K3 No. 8 - November 2018

Dachzeile 24 das kommt | 08 | 2018 Partizipation Schwerpunk Ozan: Dort, wo Kinder aufwachsen, muss es Gelegenheiten für Parti- zipation geben: Kita, Schule, Ausbildung, … Stichwort Schule – wie sieht es dort mit partizipativen Strukturen aus? Ozan: Der Grund dafür, warum ich nur ein Jahr Schülersprecher war, war u.a. die Frustration darüber, dass die Schulleitung unser Bemühen um mehr Mitbestimmung weitgehend ignorierte. Die Möglichkeiten zur Teilhabe waren sehr begrenzt. Steffie: Im System Schule ist nach wie vor wenig Raum, aktiv mitzuge- stalten. Der Kreisjugendring München-Stadt (KJR) formuliert deshalb immer wieder in seinen jugendpolitischen Forderungen, dass Schulen ein selbstverständlicher Ort der Teilhabe werden müssen. Aber man stößt dort schnell an Grenzen – nicht zuletzt aufgrund der Angst der Lehrkräfte vor zu viel Mitbestimmung. Dabei soll Partizipation nicht Anarchie bedeuten – es braucht Regeln, die festlegen, wer bei welchen Fragen in welcher Form eingebunden ist. Es müssen nicht immer alle über alles entscheiden. Transparenz ist wichtig, um Frustrationen zu vermeiden. Wie hat euer Engagement – bis hin als Mitglied des KJR-Vorstands – euch selbst verändert? Steffie: Die Legitimation durch eine Vollversammlung, sich für die Interessen aller Kinder und Jugendlichen in München einzusetzen, ist eine große Ehre und Verantwortung. Ich spüre in der sehr verantwor- tungsvollen Aufgabe als KJR-Vorsitzende, dass es einen Unterschied zwischen Privatperson und Amtsträgerin gibt, die sich selbstverständ- lich aber beide engagieren. Ozan: Es gibt in einer Funktion als Mandatsträger schon Entschei- dungen, die man als Privatperson möglicherweise anders beurteilen würde. Das bedeutet aber nicht, dass man im Amt für fremde Interessen instrumentalisiert wird. Vielmehr muss man sich auf neue Themen ein- lassen, mit denen man zuvor noch nicht in Berührung gekommen ist. Wäre unsere Gesellschaft besser, wenn es mehr und frühere Mög­ lichkeiten der Partizipation für Kinder und Jugendliche gäbe? Steffie: Es gibt in der Tat zu wenig Orte, wo Kinder und Jugendliche Meinungsbildung und damit Teilhabe einüben könnten. Wenn sie im Elternhaus wenig Unterstützung dabei bekommen oder andere Menschen als Reibungsfigur nicht zur Verfügung stehen, wird es schwer. Ozan: Schulen wären notwendige Orte für diese Art von Teilhabe. Ganz nebenbei würde es Erwachsene dazu bringen, andere Argumente zuzulas- sen und eigene Haltungen zu vertreten – so wie es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den offenen Einrichtungen des KJR täglich tun. Müssen wir Partizipation auch technischer denken? Ozan: Wichtig ist, dass man Selbstwirksamkeit erfährt – die Technik ist ein Mittel dazu – aber nicht der Auslöser. Steffie: Wenn ich das komplizierte Wahlverfahren und die wirklich nicht jugendgerechte Aufmachung der Unterlagen der letzten Landtagswahl sehe, könnte ich mir schon andere – technischere und jugendgerechtere – Formen der Partizipation vorstellen. Wichtig bleibt für Teilhabe aber der soziale Nahraum. Dort müssen diese Erfahrungen der Mitwirkung gemacht werden können. Einmal Partizipation – immer Partizipation … Ozan: Mitwirkung ist ein Denkmuster, das ich nicht heute verfolgen kann und morgen wieder über Bord werfe. Steffie: Ich habe diese Gedanken der Teilhabe auch verinnerlicht. Verantwortungsübernahme ist kein Zufallsprodukt – es braucht persön- liches Wollen und die geeigneten strukturellen Rahmenbedingungen. Interview: Marko Junghänel Partizipation im Wandel der Zeit Individuum in der Gemeinschaft Partizipation des Kindes im Sinne der Einflussnahme auf die Gesellschaft, zu der sich das Kind zugehörig fühlt, steht im Zentrum von Janusz Korczaks Pädagogik. Sie ist Folge eines neuen Menschenbildes, nach dem gesellschaft- liches Leben nicht erst mit dem Erwachsensein beginnt, sondern mit dem Kindsein. Die Forderung nach Partizipation des Kindes lässt Rück- schlüsse zu, worauf die Reformpädagogik zu bauen wagte, was sie im Kind zu stärken und zu schützen suchte: frühes Empfinden für eigene Individualität, früher Wille zum eigenen Wohl. Zur Idealgesellschaft gehörten das Wissen um die Individualität, die Achtung dieser und das Bestreben, Wünsche und Bedürfnisse des Einzelnen ernst zu nehmen. Individuen kommen ins Gespräch, es gibt Diskussionen, Abwägungen, Entscheidungen, Korrekturen der Entscheidungen ... Kurz, es entsteht eine vitale Gesellschaft, wie man sie sich wünscht. Ihr Kitt ist das selbstbewusste Individuum, das selbstbewusste Kind, das starke Kind. Menschsein beginnt mit Kindsein Janusz Korczak forderte. Er forderte die Achtung vor dem Kind, was im Großen und Ganzen zur damaligen Zeit (erste Hälfte des 20. Jahr- hunderts) nach einem Umdenken verlangte. Er wirkte auf die Gegenwart der Kinder und Jugendlichen ein. Es verlangte nach Veränderung, und zwar jetzt und zum Wohle des Kindes, einer Veränderung, die nur von den Erwachsenen ausgehen konnte. Nach Janusz Korczak sind Erwachsene dazu verpflichtet, Kindern zu ihren Rechten zu verhelfen, darunter auch das folgenreiche demokratische Recht auf Partizipation. Was dann passiert, geht über die Gegenwart hinaus, wirkt zukünftig. Denn – bleiben wir bei der Illusion einer Idealgesellschaft – aus dem Janusz Korczak ist bis heute allgegenwärtig in Polen, z.B. durch Denkmäler und Erinnerungsstätten wie in Warschau. Bild: Own work/Szczebrzeszynski

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