K3 No. 7 - November 2018
| 07 | 2018 23 Orientierung Schwerpunkt In der Schule bekommt man meiner Erfahrung nach auch nicht die erforderliche Unterstützung. Die wäre aber besonders gefordert, wenn es um Orientierung geht. Woran orientiert man sich außerdem, wenn es um die Berufswahl geht – am Geld? Ich glaube, dass der Faktor Geld für unsere Generation nicht mehr die zentrale Rolle spielt. Die Tätigkeit muss Spaß machen und Erfüllung bieten. Unsere Generation plant ihre berufliche Laufbahn nicht mehr in Jahrzehnten – eher in Schritten von drei bis fünf Jahren. Und vieles passiert nach dem System „trial and error“. Man probiert Dinge einfach mal aus, bevor man sich festlegt. Auch eine Form von Orientierung. Ich bin übrigens letztlich ganz froh, dass mein bisheriger Ausbildungsweg nicht ganz geradlinig war. So konnte ich viele neue Erfahrungen machen. * * * * Mohammad, du bist vor drei Jahren aus Syrien nach München gekom- men. Welche beruflichen Ziele hattest du damals in deiner Heimat? Mohammad Akrayem: Ich war damals 23 Jahre alt und habe in Damaskus im sechsten Semester Jura studiert. Gleichzeitig hatte ich immer wieder im Geschäft meines Onkels mitgearbeitet, dem ein Sanitärfachhandel gehörte. Beides machte mir Spaß – aber dann mussten wir das Land wegen des Krieges verlassen. Warum hast du dir damals Jura als Studium ausgesucht? Ursprünglich wollte ich im Bereich Medien ein Studium beginnen. Mein großer Bruder war mir dann aber schließlich Vorbild. Er studierte bereits Jura. Insofern habe ich mich mit meinem Berufswunsch an ihm orientiert. Jura ist sicher auch in Syrien ein sehr schweres Studium … Aber wenn man damit fertig ist, stehen alle Wege offen. Das war auch eine wichtige Motivation für mich. Ich hatte mir vorgestellt, dass ich damit einen guten Beitrag für die syrische Gesellschaft leisten könnte. Welche Rolle haben deine Eltern und Freunde bei der Wahl des Studiums gespielt? Mein Vater hätte sich gewünscht, dass ich den Beruf des Groß- und Außenhandelskaufmanns ergreife und in das Geschäft meines Onkels einsteige. Gleichzeitig haben damals immer mehr meiner Freunde ein Studium begonnen, was mich zusätzlich motiviert hat, selbst zu studieren. Wie ging es weiter, als ihr nach Deutschland gekommen seid? Ich hatte in Syrien und im Libanon insgesamt schon sechs Semester studiert und bereits mehr als zehn Fächer absolviert. In Deutschland wurden leider die Abschlüsse nicht anerkannt. Eigentlich wollte ich hier nahtlos weiterstudieren. Ich hatte aber sowohl die schwierige deutsche Sprache unterschätzt als auch nicht damit gerechnet, dass meine bisher erreichten Abschlüsse nicht anerkannt würden. Hast du in irgendeiner Form Hilfe und Orientierung bekommen? Ich bin in einer Beratungsstelle gelandet, wo man mir half. Ich sollte zunächst meine Zeugnisse beglaubigen lassen, was aber nicht zur Anerkennung dieser Zeugnisse führte. In der Situation war ich völlig orientierungslos und wusste nicht weiter. Um die Zeit zu nutzen, habe ich mich als Gasthörer an der Uni eingeschrieben und ein Semester Betriebswirtschaft studiert. Schließlich bin ich zufällig auf eine Beraterin gestoßen, die mir emp- fahl, eine Ausbildung zu beginnen. Da ich in Syrien im Sanitärhandel gearbeitet hatte, sollte ich Groß- und Außenhandelskaufmann lernen. Das hätte mir eigentlich gefallen. Leider habe ich keinen Ausbildungs- platz bekommen. Schließlich erfuhr ich von der Möglichkeit der Einstiegsqualifizierungs- maßnahme. So bin ich letztlich zum Kreisjugendring gekommen, wo ich diese Qualifizierungsmaßnahme beginnen konnte. Es ist wie ein Praktikum – nur intensiver. Anschließend kann ich eine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement beginnen, worüber ich mich sehr freue. Man muss die Chancen nehmen, wie sie kommen. Der Weg läuft nicht immer gerade und ich bin froh, dass ich immer Menschen getroffen habe, die mir Orientierung gaben. Hast du jetzt deinen Weg gefunden? Ich merke, dass es selbst bei deutschen Jugendlichen nicht immer glatt läuft. In der Berufsschule sind tatsächlich die meisten orientierungslos, was ihre berufliche Zukunft anbelangt. Für mich gibt es jetzt einen gangbaren Weg. Den Traum vom Jura-Stu- dium habe ich noch nicht aufgegeben. Vielleicht gelingt es mir auf Umwegen, doch noch zu studieren. Schön wäre es gewesen, wenn wenigstens ein paar Abschlüsse meiner bisherigen Ausbildung aner- kannt worden wären. Interview: Marko Junghänel Was hilft dir dabei, dich gut alleine in deinem Stadt- teil oder auch in deiner Freizeit zurechtzufinden? » Freunde helfen mir, mich in meiner Freizeit zurechtzufinden. Ich würde das Handy benutzen, wenn ich mich verlaufe. « Ela, 11 (Kindertreff AKKU) Mohammad Akrayem
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