K3 No. 7 - November 2018
14 das kommt | 07 | 2018 das war Der Titel war bewusst mehrdeutig gewählt, denn Jugendarbeit steht in der Gefahr, zwischen unterschiedlichen gesetzlichen Anforderungen und Vorschriften zerrieben zu werden und ihrem Auftrag aus dem Kin- der- und Jugendhilfegesetz, nämlich an den Interessen der jungen Menschen anzusetzen und sie zur Selbstbestimmung zu befähigen, nicht mehr nachkommen zu können. Wie sollen junge Menschen eine eigenständige Persönlichkeit entwickeln, wenn sie in ei- ner „Null-Risiko-Gesellschaft“ leben, in der ihnen jede Möglichkeit zur Abwägung von Risiken und Gefahren ebenso genommen wird wie die Möglichkeit, eigenständige Erfah- rungen außerhalb beaufsichtigter Settings wie Schule oder Kita zu sammeln? Jürgen Einwanger, Bildungsreferent der österreichischen Alpenvereinsjugend, stellte in seinem Einführungsvortrag die Frage, wie riskant eigentlich Sicherheit ist, um klarzu- stellen, dass es ohne Risiko keine Entwick- lung gibt. Erst das Abwägen von Risiken, das Scheitern und das Lernen daraus befördern Resilienz und Ambiguitätstoleranz. Welche Blüten das allumfassende Sicherheitsdenken mittlerweile treibt, erläuterte er anhand verschiedener Beispiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. So gab es in Österreich den Vorstoß (der abgelehnt wurde) zu normie- ren, wie weit sich ein Kindergar- tenkind von einem/einer Erzie- her/in entfernen darf. Ebenfalls abgelehnt wurde das Vorhaben in der Schweiz, dass Ausflüge von Kinder- und Jugendgruppen über einer Höhe von 800 Metern über dem Meeresspiegel (in der Schweiz wohl fast überall) nur noch von ausgebildeten Berg- führern begleitet werden dürfen. Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen gaben im Anschluss eine Ein- schätzung über die „Jugendarbeit in Gefahr“ ab. Markus Schön, Beigeordneter für Bildung, Jugend, Migration, Integration und Sport der Stadt Krefeld und Jurist mit ei- gener langjähriger Jugendarbeitserfahrung, machte in seinem Statement und seinem anschließenden Workshop deutlich, dass der Text jedes Gesetzes ausgelegt werden kann und muss und daher eine Einschätzung von Risiken in und durch die Jugendarbeit notwendig ist. Risikoabschätzung bedeutet nicht, jedem Risiko aus dem Weg zu gehen, sondern verantwor- tungsvoll abzuwägen, welches Risiko bewältig werden kann. Heiko Neumann, Leiter des Intermezzo und Lehrbeauftragter an verschiedenen Fachakademien und Hochschulen, machte deut- lich, wie sich die Jugendarbeit verändert hat, wie die gesell- schaftlichen Anforderungen die Arbeit beeinflussen und welche Haltung dazu in der Praxis ent- wickelt werden muss. Christian Forster, Abteilungs- leiter von der Versicherungskam- mer Bayern, bei der auch die Versicherung für Ehrenamtliche in Bayern angesiedelt ist, be- richtete über verschiedene in der Praxis tatsächlich vorkommende Versicherungsfälle im Bereich der Jugendarbeit und erläuterte No risk – no fun?! Der Fachtag von Kreisjugendring München-Stadt (KJR) und Katholischer Stiftungshochschule München beleuchtete die aktuelle Risikolage (in) der Jugendarbeit im Anschluss in seinem Workshop den Teil- nehmenden, worauf im Fall der Fälle zu achten ist. Eva Götz, Leiterin der Jugendhilfeplanung im Stadtjugendamt, ging auf die Herausforde- rungen ein, die der 15. Jugendbericht für das Jugendalter beschreibt, und machte deut- lich, dass die Jugendarbeit einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforde- rungen leistet, wenn sie Jugendlichen die Auseinandersetzung mit Risiken zugesteht. Der Stadtbrandmeister der Freiwilligen Feuerwehr München, Andreas Igl, erläuterte in seinem Kurzvortrag , was zu tun ist, wenn im Rahmen der Jugendarbeit doch etwas passiert ist. In seinem anschließenden Work- shop konnten die Teilnehmenden an einem Fallbeispiel Notfallplan und Krisenkommu- nikation üben. Der Austausch der unterschiedlichen Dis- ziplinen erlaubte eine vertiefte Diskussion der Entwicklungen und Fragestellungen, mit denen die Jugendarbeit seit mehreren Jahren konfrontiert ist. Der Fachtag konn- te dabei zwar nicht die gesellschaftliche Grundhaltung der möglichst umfassenden Risikoabsicherung ändern, er konnte aber die Notwendigkeit von „Mut zum Risiko“ wieder ins Gedächtnis rufen und die Handlungssi- cherheit bei der Risikoabwägung erhöhen. Dr. Manuela Sauer, Grundsatzreferentin, KJR „Der Text jedes Gesetzes kann ausgelegt wer- den“, sagt Markus Schön, Jurist und Chef des Krefelder Dezernats für Bildung, Jugend, Sport, Migration und Integration Fachtag Jugendarbeit in Gefahr Andreas Igl ist bei der Freiwilligen Feuerwehr München Stadtbrandmeister und Experte für Krisenmanagement
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