K3 No. 7 - November 2018
Dachzeile 24 das kommt | 07 | 2018 Orienti rung Schwerpunk Die „Ori“ als Orientierungsphase in der Bildungsbiografie Entdecke, was in dir steckt Kritik am dreigliedrigen Schulsystem, verbunden mit dem Wunsch, länger gemeinsam zu lernen, gab es bereits in der Re- formpädagogik – vor fast 100 Jahren. Im diesjährigen städtischen Bildungsbericht liest man, dass das Ziel der Chancengerechtigkeit noch nicht erreicht wurde, Disparitäten insbesondere im Hinblick auf Migrationshintergrund und soziale Her- kunft bestehen. Genau hier setzt die Städtische Schulartunabhängige Orientierungsstufe München – kurz „Ori“ genannt – an. Nachdem ein zweiter Antrag des damaligen Stadtschulrats Prof. Dr. Anton Fingerle nicht nur den Münchner Stadtrat, sondern auch das damalige Kultusmi- nisterium überzeugt hatte, startete die Schule im Schuljahr 1973/74 als Schulversuch. Die Nachfrage war von Anfang an riesig: Für die gut 300 Plätze in den 5. Klassen gab es über 500 Anmeldungen. Und diese hohe Nachfrage blieb in den folgenden Jahren weitgehend konstant. Erfolg gab den Gründern recht Was macht die Schule so attraktiv? Das Hauptargument ist sicher die Erfolgsbilanz, die sich in der Übertrittsquote widerspiegelt, wonach 65 Prozent der Schülerinnen und Schüler ihre im Grundschulzeugnis festgestellte Eignung verbessern. Von den Schülerinnen und Schülern mit einer Mittelschuleignung (aktuell 85 Prozent) können nach den zwei Jahren an der Ori etwa 7 Prozent an ein Gymnasium, 45 Prozent an eine Realschule und weitere 15 Prozent an eine Wirtschaftsschule oder den M-Zug einer Mittelschule übertreten. Der ehemalige Schüler Gabriel berichtet über seine Erfahrungen: „An der Ori lernte ich ein ganz neues Schulsystem kennen. Die Lehrkräfte waren um mich bemüht und versuchten, die Schülerinnen und Schüler zu fördern. Ich war anfangs in den B-Kursen, kam dann in Englisch in den A-Kurs und hatte die Möglichkeit, das gymnasiale System kennen- zulernen. Aber die zweite Fremdsprache lag mir nicht. Ich verließ die Ori mit guter Realschuleignung.“ Die Bildungsbiografie gleicht manchmal einem Irrgarten – ein gerechteres Schulsystem könnte oft Abhilfe schaffen. Oft ist das Finden der „richtigen“ Schulart nach der 4. Klasse auch des- halb zu früh, weil erschwerte Bedingungen vorliegen: Probleme in der Familie, Umzug, Krankheiten, Sprach- oder Entwicklungsverzögerungen. An der Ori soll durch handlungsorientierten Unterricht, den Lehr- kräfte aller Schularten in enger Teamarbeit vorbereiten, Freude am Lernen geschaffen werden. Individuelle Förderung erfolgt durch Leistungsdifferenzierung auf drei Niveaus in Mathematik und Englisch mit der (dreimaligen) Möglichkeit auf- bzw. abgestuft zu werden sowie durch Teildifferenzierungen in den Fächern Deutsch sowie Natur und Technik. Gerecht und zukunftsweisend Chancengerechtigkeit hat aber nicht nur etwas mit Schulabschlüssen zu tun, sondern auch mit der Vermittlung von Werten und ganzheit- licher Bildung. Angebote wie Chor, Orchester, Akrobatik, Theater/ Film, Eishockey usw., verbunden mit schon professionell anmutenden Auftritten und Wettkämpfen, machen nicht nur Spaß, sondern stärken auch das Selbstbewusstsein. So meinte ein Lehrer: „Vorerst sei gesagt, dass die Orientierungsstufe die einmalige Gelegenheit bietet, dass die Schülerinnen und Schüler zeigen können, was in ihnen steckt.“ Für die Schülerin Aylin waren es sogar „… die besten zwei Jahre meines Schullebens“. 1983 hieß es seitens des damaligen Kultusministeriums, dass „eine Überlegenheit gegenüber dem gegliederten Schulwesen nicht festge- halten werden“ könne. Dies beendete den Schulversuch und damit die Möglichkeit, weitere Schulen in dieser Form zu gründen. Die bestehen- den wurden 1994 gesetzlich als „Schulen besonderer Art“ verankert. Und das ist die Ori ja auch heute: Eine ganz besondere Schule! Beate Nordheim, Fachbereich Realschulen und Schulen besonderer Art, Referat für Bildung und Sport Wer oder was gibt dir Orientierung in deinem Leben? » Meine Mutter und der Freund von meiner Mutter. « Junge, 18 (Laimer) Foto: Petra Dirscherl, pixelio.de
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