K3 No. 8 - November 2018
| 08 | 2018 25 Partizipation Schwerpunkt starken Kind wird ein starker Erwachsener werden, der um seine sozia- len Pflichten weiß, unter anderem um die Pflicht, dem Kind zu seinen Rechten zu verhelfen. Ein Kreis schließt sich, die Rechnung geht glatt auf. So, wie das mit Idealen eben ist. Sie werden nicht erreicht, sind aber durch ihre richtungsweisende Funktion im realen Leben verankert, ziehen in die richtige Richtung. Janusz Korczak, 1878 oder 1879 in Warschau als Henryk Goldszmit geboren, jüdisch-polnischer Arzt, Schriftsteller und Pädagoge, ver- zichtete auf eine vielversprechende Karriere als Mediziner, um etwas auszurichten in der „Zweiklassengesellschaft Kind – Erwachsener“, um dem Kind aus seiner Ohnmacht zu verhelfen. Er „predigt“ den Erwach- senen und lässt die Kinder in Aktion treten. Von 1912 an leitete Janusz Korczak ein nach seinen Plänen errich- tetes Warschauer Waisenhaus, das Dom Sierot, eine „geschlossene Gesellschaft“, in der sich so etwas wie eine Kinderrepublik versuchen ließ mit eigenen zielführenden von Kindern besetzten Institutionen: einem Kameradschaftsgericht, einem Selbstverwaltungsrat und einem Kinderparlament. Partizipation, aktive Mitbestimmung auf mehreren Ebenen, wurde damit Teil des alltäglichen Treibens innerhalb der Waisenhausmauern, wurde Teil der kindlichen Erfahrungswelt und damit persönlichkeitsbildend. Musste über etwas entschieden werden, stimmten die Kinder zusammen mit den Erziehern und Erzieherinnen ab. Eine Kinderzeitung als „Schwarzes Brett“ diente der Information. Es entstand eine lebendige wie anregende Öffentlichkeit, es wurde gestritten, diskutiert. Wer Fragen oder Sorgen hatte, konnte diese auf Zettelchen schreiben und in einen Briefkasten werfen. Natürlich wurde im Waisenhaus auch geschlagen, gestohlen, geflucht und gelogen, was Futter brachte für neue Diskussionen, neue Gerichtsverhandlungen ... Der Wunsch, die Kindergesellschaft mit jedem Aushandlungsprozess Stück für Stück auf eine nächste, weiterentwickelte Stufe zu bringen, sie zu verbessern, stand dabei weit weniger im Vordergrund als die Emanzipation jedes einzelnen Kindes verbunden mit dessen Verant- wortungsbewusstsein sich selbst und seiner Gesellschaft gegenüber. Dass es hier zu Überforderungen kam, lässt sich denken. Für eine bessere Gesellschaft 1940 musste das Dom Sierot ins jüdische Ghetto umziehen. Ein Kind war kein Kind mehr, es war ein Jude und stand damit auf der Todesliste der Nationalsozialisten. Im Dom Sierot folgte ein Tag auf den anderen. Es ging ums Überleben, dafür mussten Kartoffeln her, Wasser, Medizin. Dafür musste aber auch eine Ordnung her, von der man nicht ließ, weil sie für das Gute stand und an das frühere Leben, an Normalität erin- nerte. Janusz Korczak hielt bis zuletzt an seinen Prinzipien fest. Die Institutionen der Partizipation wirkten als „Kontrapunkt“ zum dem, was draußen geschah. Am Ende gaben sie gelöst vom Inhalt in ihren institutionellen Abläufen und als Regelwerk Halt. Im Sommer 1942 sind die 200 Kinder des Dom Sierot zusammen mit Janusz Korczak und allen anderen Erzieherinnen und Erziehern nach Treblinka deportiert und dort ermordet worden. Dr. Katrin Diehl, freie Journalistin und Autorin aus München Rahmenkonzept Kinder- und Jugendpartizipation Konzept Kinderpolitik zwei punkt null 1993 entwickelte die Landeshauptstadt mit dem Konzept „Kin derpolitik in München“ eine wichtige Grundlage für die Beteiligung von jungen Menschen in der Isar-Metropole. Es hat sich viel getan in den letzten 25 Jahren in Sachen Kinder- und Jugendbeteiligung in München: Einiges konnte konkret umge- setzt werden, für andere Vorhaben braucht man einen langen Atem. Für wieder andere Projekte reicht der Atem allerdings nicht aus und sie werden – aus den verschiedensten, oft nicht nachvollziehbaren Gründen – nie umgesetzt. Gründe liegen in mangelnden Kapazitäten oder unzureichenden Strukturen. Es zeigt sich, dass die bestehenden Konzepte nicht immer genügen, um die Ideen und Bedürfnisse von Münchner Kindern und Jugendlichen angemessen zu berücksichtigen. Beide Jugendbefragungen der Landeshauptstadt München zeigen deutlich, dass Kinder und Jugendliche aktiv an der Gestaltung der Stadt beteiligt werden möchten. Die jungen Menschen machen darauf aufmerksam, dass sie sich bisher in der Stadt ungenügend mit ihren berechtigten Interessen wahrgenommen und beteiligt sehen. Diese Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Kommunalpolitik ist angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen jedoch wichtiger denn je. Das betont auch der 15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung, der die Bedeutung von politischer Bildung und Partizipation anmahnt und darauf hinweist, dass die Interessen von jungen Menschen wieder mehr in den Mittelpunkt der Politik und der Sozial- und Jugendhilfeplanung gerückt werden müssen. Mehr Mitwirkung eingefordert Damit dies gelingen kann und die Bedingungen für eine wirksame zielgruppenorientierte Umsetzung der Kinder- und Jugendbelange verbessert werden können, braucht es neue Rahmenbedingungen für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Stadtgesellschaft. Diese müssen sowohl von der Verwaltung als auch der Politik getra- gen und unterstützt werden: eine eigenständige Rahmenkonzeption Kinder- und Jugendbeteiligung, die auf der einen Seite das städtische Verwaltungshandeln über das Sozialreferat hinaus verbindlich regelt und auf der anderen Seite die jungen Menschen selbst und die im Feld tätigen Träger in den Blick nimmt. Das Zusammenwirken der Verant- wortlichen in Politik, Verwaltung und der freien Träger ist notwendig, um dem Lebensalltag junger Menschen in der Stadt gerecht zu werden und ihre Interessen zu berücksichtigen. Aus diesem Grund haben die Vertreterinnen und Vertreter des Kreis- jugendring München-Stadt und des Münchner Trichters im Kinder- und Jungen Menschen eine Stimme geben, damit sie in der Stadtgesellschaft Gehör finden – zum Beispiel durch Jugendbefragungen.
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