K3 No. 5 - Juli 2018

19 | 05 | 2018 Heimat Schwerpunkt Kann ich hier wieder zuhause sein? „Heimat ist so ein schönes Wort.“ Im Sommer 1942 musste die damals neunjährige Charlotte Knobloch aus München fliehen, um der Verfolgung und Deportation durch die Nazis zu entkommen. Nach Kriegsende kehrte sie wieder in die Stadt zurück, die ihr und ihrer Familie so viel Leid zugefügt hatte. Konnte für sie München wieder zur Heimat werden? Was ist für Sie Heimat? In München wurde ich geboren, wuchs auf – also ist das meine Heimat. Manchmal erweitere ich den Begriff, denn Bayern und Deutschland sind für mich ebenfalls Heimat. Heimat als bloßer Ort? Der Ort bildet für mich die Grundlage des Begriffs Heimat. Aber es bedeutet darüber hinaus, dass ich nur denjenigen Ort als Heimat be- zeichnen kann, in dem ich mich wohlfühle. Das ist entscheidend – die Verbindung von Ort und Gefühl. Dieses Gefühl macht sich breit, wenn ich weiß, dass ich an diesem Ort akzeptiert und respektiert werde. Und ich gleichzeitig auch andere akzeptiere und respektiere, die an diesem Ort eine Heimat gefunden haben. Das ist keine Einbahnstraße. Wenn ich das Wort Heimat höre, denke ich, dass dort meine Freunde sind; ein Ort, an dem ich und meine Familie eine Zukunft haben. Hier klingt auch der Begriff Sicherheit durch ... In der Zeit meines Exils in Franken war weder dort noch hier eine Heimat für mich. Ich hatte damals die Heimat zu 100 Prozent verloren. Wir wussten zu der Zeit, dass wir nicht erwünscht waren. Schlimmer noch, wir spürten, dass wir als minderwertiges Leben betrachtet wur- den und man uns nach dem Leben trachtete. An Zukunft war da nicht zu denken. Durch Gesetze und durch persönliche Angriffe habe ich meine Heimat in München verloren. Und so mutig und fürsorglich die Menschen auch waren, die mich in Arberg aufgenommen hatten – eine Heimat konnten sie mir nicht bieten, weil es ihnen einfach unmöglich war, mir Sicherheit zu geben. Wir hätten jederzeit entdeckt werden können. Dann wäre ich heute nicht mehr vorhanden – und diese Men- schen hätten das ebenfalls mit ihrem Leben bezahlt. Der Gedanke, der uns damals beherrschte, war der an das Überleben – nicht an Heimat. Als ich 1945 nach München zurückkam, hielt dieser Zustand weiter an. Wir wussten, dass wir hier die Menschen treffen würden, die uns nur wenige Monate zuvor noch beschimpft und verleumdet hatten. Dieses Gefühl verhinderte, dass ich München schnell wieder als meine Heimat verstehen konnte. Was musste passieren, dass Sie in München wieder heimisch wurden? Erst Ende der 1980er Jahre hatte ich das Gefühl, dass ich wieder in meiner Heimat München angekommen bin. Bis zur Grundsteinlegung der neuen Synagoge im Jahr 2003 und dem Bau des jüdischen Zentrums im Herzen Münchens hatte ich nie meine Koffer ausgepackt. Erst danach wusste ich: hier bin ich sicher, ich bin wieder angekommen. Gab es zuvor andere Optionen als München? Wir hatten hier keine Verwandten mehr. Die einzige Option war da- mals, nach Amerika zu unseren dort lebenden Verwandten zu gehen. Ich wollte nicht in Deutschland bleiben. Dann lernte ich meinen Mann kennen, ich hatte inzwischen einen Beruf erlernt, die Kinder kamen und irgendwann war es zu riskant, mit zwei kleinen Kindern in ein neues Leben aufzubrechen. So blieben wir – vielleicht auch, weil die Sehnsucht nach einer Heimat in München unterbewusst so groß war. Wären die USA zur Heimat geworden? Das wäre darauf angekommen, wo man hinkommt. Die Menschen, die in den 1930er Jahren immigriert waren, hatten dort meist jedenfalls keine Heimat gefunden, blieben unter sich. Viele sagen, dass sie zwar Amerikaner wären, aber eigentlich Israel lieben. Wahrscheinlich wäre es mir auch so ergangen. Heimat wird heute wieder als Begriff missbraucht, der zwischen denen, die dazugehören, und denen, die nicht dazugehören, unterscheidet … Die Liebe zur eigenen Heimat und die Akzeptanz anderer, die hier leben, schließen sich nicht gegenseitig aus. Toleranz ist ganz wichtig, um das Gefühl von Heimat weiterzugeben. In meinen vielen Gesprächen mit Schulklassen spüre ich, dass diese Toleranz vorhanden ist. Als Menschen jüdischen Glaubens erfahren wir aber bis heute Aus- grenzung – mich übrigens eingeschlossen. Ich spüre es an den Blicken, ob Menschen mir wohlgesonnen sind oder nicht. Es ist nicht vorbei. Müssen Sie also Angst davor haben, Ihre Koffer erneut packen zu müssen? Solange wir in dieser Demokratie leben, diese Regierung haben, sehe ich keine Gefahr. Aber zu 100 Prozent weiß man es eben nie. Es gibt ja mindestens eine Partei, die sich Gehör dadurch verschafft, indem sie andere verunglimpft und die größten Verbrechen der Menschheitsge- schichte relativieren will. Aber die absolute Mehrheit der Menschen steht auf der demokratischen Seite. Insofern wird München meine Heimat bleiben. Verstehen die Schülerinnen und Schüler, vor denen Sie sprechen, dass Sie nach 1945 wieder nach München zurückgekehrt sind? Die Tatsache, dass man mit der Geburt an ein Land emotional gebun- den ist und sich daran orientiert, kann man nicht verleugnen. Keiner von uns hätte damals geglaubt, dass es in Deutschland jemals wieder jüdisches Leben geben würde. Aber das Herz war stärker. Das verstehen auch die Schülerinnen und Schüler. Brauchen wir ein Heimatministerium? Wenn man das jetzt auf Bundesebene einführt, dann wohl deshalb, weil es in Bayern so gut funktioniert. So eine Einrichtung kann den Menschen das Gefühl geben, dass sie dort, wo sie leben, eine Zukunft haben. Der Begriff Heimat war ja lange Zeit verpönt. Dabei ist das so ein schönes Wort … vor allem in diesem globalen Zeitalter, in dem vieles zur Beliebigkeit verkommt. In diesem Sinne hoffe ich weiter auf völlige Normalität – gerade für das moderne jüdische Leben in unserer Stadt. Interview: Marko Junghänel Die Koffer sind längst ausgepackt – aber ewige Wach- samkeit ist der Preis der Freiheit Foto: Marko Junghänel

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