K3 No. 4 - Juni 2018

| 04 | 2018 23 Jugend – Medien – Schutz Schwerpunkt an dieser Stelle die Aufklärung der Eltern und deren Unterstützung bei Erziehungsfragen. Es geht um Schaffung von Kompetenz. Obermeier: Der Gesetzgeber darf den Eltern nicht die grundsätzliche Erziehungsverantwortung abnehmen. Besonders in schwierigen Zeiten wie z.B. der Pubertät würden die Eltern oftmals nach dem Staat rufen. Aber gerade in dieser Phase müssen Kinder, Jugendliche und Eltern lernen, Konflikte auszuhalten und eigenständig gemeinsame Lösungen zu finden. Jugendschutz heißt eben nicht Verbot um jeden Preis, sondern Erzie- hung zum verantwortungsvollen Handeln aller Beteiligten. Letztlich för- dert dieser Ansatz die Persönlichkeitsentwicklung der Minderjährigen. Warum muss gesetzlich geregelt werden, ab wann Kinder Tattoos oder Piercings tragen dürfen? Obermeier: Bei Tattoos und Piercings handelt es sich im eigentlichen Sinne um Körperverletzungen, die in der Regel irreversibel sind. Aus rechtlicher Sicht ist bei Minderjährigen deshalb neben einer Aufklärung in evtl. gesundheitliche Risiken eine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters notwendig. Die Regeln sind in diesem Feld tatsächlich streng. Jugendschutz wird in den Einrichtungen der Jugendarbeit oft noch restriktiver ausgelegt, als es gesetzlich nötig wäre. Warum? Obermeier: Als öffentliche Einrichtung der Jugendhilfe muss eine Freizeitstätte natürlich das Gesetz befolgen. In der Praxis ergeben sich aber daraus durchaus Probleme – etwa bei der Frage des Rauchens. Neben dem Jugendschutz greift in diesem Fall eine zweite Regelung – nämlich das Gesetz zum Schutz der Gesundheit, das u. a. das Rauchen in öffentlichen Gebäuden und beispielsweise auch auf den Grundstücken von Kinder- und Jugendeinrichtungen komplett verbietet. Will man also in der pädagogischen Praxis beiden Regelungen gerecht werden, kommt es nicht selten vor, dass die Besucherinnern und Besucher wegbleiben. Ähnliches gilt für den Ausschank von Alkohol. Hier sind die Einrichtungen in einem Dilemma. Und wenn man ein Auge zudrückt? Obermeier: Die Regelungen sind klar und Verstöße können auch geahn- det werden. Meine Erfahrung zeigt aber, dass man durchaus zwischen den pädagogischen Erfordernissen und den Auswirkungen eines ganz restriktiven Jugendschutzes auf die Besucherzahlen abwägt und damit in einer Grauzone agiert. Gerade wenn man problematische Jugendliche erreichen will, nimmt man dann vielleicht einen Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz in Kauf, um mit diesen Jugendlichen in Kontakt zu kommen. Aber dieser Verstoß muss den pädagogischen Teams klar sein. Erfüllt das Jugendschutzgesetz seinen Zweck? Anstett: Es gibt immer wieder Novellierungen, so dass grundsätzlich der gewünschte Effekt erreicht wird. Die Situation von Freizeiteinrich- tungen in Großstädten wie München sehe ich jedoch als problematisch. Durch die zunehmende Verdichtung von Frei- und Lebensräumen können sich Kinder und Jugendliche in der Stadt kaum noch unangeleitet tref- fen. Wenn sich die Heranwachsenden dann in der Öffentlichkeit treffen, erregen sie schnell den Unmut der Anwohnerinnen und Anwohner. Der Ruf nach strengeren Jugendschutzbestimmungen folgt. Das ist aber keine Frage des Jugendschutzes, sondern hat eher städteplanerische Aspekte. Aber hier bemüht sich die Stadt München sehr, Ausgleich zu schaffen, mit Betroffenen zu kommunizieren und die Belange aller in angemessener Weise zu berücksichtigen. Obermeier: Das Jugendschutzgesetz ist tatsächlich die falsche Stell- schraube, um etwa Lärmbelästigungen zu verhindern. Aus meiner Sicht ist in diesem Bereich eher eine Ausweitung und Harmonisierung des Jugendschutzes in Europa voranzutreiben. Spätestens bei Klas- senfahrten ins Ausland stehen die Pädagoginnen und Pädagogen vor neuen Fragen. Dort sind die Regelungen oft anders. Das verunsichert auch Eltern oder Kolleginnen und Kollegen aus der Jugendarbeit, die mit Minderjährigen auf Ferienfahrten gehen. Wo gibt es weiteren Handlungsbedarf? Anstett: Hier sehe ich den Jugendmedienschutz auf der Agenda. Im Moment sind wir eher machtlos, weil die Inhalteanbieter meist im Ausland sitzen und der deutsche Jugendschutz nicht greift. Hier steht eine Harmonisierung im Online-Zeitalter dringend an. Obermeier: Gesetzgeberisch ist dem kaum beizukommen. Hier greift nur eine verantwortungsvolle Medienerziehung durch Eltern, Schule und Einrichtungen der Jugendhilfe, die selbst Vorbilder sein müssen. Interview: Marko Junghänel Armin Anstett (links) und Stefan Obermeier im Gespräch Bilder: privat

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