Dachzeile 18 das kommt | 01 | 2019 Sexualisierung d r Gesellschaft Schwerpunk Wie sollten Kinder idealweise mit dem Thema Sexualität in Kontakt kommen? Es müsste viel mehr Angebote zur Aufklärung geben. Andererseits gibt es auch viel Unsinn. Wenn man versucht, die Anatomie einer Frau mit Schals und Tüchern darzustellen, ist das merkwürdig und sicher nicht zielführend. Solche Form von Aufklärung bleibt immer artifiziell. Eltern und Lehrer sind zwar Vertrauenspersonen – mit denen wollen Kinder aber nicht so gern reden, weil es ihnen unangenehm ist. Eltern und Lehrkräfte sind gleichzeitig froh, dass sie das Thema umschiffen können. Insofern ist eine neutrale Intervention von außen sehr hilfreich – für alle Beteiligten. In der bayerischen Schulordnung ist zwar Sexualkunde ein Pflichtangebot, die Lehrerinnen und Lehrer behandeln es aber dennoch oft nicht, weil entweder die Zeit zu knapp ist oder sie Angst vor dieser Situation haben. Aber wir müssen ihnen diese Angst nehmen und sie entsprechend qualifizieren. Wenn Elternhaus, Schule und externe Fachleute sich mit den Kindern zum Thema Sexualität unvoreingenommen und offen beschäftigen, wird einerseits dieser ganze Komplex entmystifiziert. Andererseits fördern wir auch das Verständnis dafür, dass jeder Mensch einzigartig und in dieser Einzigartigkeit perfekt ist. Ganz nebenbei bekämpfen wir mit dieser Offenheit Sexismus und Ausgrenzung. Eigentlich ein ganz einfacher Weg … Interview: Marko Junghänel der 8. Klassen durch. Hier wird in einem intimen Rahmen besprochen, wie Kondome verwendet werden, was Tripper oder Chlamydien sind, wie der weibliche Zyklus funktioniert, aber auch, wie ein respektvoller Umgang in puncto Sex aussehen sollte. Neben eigens konzipierten Angeboten werden auch Präventionsworkshops, die durch externe Fachstellen angeboten werden, an die Schule geholt. Solche Workshops werden von den Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern angeregt, geplant und begleitet. Für die Schülerinnen und Schüler ist es oft weniger peinlich, mit der Schulsozialarbeit oder externen Fachkräften über Sexualität, Verhütung oder Homosexualität zu sprechen als mit der Klassenleitung. Durch sexualpädagogische Angebote sollen Jugendliche darin unterstützt werden, bezüglich (ihrer) Sexualität sprachfähig zu werden: offen über ihre Sexualität sprechen zu können, Unsicherheiten zu überwinden und benennen zu können, wenn etwas nicht angemessen ist. Sie sollen lernen, sagen zu können, „Das möchte ich und das möchte ich nicht!“, um im Falle von Grenzüberschreitungen oder Gewalterfahrungen handlungsfähig zu sein. Jugendliche zum Sprechen zu ermächtigen, ist daher ein zentrales Element sexueller Aufklärung und verfolgt das Ziel, sie zu sexuell selbstbestimmten Menschen zu erziehen. Es gibt kein „zu früh“ Die Befürchtung, dass Jugendliche durch „zu viel“ Sexualaufklärung zu früh „sexualisiert“ werden, ist dabei unbegründet und wissenschaftlich nicht haltbar. Die Angst der Frühsexualisierung ist vielmehr als ein grundlegendes Missverständnis zu verstehen: Kinder sind sexuelle Wesen von Anfang an. Wir sollten sie daher in ihrer Entwicklung begleiten – mit Wertschätzung, Empathie und Rücksichtnahme. Angebote müssen daher immer bedacht, dem Entwicklungsstand, dem Alter und der Gruppenzusammensetzung entsprechend ausgewählt werden. Medien spielen neben Eltern und Schule bei der Sexualaufklärung eine zunehmend wichtigere Rolle. Knapp 50 Prozent der Jungen und 39 Prozent der Mädchen beziehen ihre Kenntnisse über Sexualität oder Verhütung aus dem Internet (vgl. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2015). Auch wenn sich junge Menschen heute zunehmend über Medien aufklären, heißt das nicht, dass sie automatisch besser darüber Bescheid wissen. Der Zugang zu Pornos und Erotikbildern ist zwar leicht und unkompliziert, sie zeigen jedoch vermeintliche Normen, die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun haben. Über erfüllte Sexualität sagen sie nichts aus. Wenn sie unreflektiert bleiben, können sie zu falschen Annahmen, falschen Bildern und Rollenklischees führen. Das Internet ist bezüglich der Sexualaufklärung also beides: Bedrohung Sexualerziehung – Rolle der Schulsozialarbeit Wie geht gute Aufklärung? Jugendliche verbringen heute einen großen Teil ihres Alltags in der Schule. Im Laufe dieser Zeit – etwa ab dem zehnten Lebensjahr – kommen sie in die Pubertät. Es beginnt eine Phase voller Umbrüche und Herausforderungen. Der Körper und das Gehirn verändern sich, die Bedeutung von Freunden und Peergroups wächst, wohingegen die Eltern weniger wichtig werden und die Ablösung von ihnen beginnt. Erste intimere Beziehungen werden eingegangen und mit der Zeit auch erste sexuelle Erfahrungen gemacht. Es ist naheliegend, dass sich aus dieser Entwicklungsphase heraus Themen und Fragen ergeben, die für die Schulsozialarbeit/Jugendsozialarbeit an Schulen (JaS) relevant sind. Da sie einen direkten Zugang zur Lebenswelt Schule hat, besteht die Chance dieser individuellen Hilfen darin, Bedarfe frühzeitig zu erkennen und durch niederschwellige Angebote der Beratung, Prävention bzw. Intervention zügig darauf zu reagieren. Angebote zur Sexualaufklärung haben dabei große Bedeutung. Sexualaufklärung wird heute weiter gefasst als noch vor einigen Jahrzehnten. Während der Fokus früher vor allem auf Anatomie, Verhütung und Krankheiten lag, wird dieser mittlerweile um Themen wie sexuelle Orientierung, sexuelle Identität und Vielfalt oder Umgang mit Pornografie und Medien erweitert. Die Schulsozialarbeit/JaS setzt dort an, wo Lücken in der schulischen Aufklärung entstehen oder wenn bestimmte Themen im Unterricht keinen Raum finden. Ihre Angebote werden zwar eigenständig durchgeführt, können aber durchaus als Ergänzung zur schulischen Sexualaufklärung fungieren. An einer Mittelschule in München führt die Schulsozialarbeiterin zum Beispiel regelmäßig Aufklärungsworkshops für die Mädchen und Jungen Schmetterlinge und Bienen haben ausgedient, wenn es um altersgerechte Aufklärung geht. Foto: Lutz Stallknecht, pixelio.de
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