Wir alle sollten Kindern und Jugendlichen mit genau dieser Haltung begegnen. Lena Schreiber und Mia Rohrbach, Fachstelle für Inklusion, KJR dem „OBEN OHNE“ geben wir nur einen Rahmen vor. Aber ich habe insofern eine Verantwortung, da ich Schnittstelle zwischen Künstlern bzw. Künstlerinnen und den pädagogisch Tätigen bin. Bernhard Rutzmoser: Ich leite beim KJR einerseits die Fachstelle „Jungen*, junge Männer* und LGBTIQ“ – andererseits bin ich in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit tätig, arbeite also direkt mit Heranwachsenden. Ist (auch) Jugendkultur von Sexismus geprägt? Wenn ja – was macht das mit Jugendlichen? Isabel: In der Kunst ging es immer auch um Sexualität und Auseinandersetzung mit dem Körper. Künstlerinnen und Künstler treten an, um Fragen zu stellen, die bislang noch nicht gestellt wurden, um Diskussionen in der Gesellschaft anzustoßen. Klar ist: Frauen waren und sind dabei immer das benachteiligte Geschlecht. Da half auch ihre erwiesenermaßen kreativere Leistung nicht. Weibliche Kunst setzt sich deshalb oft explizit mit Weiblichkeit und dieser Benachteiligung auseinander. Auch mit körperlicher Gewalt. Anders gefragt – ist die Sensibilität gegenüber Sexismus in der Kultur zurückgegangen? Bernhard: Das kann ich nicht bestätigen. Viele junge Männer und Frauen reagieren sehr sensibel beim Thema Benachteiligung und geschlechtsbedingte Zuschreibung einer Identität. Sie denken intensiv über diese Rollenmodelle in unserer Gesellschaft nach. Viele sind längst über die einfache Einteilung der Welt in weiblich und männlich hinweg. Es gibt aber auch Sexismus unter Jugendlichen. Den zu bekämpfen – daran arbeitet u.a. der KJR. Was macht dies alles aber mit Kindern und Jugendlichen? Bernhard: Die Positionen werden extremer. Die einen wehren sich sehr früh gegen jede Art von Sexismus. Die anderen leben ihn als Teil einer Jugendkultur – beispielsweise in der Rap-Musik. Das wirkt wiederum unterschiedlich auf Kinder und Jugendliche und hängt stark vom sozialen Milieu ab. Ist Sexismus gar zum Stilmittel der Jugendkultur geworden? Isabel: Der Rap war immer schon männlich geprägt. Es gibt aber eine zunehmende Zahl von Frauen in der Musik, die sich gegen diese Entwicklung wehren. Meiner Erfahrung nach können das die meisten Jugendlichen einordnen und sind deshalb nicht zwangsläufig von einer moralischen Verrohung bedroht. Andere besitzen diese Fähigkeit der Reflexion nicht – hier öffnet sich das Arbeitsfeld der Pädagogik. Sexismus in der Jugendkultur zwischen Verbot und Gesprächsanlass Grenzen erkennen – Grenzen setzen Populäre Musik ist nicht frei von Sexismus, verbaler Gewalt und Rassismus. Bei Jugendlichen wird damit unter Umständen ein hoch problematisches Weltbild entworfen. Pädagogische Intervention ist deshalb sinnvoll und notwendig. Man spricht von einer sexualisierten Gesellschaft – nicht zuletzt im jugendkulturellen Bereich. Macht ihr in euren Arbeitsbereichen solche Erfahrungen? Isabel Berghofer-Thomas: Ich bin im Kreisjugendring verantwortlich für den Bereich Großveranstaltungen und kulturelle Jugendbildung und arbeite nur mittelbar mit Jugendlichen. Mit Veranstaltungen wie Anlass für Diskussionen unter pädagogisch Tätigen – sexistische Musiktexte verbieten oder als Gesprächsgelegenheit sehen? Foto: Mattäus Machuletz
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